Von einem Tag auf den anderen war Malgorzata Gersdorf zu alt für ihr Amt. Aber die Warschauer Gerichtspräsidentin will sich nicht kaltstellen lassen. Ein Auftritt in Karlsruhe könnte ihrem Widerstand gegen die Regierung Auftrieb geben.
Mit Malgorzata Gersdorf hat der Kampf für die Unabhängigkeit der polnischen Justiz ein prominentes Gesicht bekommen. Spätestens seit die Präsidentin des Obersten Gerichts in Warschau am 4. Juli trotz Zwangspensionierung in Robe zum Dienst erschien, ist dieses Gesicht auch über die Grenzen Polens hinaus bekannt. "Ich kämpfe für den Staat, die Rechtsstaatlichkeit und die Einhaltung der Verfassung", sagt die 65-Jährige. An diesem Freitag bietet sich ihr dafür in Deutschland eine Bühne. Gersdorf kommt nach Karlsruhe, an den Sitz der wichtigsten deutschen Gerichte.
Die Einladung stammt aus einer Zeit, als die Entwicklung in Polen viele beunruhigte, eine solche Eskalation aber nicht abzusehen war. Gersdorf ist Rednerin der Reinhold-Frank-Gedächtnisvorlesung. Sie erinnert an den Widerstandskämpfer, der nach dem gescheiterten Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 hingerichtet wurde. Mitveranstalter sind Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und Bundesgerichtshof (BGH). Das Thema dieses Jahr: "Der Rechtsstaat in Polen - versäumte Gelegenheiten?"
Justizreform in Polen
Seit dem 4. Juli erreichen die obersten Richter in Polen mit 65 statt wie bisher mit 70 Jahren die Altersgrenze. "Unfreiwillig", wie das Gericht betont. Durchgesetzt hat das Gesetz die nationalkonservative Regierungspartei PiS. Auch Gersdorf ist 65. Für sie ist die Sache offensichtlich: Die Regierung will missliebige Richter loswerden und durch genehme Kandidaten ersetzen. Und so geht sie weiter zur Arbeit.
Das Gesetz ist umstritten. Die EU-Kommission hat deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet. Es trifft ein Drittel der Richterschaft am Obersten Gericht, der höchsten Instanz unter anderem in Zivil-, Straf- und Arbeitssachen. 14 Juristen mussten nach Angaben des Gerichts bereits ihre Posten räumen. Wer nicht gehen will, kann bei Staatspräsident Andrzej Duda einen Antrag auf Amtsverlängerung stellen. Über 13 solcher Anträge muss Duda noch entscheiden. Gersdorf hat laut PiS keinen Antrag gestellt.
Ist sie damit weiter Gerichtspräsidentin oder nicht? "Der Präsident meint, ich bin es nicht - ich meine, ich bin bis 2020 erste Vorsitzende des Obersten Gerichts und keiner kann das ändern", sagt Gersdorf und beruft sich auf die Verfassung. Darin sei die Amtszeit von Gerichtspräsidenten geschützt. "Ein Irrglaube", wie Pawel Mucha aus der Kanzlei des polnischen Präsidenten meint. "Gersdorf ist eine Richterin im Ruhestand." Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro drohte sogar mit strafrechtlichen Konsequenzen.
Unterstützung aus Karlsruhe: "zu Unrecht aus dem Amt entfernt"
Unterstützung erhält Gersdorf dagegen von der BGH-Präsidentin Bettina Limperg und dem Verfassungsrichter Johannes Masing, die sich der polnischen Kollegin demonstrativ zur Seite stellen. Die Entwicklungen im Nachbarland erfüllen die Karlsruher Richter seit längerem mit großer Sorge. Es gibt freundschaftliche Kontakte, man erlebt die Verzweiflung mit. Masing, der mit einer Polin verheiratet ist, schilderte im Januar in einem Interview das Klima, in dem er die Kollegen am polnischen Verfassungsgericht erlebt. "Ein schäbiger Umgang, Diffamation und kleine Messerstiche scheinen allgegenwärtig zu sein", sagte er der Stuttgarter Zeitung.
Nun haben die Bundesrichter also die Gelegenheit, im Fall Gersdorf öffentlich Flagge zu zeigen. BGH-Präsidentin Limperg, die über das Netzwerk der Präsidentinnen und Präsidenten der obersten Gerichtshöfe der EU mehrfach Solidarität mit den polnischen Richtern bekundet hat, macht schon vorweg klar: "Mit dem Netzwerk gehe ich davon aus, dass Malgorzata Gersdorf zu Unrecht aus dem Amt entfernt worden ist. Die Entlassung ist der vorläufige und dramatische Höhepunkt einer Entwicklung, die nur als katastrophal bezeichnet werden kann".
Gersdorf kann jede Unterstützung brauchen: Am Donnerstag hat die Warschauer Regierung ein Gesetz ins Unterhaus eingebracht, das die Nachbesetzung ihres Präsidenten-Postens schneller ermöglichen soll.
dpa/tik/LTO-Redaktion
Nach der Justizreform in Polen: . In: Legal Tribune Online, 20.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29885 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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