Erst im Sommer 2017 änderte der Gesetzgeber die StPO, nun soll die nächste Reform kommen. Strafverfolger und Gerichte hoffen auf schnellere Prozesse, Strafverteidiger kritisieren Einschnitte bei den Beschuldigtenrechten.
Das Kabinett hat sich heute auf Eckpunkte zur Reform des Strafverfahrens geeinigt. Strafgerichte und Staatsanwaltschaften fordern seit Jahren entsprechende Änderungen der Strafprozessordnung (StPO), sie erhoffen sich davon kürzere und effektivere Strafverfahren. Außerdem sollen die Ermittlungsbehörden mehr Befugnisse bei der Telekommunikationsüberwachung und bei der DNA-Analyse erhalten. Das Bundesjustizministerium wird einen entsprechenden Gesetzentwurf zu Änderung der StPO voraussichtlich im Sommer vorlegen.
Es sind Detailfragen, aber zwischen Strafrichtern auf der einen und Strafverteidigern auf der anderen Seite sind sie hoch umstritten: Neuregelungen zu Befangenheitsanträgen, Beweisanträgen und Besetzungsrügen sollen das Strafverfahren beschleunigen.
Während der Deutsche Richterbund (DRB) die "ausgewogenen" Eckpunkte begrüßt und eine rasche Umsetzung fordert, kritisiert der Deutsche Anwaltverein (DAV), dass erneut einseitig Beschuldigtenrechte beschnitten würden. "Wir hatten ja vor zwei Jahren erst eine Reform, die das Strafverfahren effizienter machen sollte. Man sollte jetzt erstmal abwarten, wie sich das in der Praxis bewährt", so Dr. Ali B. Norouzi, Rechtsanwalt für Strafrecht und Mitglied des Ausschusses Strafrecht im DAV gegenüber LTO. Union und SPD hatten schon kurz vor dem Ende der letzten Legislaturperiode im Sommer 2017 eine umfassende Reform verabschiedet.
Anträge der Strafverteidigung sollen das Verfahren weniger aufhalten
Bisher führt ein Befangenheitsantrag dazu, dass die Hauptverhandlung unterbrochen wurde, ein abgelehnter Richter darf nur noch unaufschiebbare Verfahrenshandlungen vornehmen. Künftig soll das Gericht die Hauptverhandlung zunächst fortsetzen dürfen, während über den Befangenheitsantrag in der Regel innerhalb von zwei Wochen entschieden wird.
Beweisanträge kann das Gericht bereits jetzt ablehnen, wenn der Antrag zum Zweck der Prozessverschleppung gestellt wird. Das soll so präzisiert werden, dass die Gerichte leichter zu einer "Verschleppungsabsicht" und damit zu einem Ablehnungsgrund kommen können. Auch wenn abzuwarten bleibt, wie praxisrelevant das sein wird, warnt Norouzi vor einer weiteren Einschränkung des Beweisantragsrechts: "Der Beweisantrag ist das einzige Mittel der Strafverteidigung, um auf die – ja sehr polizeilich geprägte – Ermittlung des Sachverhalts einzuwirken. Mit der letzten StPO-Reform hat der Gesetzgeber bereits eine problematische Fristenregelung eingeführt. Es ist nicht notwendig die Verteidigung hier noch stärker zu beschneiden."
Über Besetzungsrügen soll künftig vor oder zu Beginn der Hauptverhandlung abschließend durch ein höheres Gericht entschieden werden. Das soll verhindern, dass erst in der Revision die fehlerhafte Besetzung des Gerichts festgestellt wird.
Außerdem soll eine neue Regelung geschaffen werden, wonach das Gericht künftig mehreren Nebenklägern einen gemeinsamen Nebenklagevertreter beiordnen kann – nämlich immer dann, wenn die Nebenkläger "gleichgerichtete Interessen" verfolgen, etwa verschiedene Angehörige des Opfers einer Straftat.
Schließlich sollen die Fristen zur Unterbrechung der Hauptverhandlung an die Mutterschutzfristen angepasst werden, damit nicht etwa ein Strafprozess wegen des Mutterschutzes einer Richterin platzt.
CSU setzt sich bei Gesichtsverhüllung durch
Die Eckpunkte sehen außerdem vor, zwei lange umstrittene Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen: Die DNA-Analyse soll erweitert werden, sodass die Ermittler Anhaltspunkte über das Aussehen des mutmaßlichen Täters gewinnen können. Künftig könnten molekulargenetische Untersuchungen vorgenommen werden, mit denen sich die Haar-, Augen- und Hautfarbe sowie das Alter bestimmen lässt. Rückschlüsse auf die "biologische Herkunft", also auf eine ethnische Zuordnung, sind aber nicht vorgesehen.
Zudem sollen die Ermittler künftig Maßnahmen zur Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) einsetzen dürfen, wenn es um serienmäßigen Wohnungseinbruchdiebstahl geht. Das war insbesondere eine Forderung der Union. Fraktionsvize Thorsten Frei (CDU) begrüßt die geplante Änderung, fordert aber darüber hinaus weitere Änderungen im Bereich Cybercrime, insbesondere bei der Strafverfolgung von Kinderpornografie im Darknet.
Die Eckpunkte greifen außerdem eine Forderung der CSU auf: Der Gesetzentwurf soll auch regeln, dass Verfahrensbeteiligte ihr Gesicht in Gerichtsverhandlungen nicht verhüllen dürfen.
Schließlich sollen einheitliche Standards für die Gerichtsdolmetscher festgelegt werden. Weil in den Ländern bisher sehr unterschiedliche Anforderungen für Gerichtsdolmetscher gelten, könnte der Bund ein Gerichtsdolmetschergesetz erlassen, das einen einheitlichen Standard festlegt.
Opfer von Sexualstraftaten besser schützen
Das Kabinett einigte sich außerdem darauf, Opfer von Sexualstraftaten im Strafverfahren besser zu schützen. So soll die Videoaufzeichnung der richterlichen Vernehmung ausgeweitet werden, um für das Opfer belastende Mehrfachvernehmungen zu vermeiden. Nicht vorgesehen ist aber eine Aufzeichnung der Vernehmung bei der Polizei.
Allen Opfern von Vergewaltigungstatbeständen soll künftig ein Opferanwalt beigeordnet werden.
Der DAV kritisiert, dass keine Dokumentation der Hauptverhandlung mit Ton- oder Videoaufnahmen vorgesehen ist, auch nicht bei schweren Straftaten. "Das ist in den meisten europäischen Staaten Standard", so Norouzi. "Es kann nicht sein, dass wir uns allein darauf verlassen, was der Richter, der mit der Leitung der Beweisaufnahme genug zu tun hat, mitschreibt." Aus der Justiz gibt es gegen die Dokumentation aber seit langem Widerstand.
Kabinett beschließt Eckpunkte für StPO-Reform: . In: Legal Tribune Online, 15.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35407 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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