Durchsuchungen in Bundesministerien und bei einem Ex-SPD-Politiker rund um den Wahltermin mussten für Aufsehen sorgen – wer in den Justizministerien hat aber wen wann wie angewiesen? Über ein Grundproblem der deutschen Justiz-Architektur.
Die Staatsanwaltschaften in Köln und Osnabrück, beide unterstehen CDU-geführten Justizministerien, führen kurz vor und nach der Bundestagswahl viel beachtete Razzien in Berlin und Hamburg durch – es geht um völlig unterschiedliche Fälle, aber beide sorgen für Unruhe im Umfeld von Kanzlerkandidat und Wahlsieger Olaf Scholz, SPD.
So lassen sich die aktuellen Geschehnisse zusammenfassen. Und auch wenn die Hintergründe der jeweiligen Ermittlungsverfahren komplexer sind, damit liegt die Frage nahe: Waren die Durchsuchungen politisch motiviert?
Diese Frage führt mitten hinein in eine Diskussion um die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft, die die Justiz seit Jahren beschäftigt. Und die eigentlich noch vor der Wahl mit einer Gesetzesreform zumindest einigermaßen hätte geklärt werden können.
Ermittlungen rund um die Bundestagswahl müssen Fragen aufwerfen
Einige Wochen vor der Wahl ging es um Durchsuchungen der Staatsanwaltschaft Osnabrück im Bundesjustizministerium (BMJV) und im Bundesfinanzministerium (BMF), letzteres ist bisher das Ministerium von Scholz. Die Ermittlungen der Osnabrücker Staatsanwaltschaft richteten sich gegen die Geldwäsche-Zentralstelle des Zolls mit Sitz in Köln nicht gegen die Berliner Ministerien – aber offenbar war das Misstrauen bei den Ermittlern so groß, dass man die gewünschten Unterlagen nicht über den Dienstweg anfordern, sondern lieber selbst in Berlin abholen wollte. In den Ministerien stieß das auf Unverständnis, in der Öffentlichkeit sorgte es für Aufregung. Das BMJV hat inzwischen eine Rechtsbeschwerde zum Amtsgericht Osnabrück eingelegt, um die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung prüfen zu lassen. In der Beschwerde argumentiert das Ministerium, man hätte die angeforderten Unterlagen auf Anfrage ohne weiteres herausgegeben. Die Durchsuchung sei also unverhältnismäßig.
Nach der Wahl durchsuchte die Kölner Staatsanwaltschaft am Dienstag im Zusammenhang mit Ermittlungen wegen sogenannter Cum-Ex-Steuertricks Räume des ehemaligen SPD-Politikers Johannes Kahrs und der Hamburger Finanzbehörde. Es geht um die Frage, ob die Finanzbehörde versäumt hat, 47 Millionen Euro von der in die Cum-Ex-Geschäfte verstrickten Hamburger Privatbank Warburg rechtzeitig zurückzufordern. Die Staatsanwaltschaft Köln sieht einen Anfangsverdacht der Begünstigung (§ 257 Strafgesetzbuch). Gegen Scholz wird nicht ermittelt, aber er war damals Erster Bürgermeister der Stadt Hamburg.
In beiden Konstellationen dürfte allen Beteiligten bei den Staatsanwaltschaften und in den Justizministerien von vorneherein klar gewesen sein, dass die Fälle Fragen aufwerfen würden. Rund um die Bundestagswahl kann das nicht unbeobachtet bleiben. Der Wahlkampf sei einem durchaus bewusst gewesen, heißt es bei beiden Staatsanwaltschaften, dürfe aber eben keinen Einfluss auf die weiteren Schritte im Ermittlungsverfahren haben. Man habe eben möglichst "zeitnah" gehandelt, heißt es sowohl in Köln wie auch in Osnabrück.
Wer sagte was wem – und ist das dann eine Weisung?
In vielen Medienberichten wurden die Vorgänge nun bis ins Detail aufgeschlüsselt. So zeichnete der Spiegel teilweise auf die Viertelstunde genau nach, wann der Leiter der Staatsanwaltschaft Osnabrück den Generalstaatsanwalt und wann dieser Justizministerin Barbara Havliza (CDU) informierte, nämlich am Rande einer Veranstaltung am 5. September. "Ich habe diese Mitteilung zur Kenntnis genommen", sagte Havliza laut Spiegel. Sprecher der Staatsanwaltschaft und des Generalstaatsanwalts bestätigten den geschilderten Vorgang gegenüber LTO.
Im Kölner Fall hat das Justizministerium von Peter Biesenbach (CDU) inzwischen bestätigt, dass es durchaus in den Fall eingebunden war. Nach Angaben des Ministeriums gab es bereits im Mai dieses Jahres eine Weisung der Dienst- und Fachaufsicht. Dabei ging es um die Frage, ob ein Anfangsverdacht für das Vorliegen von Straftaten – als Voraussetzung für weitere Ermittlungsschritte – anzunehmen sei. Dem Generalstaatsanwalt sei mitgeteilt worden, dass die Verneinung eines Anfangsverdachts nach Prüfung der Sach- und Rechtslage anhand der vorgelegten Akten durchgreifenden Bedenken begegne. Der Generalstaatsanwalt sei gebeten worden, das Erforderliche zu veranlassen. Das Ministerium betont, dass die Prüfung und die Weisung von der Fachabteilung ausgingen. Der Minister selbst sei erst nachfolgend davon in Kenntnis gesetzt worden.
Sowohl Biesenbach als auch Havliza machten also deutlich, dass sie zwar Bescheid wussten, sich aber bewusst zurückhielten. Man kann sich nun darüber streiten, was genau unter Informiert-Werden, Zu-Kenntnis-nehmen, Prüfen und Anweisen zu verstehen ist und welche Rolle die Hausspitzen politisch wirklich spielen. Klar ist: Solche Ermittlungsverfahren laufen nicht am Justizminister oder an der Justizministerin vorbei.
Das aber ist kein Skandal, sondern die geltende Rechtslage: Die Justizministerien haben die Rechts- und Fachaufsicht über die Staatsanwaltschaften. Die Staatsanwaltschaften unterliegen ihrerseits bestimmten Berichtspflichten, müssen das Ministerium also – normalerweise in Papierform oder per Email – zumindest über bedeutende Verfahren informieren. Man kann im Ministerium also gar nicht weggucken.
Wie sähe denn die demokratische Kontrolle einer unabhängigen Staatsanwaltschaft aus?
Und das ist politisch auch durchaus so gewollt: Als Mitglied der Regierung muss sich die Spitze des Justizministeriums gegenüber dem Parlament verantworten. Etwa heute im Landtag in Düsseldorf: Die Grünen-Fraktion setzte die Cum-Ex-Razzien in Hamburg im Rechtsausschuss auf die Tagesordnung, Biesenbach musste sich erklären.
Dennoch: Die Weisungsabhängigkeit der Staatsanwaltschaft ist stark umstritten. In den meisten anderen europäischen Staaten sind die Staatsanwaltschaften unabhängig organisiert, bei der EU-Kommission und beim Europäischen Gerichtshof sorgt die deutsche Sonderrolle regelmäßig für Kopfschütteln und komplizierte Ausnahmeregelungen.
Das BMJV hatte deshalb eigentlich angekündigt mit einer Gesetzesreform zumindest mehr Transparenz zu schaffen. So sollte klargestellt werden, in welchen Fällen Weisungen im Einzelfall zulässig sein sollten und auch dass sie in der Regel schriftlich erteilt und begründet werden sollten – eben um Spekulationen zu vermeiden, wie denn nun die Äußerungen aus dem Ministerium zu verstehen sind. Bisher wurde aber nichts aus der Gesetzesänderung.
Die Frage, die die nächste Koalition beantworten sollte, lautet also nicht: Wie unabhängig ist die Staatsanwaltschaft? Sondern: Wie unabhängig wollen wir sie denn haben?
Durchsuchungen in Hamburg und Berlin: . In: Legal Tribune Online, 29.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46153 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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