Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz: Stra­f­an­trag per E-Mail, Revi­si­ons­ver­hand­lung aus der Kanzlei

von Hasso Suliak

29.09.2023

Bei der Kommunikation mit der Justiz will das BMJ für Entlastungen sorgen. Unterschriften auf Strafanträgen und Anwaltsrechnungen sollen entfallen. Auch ist die Präsenz bei einer strafrechtlichen Revisionsverhandlung nicht mehr zwingend.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) plant zahlreiche Maßnahmen, um die Digitalisierung in der Justiz vorantreiben. Der entsprechende Referentenentwurf eines "Gesetzes zur weiteren Digitalisierung der Justiz" befindet sich derzeit in der Ressortabstimmung der Bundesregierung und liegt LTO vor. Vorgesehen sind darin diverse Rechtsanpassungen im Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Aktenführung. Zu Änderungen kommt es in nahezu allen Verfahrensordnungen – vom Arbeitsgerichtsgesetz bis hin zur Zivilprozessordnung. 

Im Strafverfahrensrecht sollen Erleichterungen bei der Strafantragstellung und weiteren derzeit bestehenden Schriftformerfordernissen geschaffen sowie den Verfahrensbeteiligten die Teilnahme an der Revisionshauptverhandlung im Wege der Videokonferenz ermöglicht werden. Im Insolvenzrecht ist geplant, die Möglichkeiten der elektronischen Forderungsanmeldung und der elektronischen Kommunikation mit den Insolvenzgläubigern zu erweitern. Zudem soll das Schriftformerfordernis für Vergütungsberechnungen der Rechtsanwälte entfallen.  

Insgesamt trage der Entwurf damit zur Erreichung von Nachhaltigkeitsziel 16 der UN-Agenda 2030 bei. Dieses lautet: "Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen." 

Die wichtigsten Neuerungen des Referentenentwurfs aus dem Bundesministerium für Justiz (BMJ) hier im Überblick:

Strafanzeige und -antrag per E-Mail möglich

Ein Strafantrag konnte bislang nur schriftlich (also in der Regel mit Unterschrift auf Papier) oder elektronisch über einen sog. sicheren Übermittlungsweg gestellt werden.

Künftig soll nun eine E-Mail oder das Ausfüllen eines Online-Formulars möglich sein, wenn die Identität der antragstellenden Person und ihre Bitte um Verfolgung der Straftat eindeutig erkennbar werden. 

Auch die Erstattung einer Strafanzeige soll künftig per E-Mail möglich werden. Bereits existierende Internetwachen der Bundesländer beschränken aktuell die Möglichkeit einer Anzeigeerstattung zudem uneinheitlich nur auf bestimmte Delikte und verwenden dabei unterschiedliche Formulare. 

Im Gesetzentwurf heißt es: "Die einfache Strafanzeige im Sinne des § 158 Absatz 1 StPO kann auch elektronisch formlos gestellt werden; sie ist lediglich durch die die Anzeige aufnehmende Person entsprechend zu protokollieren oder in sonstiger Weise zu dokumentieren. Bei schriftlich oder elektronisch eingereichten Strafanzeigen oder -anträgen erfolgt dies dadurch, dass sie zum Ermittlungsvorgang oder zur Akte genommen werden." 

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte noch im Mai 2022 ein Strafverfahren eingestellt, in dem von der Staatsanwaltschaft der Strafantrag per einfacher E-Mail geschickt worden war. Der BGH bejahte in dem Fall ein nicht behebbares Verfahrenshindernis. 

Doch ist die Neuerung nicht nur auf Strafanzeigen bzw. Strafanträge beschränkt: Auch bei anderen Erklärungen im Strafverfahren, wie etwa der Einwilligung in eine DNA-Identitätsfeststellung, soll künftig eine Unterschrift entbehrlich sein. Laut BMJ wird im Zeitalter digitaler Aktenführung damit ein Ausdrucken und Wiedereinscannen vermieden. 

Anträge als Scan an die Gerichte  

Anträge oder Erklärungen von Mandantinnen und Mandanten können von der Anwaltschaft künftig als Scan an die Gerichte übermittelt werden. Zum elektronischen Einreichen von Schriftsätzen an das Gericht sind Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte bereits seit 2022 verpflichtet. Soweit für eine Erklärung ihrer Mandantinnen und Mandanten allerdings verfahrensrechtlich die Schriftform angeordnet ist, müssen sie diese bislang in aller Regel in Papierform einreichen.  

Künftig soll es nunmehr ausreichen, dass eine Rechtsanwältin beispielsweise den unterschriebenen Insolvenzantrag als eingescanntes Dokument an das Gericht übermittelt. "Das erleichtert die Kommunikation sowohl für die Anwaltschaft als auch für Mandantinnen und Mandanten", heißt es im Entwurf. 

Ermöglicht werden soll künftig außerdem die Kündigung durch einen elektronischen Schriftsatz (Schriftsatzkündigung). Darunter versteht man die Kündigung eines Rechtsverhältnisses, die in der Regel aus prozesstaktischen Gründen zusätzlich im Rahmen eines laufenden Rechtstreits als Inhalt eines Anwaltsschriftsatzes ausgesprochen wurde. Hier erfüllten bislang empfangsbedürftige Willenserklärungen, die in elektronisch an das Gericht übermittelten Schriftsätzen enthalten sind, häufig nicht die Anforderungen an materielle Schriftformerfordernisse. Nun soll – wie es heißt – "im Interesse einer medienbruchfreien digitalen Kommunikation" die Schriftform als gewahrt gelten, wenn sie in einem Schriftsatz als elektronisches Dokument bei Gericht eingereicht und dem Empfänger übermittelt wird. 

Anwaltsrechnung ohne Unterschrift

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte dürften sich darüber hinaus auch über Erleichterungen bei der digitalen Rechnungsstellung freuen. Indem künftig auf eine Unterzeichnung der Berechnung verzichtet wird, können Rechnungen ohne Medienbrüche elektronisch erstellt und übermittelt werden. § 10 Absatz 1 Satz 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes wird entsprechend verschlankt: "Der Rechtsanwalt kann die Vergütung nur aufgrund einer dem Auftraggeber mitgeteilten Berechnung fordern; die Berechnung bedarf der Textform.“ 

Mit dieser Änderung seien jedoch keine Abstriche bei der Verantwortung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte für die Rechnung verbunden, heißt es im Gesetzentwurf. 

Erleichtert werden soll auch die Kommunikation von Unternehmen mit der Justiz: Dazu soll das Organisationskonto des Unternehmens nach dem Onlinezugangsgesetz (OZG) an das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach angebunden werden können. Hierfür soll auch das Identifizierungsverfahren ELSTER zugelassen werden. Im Insolvenzrecht wird die elektronische Forderungsanmeldung künftig in allen Verfahren möglich sein. 

Hybride Aktenführung

Um den schleppenden Prozess der Digitalisierung in der Justiz voranzubringen, müssen nach einem entsprechenden Bundesgesetz Gerichte und Staatsanwaltschaften ab 2026 alle neu angelegten Akten elektronisch führen. Dass dieses Ziel erreicht wird, wurde vom Deutschen Richterbund bereits bezweifelt. Nach Angaben des BMJ pilotieren aktuell die Länder und der Bund die E-Akte.  

Nun soll der Justiz hier der Umstieg ein stückweit erleichtert werden: Erlaubt sein sollen daher künftig verschiedene Formen der Hybridaktenführung, also Akten, die aus elektronischen und Papierteilen bestehen. Bereits angelegte Papierakten dürfen dann elektronisch weitergeführt werden dürfen, um ressourcenintensive Scan-Arbeiten zur Digitalisierung der Altaktenbestände zu vermeiden und einen Umstieg auf die elektronische Akte zu vereinfachen. Bislang sind Hybridakten grundsätzlich nicht erlaubt. 

Teilnahme an der Revisionshauptverhandlung per Videokonferenz

Erleichterungen gibt es auch für Prozessbeteiligte im Strafverfahren: So dürfen in der strafgerichtlichen Hauptverhandlung im Revisionsverfahren künftig Angeklagte, Verteidigerinnen und Verteidiger sowie die Sitzungsvertretung der Staatsanwaltschaft per Videokonferenz teilnehmen, wenn sie dies beantragen.  

Ergänzt wird hierzu § 350 StPO um einen neuen Absatz 3. "Dadurch können zeit- und ressourcenintensive Anreisen vermieden werden und die Hauptverhandlung kann flexibler terminiert und durchgeführt werden", erhofft man sich im BMJ. 

Derzeit ist nach überwiegender Ansicht auch in der Revisionsverhandlung eine Zuschaltung per Video nicht zulässig. Hierfür besteht laut BMJ jedoch kein Grund: "In der Rechtsmittelinstanz besteht anders als in der Tatsacheninstanz indes kein zwingender Grund für eine körperliche Anwesenheit, weil in aller Regel ausschließlich Rechtsfragen behandelt werden und kein persönlicher Eindruck von einer Person vermittelt oder aufgenommen werden muss", heißt es im Gesetzentwurf. 

Lob und Zweifel vom DAV

In einer ersten Reaktion fand der Deutsche Anwaltverein (DAV) lobende Worte für die geplanten Änderungen. "Die Anwaltschaft hat bereits in der BMJ-Studie zum Rückgang der Eingangszahlen in der Ziviljustiz bereits deutlich darauf hingewiesen, dass die digitale Kommunikation mit der Justiz verbessert werden müsse. Die Pläne schlagen diesen Weg ein", erklärte DAV-Hauptgeschäftsführerin Dr. Sylvia Ruge. Die Anwaltschaft sei mit dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) in Vorleistung bei der Digitalisierung gegangen, es werde nun Zeit, dass die Justiz folge. Die geplante Abschaffung des Schriftformerfordernisses bei Anwaltsrechnungen begrüßt der DAV: "Das Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift passt nicht mehr in die digitalisierte Lebenswirklichkeit. Sie entspricht sehr viel stärker den Bedürfnissen der Praxis nach einer einfachen Möglichkeit einer elektronischen Übermittlung", so Ruge.  

Kritisch überprüft werden muss nach Ansicht von Ruge jedoch die Neuerung in der strafrechtlichen Revisionsverhandlung. Eine Videokonferenz könne zur Entwertung der Hauptverhandlung beitragen. "Es gilt der hohe Stellenwert der Präsenz der Anwesenden wegen des Grundsatzes der Unmittelbarkeit. Positiv wäre, dass man inhaftierten Angeklagten die Möglichkeit einräumen könnte, ebenfalls dabei zu sein." 

Zitiervorschlag

Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz: . In: Legal Tribune Online, 29.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52812 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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