2/3: Befangenheitsanträge: Weiterverhandlung jetzt schon möglich
Nach Befangenheitsanträgen vor und während der Hauptverhandlung soll die Hauptverhandlung nach den Vorstellungen des "2. Strafkammertages" bis zum übernächsten Verhandlungstag, mindestens aber für zwei Wochen fortgesetzt werden können. Dies bedeutet, dass eine Hauptverhandlung bei theoretisch maximal straffer Terminierung an zehn (ggf. sogar zwölf) vollen Verhandlungstagen mit einem ggf. befangenen Richter fortgesetzt werden könnte.
Abgesehen davon, dass dies mit Blick auf die Bedeutung des unbefangenen gesetzlichen Richters der verfassungskräftigen Forderung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz wohl kaum gerecht wird, liegt darin im Einzelfall auch kein Effizienzgewinn:
Wenn sich herausstellt, dass der Richter zu Recht abgelehnt wurde, ist die gesamte Hauptverhandlung mit einem unbefangenen Richter zu wiederholen. In der Praxis leider gelegentlich zu begegnenden Missbräuchen des Ablehnungsrechts des Beschuldigten kann durch § 26a StPO (Unzulässigkeit ersichtlich missbräuchlicher Gesuche) einerseits und durch die recht großzügige Auslegung des § 29 StPO durch die höchstrichterliche Rechtsprechung, die eine Fortsetzung der Hauptverhandlung bis zum übernächsten Tag ermöglicht, hinreichend begegnet werden. Ein Rechenbeispiel: War der letzte Verhandlungstag ein Freitag, kann nach § 229 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 StPO bis zu 45 Kalendertage nach Anbringung des Gesuchs weiterverhandelt werden.
Besetzungsrügen: Der BGH kaltgestellt, das BVerfG als "Superbeschwerdeinstanz"
Eine Entscheidung über Besetzungsrügen soll nach dem Papier des "Strafkammertages" im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens geregelt werden, wobei die sofortige Beschwerde keine aufschiebende Wirkung entfalten und die vom Beschwerdegericht getroffene Entscheidung für das Revisionsverfahren bindend sein soll. Abgesehen davon, dass sich die Rechtsprechung gegen vermeintliche missbräuchliche Besetzungsrügen heute mit einer nicht zweifelsfreien analogen Anwendung von § 29 StPO behilft, damit am ersten Hauptverhandlungstag weiterverhandelt werden kann, zeugt auch dieser Vorschlag von erstaunlicher Praxisferne – und schon gar nicht führte er zu einer Entlastung der Justiz als Ganzes.
Ein solches Verfahren würde vielmehr bedeuten, dass die von der Verteidigung vor einer Großen Strafkammer erhobene Besetzungsrüge vom regional zuständigen Oberlandesgericht beschieden würde und dem BGH der Zugriff auf die rechtliche Beurteilung entzogen wäre – obwohl es sich um eine wesentliche Verfahrensfrage handelt. Mithin könnte es zu einer regional zersplitterten Rechtsauslegung durch die Oberlandesgerichte zu verfassungsrechtlich relevanten Rechtsfragen der Besetzung kommen – das Verfahren der Außendivergenz bei uneinheitlicher OLG-Judikatur (§ 121 Abs. 2 Gerichtsverfassungsgesetz) hilft da kaum.
Der BGH könnte entgegen seiner eigentlichen Zuständigkeit für alle Großen Strafkammern in Deutschland keine einheitliche Rechtsprechung mehr durchsetzen. Am Ende müssten die Fragen durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden werden. Dieses würde geradezu zwingend zur bundesweiten "Superbeschwerdeinstanz" für Besetzungsfragen. Und worin läge angesichts der Belastung des Verfassungsgerichts dann der gewünschte Gewinn an Effizienz oder Beschleunigung?
Reformvorschläge des 2. Strafkammertags zur StPO: . In: Legal Tribune Online, 09.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25445 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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