Das endende Jahr zeigt besonders deutlich, dass sich der Kanzleimarkt vor allem um eines dreht: Geld. Das ist nicht verwunderlich, denn die Law Firms und ihre Partner müssen unternehmerisch handeln. Schade ist es trotzdem, findet Anja Hall.
Als Journalistin freue ich mich schon von Berufs wegen, wenn viel passiert. Viele Ereignisse, das bedeutet: viele Nachrichten und noch mehr Geschichten, die sich dahinter verbergen. Manchmal wird es aber doch zu viel. Was zunächst ein diffuses Gefühl war, festigte sich im Jahresverlauf zur Gewissheit: 2016 haben so viele Partner und ganze Teams wie seit Jahren nicht mehr ihre Kanzlei verlassen und sich neuen Sozietäten angeschlossen. Eine Studie belegt, was Branchenbeobachter schon lange prognostizierten: Vor allem die deutschen Ableger der internationalen Kanzleien dünnen ihre Partnerriegen aus.
Anwälte wechseln aus vielen Gründen. Die einen verdienen mehr Geld in der neuen Kanzlei. Andere wollen einen Neustart wagen, bauen vielleicht sogar eine eigene neue Sozietät auf. Und manche gehen, weil sie nicht mehr an die Zukunft ihrer Kanzlei glauben. So geschehen bei den zahlreichen Anwälten und kompletten Teams, die sich in diesem Jahr von King & Wood Mallesons (KWM) abgewendet haben.
KWM: geschaffen für das internationale Geschäft
Mit dem Zerbröckeln der europäischen Praxis von KWM droht ein großes Projekt möglicherweise zu scheitern: KWM entstand erst vor rund drei Jahren durch den Zusammenschluss der chinesisch-australischen King & Wood Mallesons mit der britischen SJ Berwin. Eine Sozietät, wie geschaffen für das große, internationale Geschäft mit Asien-Bezug. KWM wirbt folgerichtig mit dem Slogan "global elite firm for the next century" für ihre Dienste.
Wohlfeile Worte, von denen die meisten Anwälte allerdings nicht überzeugt zu sein scheinen. Eine geplante Rekapitalisierung von KWM scheiterte, weil nicht genügend Partner Geld zuschießen wollten. Auch ein Deal, mit dem der chinesische Arm der Sozietät versprach, eine erhebliche Finanzspritze beizusteuern, im Gegenzug aber u.a. erwartete, dass die europäischen Partner mindestens ein Jahr in der Kanzlei bleiben, fand nicht die erforderliche Zustimmung. Das Kanzlei-Management versuchte daraufhin, einen Fusionspartner zu finden – vergeblich.
Gleichzeitig verließen in Deutschland und an den anderen europäischen Standorten von KWM nicht nur diejenigen Anwälte die Kanzlei, von denen man sich im Rahmen einer zuvor angekündigten Restrukturierung ohnehin trennen wollte. Auch viele Rainmaker und Leistungsträger nahmen ihren Hut. In Deutschland halten sich die Beobachter angesichts dieses Exodus‘ mit bissigen Kommentaren weitgehend zurück. In London indes geht man härter mit KWM ins Gericht: Geldgierige Partner und ein inkompetentes Management hätten die Kanzlei an den Rand des Abgrunds geführt, heißt es dort in den Kommentarspalten der Branchen-Medien.
Hochbezahlte Berufsanfänger
KWM ist von Geldsorgen geplagt – Berufsanfänger in den Großkanzleien sind es nicht, im Gegenteil. 2016 haben viele Sozietäten die Einstiegsgehälter auf rund 120.000 Euro pro Jahr erhöht. Die US-Kanzlei Milbank kündigte im November an, ihren Associates im ersten Berufsjahr sogar 140.000 Euro zu bezahlen. "Jetzt wird es absurd", hieß es in der Branche. Doch das ist es längst: Das Durchschnittsgehalt in Deutschland liegt nach Berechnungen der Bundesregierung bei etwas mehr als 36.000 Euro – ein Berufseinsteiger bei einer Großkanzlei erhält also ein Vielfaches davon. In keiner anderen Branche werden Neulinge so exorbitant gut bezahlt.
Und dies, obwohl klar ist, dass ein First-Year-Associate diese Summe nicht selbst wieder einbringt, auch wenn er noch so viele Wochenenden durcharbeitet. Zumal sich manche Mandanten längst dagegen wehren, dass Kanzleien ihnen das Honorar für Berufsanfänger auf die Rechnung setzen.
Warum also tätigen die Sozietäten dieses hohe Investment? Die Antwort ist simpel: Weil sie die Absolventen mit den besten Noten wollen und ihnen dafür nur Geld als Lockmittel einfällt. Das ist eigentlich verwunderlich, denn die LTO-Umfrage unter jungen Juristen zeigt: Für Berufseinsteiger ist ein hohes Gehalt nicht unbedingt entscheidend bei der Arbeitgeberwahl. Viele wünschen sich eine ausgewogene Work-Life-Balance oder eine gute Aus- und Weiterbildung in ihrer Sozietät.
Die Nachhaltigkeit der Strategie, die primär auf ein hohes Gehalt als Anreizfaktor setzt, darf man vor diesem Hintergrund bezweifeln. Zum einen: Was macht es schon aus, ob man 120.000 oder 140.000 Euro verdient, wenn man ohnehin keine Zeit hat, das viele Geld auszugeben? Zum anderen: Wollen sich Kanzleien wirklich eine Generation von Partnern heranziehen, für die der eigene Profit über allem steht? Das Beispiel von KWM sollte eigentlich zeigen, dass Kanzleien vor allem eines brauchen: loyale Anwälte, die auch in schwierigen Zeiten bei der Stange bleiben.
Anja Hall, Mein Rückblick auf 2016: . In: Legal Tribune Online, 29.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21608 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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