Wikingerhof vs. Booking.com: Wo kann ich klagen?

von Dr. Jens Steger und Sven Klüppel

23.11.2020

Vor welchen Gerichten kann man sich gegen die Geschäftspraktiken einer Online-Plattform wehren? Darüber entscheidet der EuGH im Zusammenhang mit der Klage eines Hoteliers gegen Booking.com. Jens Steger und Sven Klüppel zu den Hintergründen.

Digitale Vertriebsplattformen bestimmen heutzutage oft das Marktgeschehen und mussten in den vergangenen Jahren mehr und mehr durch die Kartellbehörden, Gerichte und neue Vorgaben aus der Politik gebändigt werden. Am Dienstag will der Europäische Gerichtshof (EuGH) nun seine Entscheidung zu den Vorabentscheidungsfragen im Fall Wikingerhof gegen Booking.com verkünden (Az. C-59/19). Auch wenn die Entscheidung eher eine prozessuale Randfrage des Rechtsstreits betrifft, dürfte sie ein zentraler Baustein für die weitere Entwicklung sein, wie in der EU künftig mit marktstarken Plattformanbietern umgegangen wird.

In vielen Märkten für Produkte und Dienstleistungen haben sich einzelne digitale Plattformen mittlerweile als die zentralen Vermittlungsstellen und ersten Anlaufpunkte für den Endkunden etabliert. Ob bei Programmen und anderen digitalen Inhalten für Mobilgeräte (Google und Apple), im Versandhandel (Amazon) oder bei Hotelzimmern (Booking) - in vielen Märkten sind die jeweiligen Marktführer mittlerweile unangefochten und schlicht nicht mehr wegzudenken.

Das Entstehen einer solchen Vormachtstellung wurde in der EU in der Vergangenheit auch nicht per se als wettbewerbsschädlich angesehen und lediglich durch eine besondere Missbrauchsaufsicht flankiert. Denn das Obsiegen eines Unternehmens am Markt wurde zu dessen Gunsten zunächst schlicht als Folge eines attraktiven Angebots für dessen Kunden gedeutet.

Sowohl Kunden als auch Anbieter profitieren von den Plattformen

In der Tat helfen die Plattformen den Endkunden, ihre "Suchkosten", sprich: den Aufwand, der für das Finden von passenden und günstigen Angeboten erforderlich ist, erheblich zu reduzieren und bieten bei vielen Produkten und Dienstleistungen nicht selten sogar die günstigsten am Markt verfügbaren Preise.

Große Plattformbetreiber profitieren aber auch von sogartigen Netzwerkeffekten. Je mehr Nutzer eine Plattform bereits hat, umso interessanter wird diese auch für neue Nutzer. Dies gilt insbesondere im Fall der mehrseitigen Vermittlungsplattformen: Für Endkunden sind gerade diejenigen Plattformen attraktiv, die über eine große Angebotsbreite und -tiefe verfügen. Anbieter wiederum haben ein umso größeres Interesse daran, eine Plattform zu nutzen, je mehr potenzielle Endkunden über diese angelockt werden können. Plattformmärkte unterliegen damit häufig einer natürlichen Monopolisierungstendenz.

Die Kartellbehörden, Gerichte und auch der Gesetzgeber sahen daher in den vergangenen Jahren einen erhöhten Handlungsbedarf, um den veränderten Markt- und Kräfteverhältnissen auf digitalen Plattformmärkten Herr zu werden. So hat die EU etwa im letzten Jahr die sogenannte Platform-to-Business-Verordnung (EU/2019/1150) erlassen, welche Plattformbetreibern gewisse Mindestvorgaben für den Umgang mit ihren Nutzern macht.

Neben Google, Apple und Co ist auch Booking.com im Fokus der Wettbewerbshüter

Im Rahmen der aktuellen Novellierung des deutschen Kartellrechts sollen zusätzliche Reglungen für Unternehmen mit einer zentralen Vermittlerrolle auf mehreren Märkten eingeführt werden und auch die oben genannten Plattformbetreiber sind bei den Kartellbehörden und Gerichten kein unbeschriebenes Blatt.

Google hat bereits mehrfach Rekordbußgelder von der Europäischen Kommission kassiert, etwa für sein Geschäftsgebaren in Bezug auf die Vermittlung von Internetwerbung. Apple müht sich derzeit, die Höhe seiner Vermittlungsprovision für App-Entwickler und seine Geschäftspolitik in Bezug auf Zahlungen für In-App-Käufe zu verteidigen, welche in den letzten Jahren insbesondere von dem Musik-App-Anbieter Spotify und dem Spieleentwickler EPIC angegriffen wurden.

Und gegen den Amazon-Marketplace laufen aktuell gleich zwei Verfahren der EU-Kommission: zum einen bezüglich des Umgangs mit Händlerdaten zum anderen in Bezug auf die dort angebotenen Direktkaufoptionen.

Aber auch Booking.com muss seine Praktiken aktuell wieder einmal verteidigen. Nachdem das Unternehmen sich in den vergangenen Jahren bereits vor dem OLG Düsseldorf für seine Bestpreisklauseln verantworten musste, stehen nun auch weitere Konditionen, die der Plattformbetreiber den Hoteliers stellt, auf dem Prüfstand.

Hotelier verklagt Booking.com wegen seiner Geschäftspraktiken

Der Hotelbetreiber Wikingerhof hatte Booking.com vor dem Landgericht (LG) Kiel wegen diverser Geschäftspraktiken auf Unterlassung in Anspruch genommen. Wikingerhof sieht sich durch die Plattform in seiner Geschäftstätigkeit eingeschränkt und kritisiert unter anderem die eigenmächtige Rabatt-Ausweisung des Portals, die starke Beschränkung der Kundenkommunikation mit den Hotelgästen und die Forderung von Sonderprovisionen, um in Suchanfragen bei Booking.com überhaupt effektiv gelistet zu werden.

Es sei für die Hoteliers nicht erkenn- und steuerbar, nach welchen Kriterien Angebote auf der Plattform als besonders rabattiert beworben würden, so Wikingerhof. Eine Kontaktaufnahme mit den Gästen jenseits des Portals werde auch nach einer Buchung bewusst und ohne gewichtige Rechtfertigung unterbunden, und eine Auflistung in den Suchergebnissen für potentielle Kunden erfolge nur, wenn der Hotelier eine viel zu hohe Sonderprovision leistet. Dem Hotelier bleibe aber, wenn er die Portalbedingungen akzeptiert hat, keine Wahl.

Welches Gericht ist überhaupt zuständig?

Wikingerhof und Booking.com stritten jedoch zunächst durch mehrere Instanzen auch über die Zuständigkeitsfrage. Nach Auffassung von Booking.com gelte die in seinen AGB enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung, wonach für Streitigkeiten aus dem Vertragsverhältnis allein die Gerichte in Amsterdam berufen seien.

Wikingerhof stützte seine Klage in Kiel aber gerade darauf, dass Booking gegen geltendes Kartellrecht verstoßen habe, womit eben auch die vom Anbieter mittels AGB eingeführte Gerichtsstandsklausel nicht zwingend anwendbar sei, sondern vielmehr Artikel 7 Nr. 1 und Nr. 2 der sogenannten Brüssel-Ia-Verordnung (EU/1215/2012) heranzuziehen seien. Der BGH legte das Verfahren schließlich dem EuGH vor.

Wikingerhof hat wohl die besseren Karten

In seinen Schlussanträgen zu dem Verfahren hat sich der Generalanwalt Henrik Saugmandsgaard Øe für eine parallele Anwendbarkeit von Art. 7 Nr. 1 und Nr. 2 Brüssel-Ia-Verordnung ausgesprochen, auch wenn zwischen den Klageparteien bereits ein Vertragsverhältnis bestehe. Der Schutz vor gesetzeswidrigen Praktiken gehe etwaigen vertraglichen Vereinbarungen vor, was auch eine Klage am Ort der Schädigung und damit zumeist auch am Sitz des Geschädigten eröffne.

Da der EuGH allgemein dazu tendiert, in seinen Entscheidungen die Erwägungen aus den Schlussanträgen der Generalanwälte zu übernehmen, scheint Wikingerhof damit die besseren Karten zu haben.

Andererseits führt Saugmandsgaard Øe in seinen Schlussanträgen gerade auch die Apple Sales International Entscheidung des EuGH vom 24. Oktober 2018 (Az. C-595/17) an, nach welcher sich eine Gerichtsstandsvereinbarung eben auch auf etwaige Ansprüche wegen Verletzungen des Wettbewerbsrechts beziehen kann. Der zentrale Unterschied für Saugmandsgaard Øe und Wikingerhof: Der Hotelanbieter wendet sich hier eben auch gegen die Umstände, unter denen diese Vertragsbedingungen seitens Booking.com vorgegeben wurden.

Kleinere Unternehmen könnten von der Entscheidung profitieren

Für Wikingerhof und Booking steht und fällt das Verfahren zunächst mit dieser Entscheidung. Denn entweder war das Landgericht Kiel bereits von Anfang an für die Klage unzuständig oder es muss weiter zu den konkreten Beschwerdepunkten des Hoteliers verhandelt werden. Auch hier könnte es zu neuen Vorlagefragen kommen, mit denen weiter konturiert werden könnte, wie stark Plattformen auf das Angebot ihrer Nutzer einwirken dürfen.

Die Entscheidung dürfte aber auch Implikationen für andere zukünftige Verfahren gegen marktstarke Plattformbetreiber haben. Gerade kleinere Unternehmen tendieren dazu, internationale Rechtsstreitigkeiten zu meiden und lassen sich im Zweifelsfall zum Teil bereits durch entsprechende Gerichtsstandsvereinbarungen davon abhalten, ihre Rechte gerichtlich geltend zu machen. Sollten sich die Richter den Anträgen von Saugmandsgaard Øe anschließen, dürfte sich damit auch die Kontrolldichte für mögliche Wettbewerbsverstöße in den Nutzungsbedingungen von Plattformen deutlich erhöhen.

Die Autoren: Dr. Jens Steger leitet die deutsche Kartellrechtspraxis bei Simmons & Simmons in Frankfurt. Sven Klüppel ist Associate in derselben Praxisgruppe.

Zitiervorschlag

Wikingerhof vs. Booking.com: . In: Legal Tribune Online, 23.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43512 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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