Schöffenwahl 2023: Eine Info-Kam­pagne gegen Ver­fas­sungs­feinde an Gerichten?

von Dr. Markus Sehl

20.05.2022

Im nächsten Jahr werden rund 60.000 neue Laienrichter an deutsche Gerichte gewählt – unter ihnen auch Extremisten? Der Bund will nun Geld für eine Info-Kampagne bereitstellen. Bringt das was?

Der für den Haushalt zuständige Ausschuss im Bundestag hat den Weg frei gemacht für eine Kampagne, um der Gefahr durch verfassungsfeindliche Laienrichterinnen und -richter zu begegnen. Neben den Berufsrichtern sitzen in deutschen Gerichten auch rund 60.000 ehrenamtliche Richterinnen und Richter. In Strafverfahren an Amts- oder Landgerichten werden sie als "Schöffen" eingesetzt. Sie entscheiden bei bestimmten Prozessen mit, ihre Stimme zählt so viel wie die der Berufsrichterinnen und –richter, sie könnten sogar einen Einzelrichter überstimmen. Die nächste Wahlrunde steht für 2023 an, dann müssen wieder Zehntausende Stellen besetzt werden.

"Leider gibt es regelmäßig zu wenige Bewerber:innen aus der breiten Mitte der Bevölkerung für dieses wichtige Amt", so der Grünen-Abgeordnete Bruno Hönel, Mitglied des Haushaltsausschusses und Berichterstatter seiner Fraktion für das Bundesjustizministerium (BMJ). "Dafür haben in der Vergangenheit rechte und rechtsextreme Gruppen und Parteien ihre Anhänger:innen dazu aufgerufen, sich als Schöffe zu bewerben."

Eine Kampagne für die Schöffenwahlrunde 2023

Um einer solchen Gefahr etwas entgegenzusetzen, soll der Bundesverband der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter nun 330.000 Euro erhalten. Mit einer Informationskampagne sollen interessierte Bürgerinnen und Bürger bei der anstehenden Wahl 2023 gewonnen, mit einer Social-Media-Kampagne jüngere Menschen angeworben werden. Außerdem sollen mit dem Geld Einführungsveranstaltungen organisiert werden, um die ehrenamtliche Richterschaft auf ihre Aufgaben vorzubereiten.

Der Bundesverband hatte darüber hinaus Gelder beantragt, um eine eigenständige Struktur aufzubauen, eine zentrale Geschäftsstelle mit Personal. Daraus wurde nichts.

Bislang läuft die Rekrutierung der Schöffinnen und Schöffen so ab: Bewerben kann sich, wer die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt oder EU-Bürger:in ist und gegen den keine Ausschlussgründe wie etwa eine mehr als sechs-monatige Freiheitsstrafe vorliegen. Die Namen der Kandidaten werden von der Gemeinde oder Stadt auf eine Vorschlagsliste gesetzt und öffentlich ausgelegt. Dann können Einsprüche aus der Bevölkerung geltend gemacht werden. Nach Ablauf der Einspruchszeit wählt am zuständigen Amtsgericht ein siebenköpfiger Schöffenwahlausschuss die Schöffen aus.

Schwachstellen bei der Auswahl der Schöffen?

Bei der vergangenen Bewerbungsrunde 2018 hatten unter anderem NPD, Pegida und die mittlerweile vom Verfassungsschutz beobachtete AfD ihre Anhänger aufgerufen, Schöffenposten zu besetzen. In einzelnen Bundesländern, wie etwa in Hamburg, haben Gerichte beim Verfassungsschutz um eine Einschätzung der Bedrohung gebeten. Dass es im Wahlgang 2018 wirklich zu einer Unterwanderung durch Rechte gekommen ist, dafür gibt es kaum Anhaltspunkte. Zugleich ist es schwierig, sich ein Bild von der Lage zu verschaffen. Eine Abfrage der Süddeutschen Zeitung 2020 bei den Justizministerien der Länder ergab keine Auffälligkeiten.

Solche Fälle werden erst dann bekannt, wenn sie etwa die Gerichte beschäftigen. 2016 und 2017 waren das Fälle von Schöffen unter Reichsbürgerverdacht. Ein Fall aus Baden-Württemberg hatte 2008 sogar das Bundesverfassungsgericht erreicht. Das dortige Landesarbeitsgericht hatte einen Schöffen aus seinem Amt entfernt, der jahrelang Band-Mitglied einer Rechtsrockgruppe war.

"Mit der finanziellen Förderung der Informationskampagne durch den Bundesverband der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter e.V. wirken wir dem entgegen und stärken so unseren Rechtsstaat", so Hönel.

Ob der Rechtsstaat durch die Kampagne wehrhaft gegen Verfassungsfeinde unter den Schöffen gemacht werden kann, daran hat Jörg Schmitz Zweifel. Schmitz ist Schöffe in Hessen, betreibt das Videoformat "Schöffen TV", mit dem er auf die Interessen und Herausforderungen für die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter aufmerksam machen will. Er sieht erhebliche Schwachstellen im Auswahlprozess. "Der Schöffenwahlausschuss ist organisatorisch nicht in der Lage und gar nicht dazu ausgestattet, im Vorfeld einer Berufung zum Schöffen Zweifel an der Verfassungstreue zu äußern. Das wird seit Jahrzehnten beklagt", so Schmitz.

Die Realität sieht vielmehr so aus: Mehr als zwei Seiten ausgefüllter Bewerbungsbogen habe man zu den Bewerberinnen und Bewerbern nicht auf dem Tisch. Schmitz kann sogar von Amtsgerichtsdirektoren berichten, die selbst auch gar nicht wüssten, wie sie sich in wenigen Stunden mit dem kleinen Gremium einen Überblick über Hunderte Kandidaten verschaffen sollen.

Schmitz weist zudem auf einen Stadt-Land-Faktor hin: Während die Gemeinde und der Ausschuss in ländlichen Regionen noch eher wüssten, wen sie vor sich haben, werde das in Großstädten unmöglich. "Man setzt bisher komplett darauf, dass die Gemeinde es vor Ort schon regeln wird." Auf dieses Problem weist auch der Rechtsjournalist Joachim Wagner in seinem Buch "Rechte Richter" hin. Darin zitiert er den Schöffen-Experten Hasso Lieber, der den Auswahlprozess als "höchst defizitär" einschätzt.

Auftrag vom BVerfG, Desinteresse der Justizministerien?

Auch ein Grund dafür, dass sich der bildende Künstler Schmitz Sorgen um die Zukunft des Schöffenamtes macht. Er hat den Eindruck, dass das Schöffenamt von der Rechtspolitik ignoriert wird. Schmitz erinnert daran, dass das Bundesverfassungsgericht 2008 den Länderjustizministerien einen ziemlich klaren Auftrag gegeben habe.

In der Entscheidung heißt es tatsächlich: "Hierbei haben die Landesjustizverwaltungen streng darauf zu achten, dass zum ehrenamtlichen Richter nur Personen ernannt werden dürfen, die nach ihrem Persönlichkeitsbild und ihrer fachlichen Befähigung - einschließlich ihrer Einstellung zu den Grundentscheidungen unserer Verfassung - die Gewähr dafür bieten, dass sie die ihnen von Verfassungs und Gesetzes wegen obliegenden, durch den Eid bekräftigten richterlichen Pflichten jederzeit uneingeschränkt erfüllen werden."

Passiert sei bislang nichts, bilanziert Schmitz. Er fordert vor allem eine grundsätzliche Überprüfung des Auswahlprozesses, eine Art Schöffenwahlsystem 2.0.

Wer soll wie Schöffenkandidaten prüfen?

Die Rechtspolitik hat die Schöffenwahl mittlerweile auf dem Schirm, auch wenn eine vom Bundesjustizminister angestrebte Gesetzesänderung eher symbolische Wirkung haben dürfte. Bisher sind Hindernisse für die Berufung ehrenamtlicher Richter in § 44a des Deutschen Richtergesetzes (DRiG) geregelt. Sie sollen Schöffen ausschließen, die gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder des Rechtsstaats verstoßen oder die eine Stasi-Vergangenheit haben.

Der Katalog soll nach den Plänen des BMJ erweitert werden um folgenden Zusatz: Nicht berufen werden soll, wer "keine Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt". Das wäre eine Übersetzung der BVerfG-Entscheidung aus 2008 in das Gesetzesrecht.

Zur eigentlichen Herausforderung, die übrigens die Einstellung von Staatsanwälten und Richterinnen genauso betrifft, enthalten die Pläne keine Aussagen: Wer soll, darf, muss mit welchem System die verfassungstreue Einstellung von Schöffen "prüfen"? Reicht es aus, auf eine Wachsamkeit der Richterschaft im Betrieb zu setzen, auf Fortbildungen und die Selbstorganisation unter den Richterinnen und Richtern, auf die langwierigen Entfernungsprozesse bei Härtefällen?

Die Frühjahrskonferenz der Justizminister findet Anfang Juni in Bayern statt. Es dürfte die wohl letzte Chance, das Thema Schöffen vor der nächsten Wahlrunde wirklich anzugehen.

Zitiervorschlag

Schöffenwahl 2023: . In: Legal Tribune Online, 20.05.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48513 (abgerufen am: 11.11.2024 )

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