Verkennt die Justiz die Gefahren durch Corona? Der RAV findet: ja. In einem offenen Brief fordert der Verein die Aussetzungen aller nicht eilbedürftigen Gerichtstermine und den Stopp von negativen Aslybescheiden während des Lockdowns.
Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) hat sich mit einem offenen Brief an sämtliche Justizministerinnen und Justizminister der Länder, Präsidentinnen und Präsidenten der Gerichte sowie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gewandt. Der Verein fordert darin unverzügliche Aufhebung aller nicht eilbedürftigen Gerichtstermine sowie die Aussetzung der Zustellung von negativen Asylbescheiden bis zum Ende des harten Lockdowns. "Auch die Behörden und die Justiz sind in der Pflicht, Maßnahmen zu ergreifen, um die weitere Ausbreitung des Virus zu unterbinden", heißt es in dem Schreiben.
Jede Gerichtsverhandlung führe zu einer Steigerung der Gesundheitsgefährdung der Verfahrensbeteiligten, so der RAV. Zahlreiche Strafverhandlungen, die keine Haftsachen sind, sowie Verhandlungen in Asylsachen und in anderen Verfahren, die bereits seit Jahren an den Verwaltungsgerichten anhängig sind, könnten laut RAV ohne Probleme verschoben werden. "Gerade solche Zusammenkünfte sollen aber im Sinne des Pandemieschutzes – soweit möglich – vermieden werden." Aufschiebbare Termine seien daher aufzuheben und für die Zeit nach dem Lockdown neu zu terminieren. Die bisher in den meisten Gerichten ergriffenen Hyienemaßnahmen seien nicht ausreichend.
"Seitens des RAV wird nicht verkannt, dass eine Aufhebung von Gerichtsterminen im Lockdown zu Einschränkungen bei der Rechtspflege führt", heißt es weiter. Es seien aber eine Vielzahl weiterer relevanter gesellschaftlicher Bereiche von den Einschränkungen betroffen, wie etwa Bildung, Kultur und Religion. "Ein etwaig bestehender Erledigungsdruck für die Gerichte kann auch durch eine Aussetzung des Personalberechnungssystems PEBB§Y genommen werden", schlägt der RAV vor.
BAMF soll negative Bescheide aussetzen
Die Anwälte und Anwältinnen fordern außerdem das BAMF dazu auf, wieder zur Praxis während des Lockdowns im Frühjahr 2020 zurückkehren und die Zustellung negativer Entscheidungen auszusetzen. Für die Betroffenen sei derzeit der Zugang zu anwaltlicher Beratung oder Unterstützung durch unabhängige Beratungsstellen de facto nicht gegeben.
Darüber hinaus sei eine Vielzahl von Geflüchtetenunterkünften durch Quarantäneanordnungen abgeriegelt. "Selbst wenn Möglichkeiten bestehen, die Unterkünfte zu verlassen, ist es aufgrund der pandemiebedingten Zugangsbeschränkungen zu den Kanzleien nahezu unmöglich, anwaltliche Vertretung zu erreichen", heißt es in dem Brief.
"Ich selbst habe für den Januar 16 Gerichtstermine, allesamt Nicht-Haftsachen und Asylsachen. In den Strafsachen kommen regelmäßig - weil Umfangsverfahren - zwischen 15-20 Verfahrensbeteiligte aus unterschiedlichen Landkreisen zusammen", so Dr. Kati Lang, Mitglied des erweiterten Vorstands des RAV. "Asylsachen, die teils schon über drei Jahre anhängig sind, sollen nun gerade jetzt verhandelt werden", kritisiert Lang.
acr/aka/LTO-Redaktion
Offener Brief wegen Corona: . In: Legal Tribune Online, 11.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43934 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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