Während in Polen über den Wechsel an der Spitze der Regierung diskutiert wird, treibt die PiS-Partei ihre umstrittene Justizreform voran. Am Freitag stimmt das Parlament über zwei Gesetzentwürfe ab. Richter protestieren.
Die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo ist zurückgetreten, der bisherige Finanz- und Wirtschaftsminister Mateusz Morawiecki soll ihr Nachfolger werden. Morawiecki gilt als Vertrauter des PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski, des "starken Mannes" in der polnischen Führung.
Es gilt als sicher, dass Morawicki am kommenden Dienstag vom Parlament bestätigt wird, denn die rechtpopulistische PiS-Partei hat eine stabile Mehrheit. Kritiker werten das Ganze allerdings als Ablenkungsmanöver: Das Parlament soll nämlich am heutigen Freitag über die seit Monaten umstrittene Justizreform abstimmen.
Bereits am Mittwoch wurden zwei Gesetzentwürfe im Parlament diskutiert. Politiker der Opposition warfen der Regierungspartei PiS in der mehrstündigen Debatte vor, die Justiz unter ihre Kontrolle bringen zu wollen. Dies verstoße gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung und gegen die Verfassung, sagte Borys Budka, der stellvertretende Vorsitzende der liberalen Oppositionspartei PO.
Update am Tag der Veröffentlichung, 15:12: Das Unterhaus des polnischen Parlaments hat das Gesetz über den Obersten Gerichtshof verabschiedet. Damit wird das Rentenalter für die Richter am Obersten Gericht von 70 auf 65 herabgesetzt. Jetzt muss das Gesetz noch von der zweiten Kammer des Parlaments, dem Senat, angenommen und vom Präsidenten unterschrieben werden. Beides gilt als hochwahrscheinlich. Ein weiteres Gesetz der Reform soll ebenfalls am Freitag verabschiedet werden. Es betrifft den Landesjustizrat.
PiS will zahlreiche Richter austauschen
Ziel der Reformen ist es, zahlreiche Richter am Obersten Gericht und in den unteren Instanzen auszutauschen. Dazu soll das von der PiS dominierte Parlament insbesondere den Landesjustizrat unter seine Kontrolle bringen, der maßgeblich an der Neubesetzung von Richterstellen beteiligt ist.
Die EU-Kommission droht Warschau wegen der Einflussnahmen auf die Justiz mit der Einleitung eines Verfahrens nach Art. 7 EU-Vertrag, das im Ergebnis zu einem Entzug der Stimmrechte führen könnte. Menschenrechtsorganisationen hatten die Reformpläne scharf kritisiert. Bürgerrechtler demonstrierten in Warschau unter dem Motto "3xW". Der Slogan steht für "freie Gerichte, freie Wahlen, freies Polen". Auch die polnische Richtervereinigung Iustitia hatte immer wieder vor den Reformen gewarnt.
Die Venedig-Kommission des Europarates hat Polens Justizreform scharf kritisiert. Die zwei Gesetze, die Präsident Andrzej Duda dem Parlament vorgelegt hat, würden die Unabhängigkeit der polnischen Justiz "einem ernsthaften Risiko aussetzen", heißt es in der Stellungnahme, die die Kommission am Freitag veröffentlichte. Duda hatte im Juli dieses Jahres zunächst ein Veto gegen die Gesetzentwürfe der PiS-Fraktion eingelegt – er wollte damit vor allem seine eigene Position gegenüber Justizminister Zbigniew Ziobro stärken. Die Venedig-Kommission warnt, dass sich damit nicht viel geändert habe. Es gebe nur einige sehr begrenzte Verbesserungen gegenüber den Entwürfen, die der Präsident im Juli abgelehnt hatte.
Krakauer Richter verabschieden Resolution
Insbesondere die unteren Instanzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit stehen bereits massiv unter Druck. Im August trat das Gesetz über die ordentliche Gerichtsbarkeit in Kraft, wonach der Justizminister die Präsidenten und Vize-Präsidenten dieser Gerichte innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten entlassen kann. Ziobro hat davon bereits mehrfach Gebrauch gemacht. Iustitia-Präsident Krystian Markiewicz nannte die Amtsenthebungen einen "beispiellosen Versuch, die Justiz zu übernehmen".
Dagegen formiert sich immer mehr Widerstand. Anfang Dezember versammelten sich die Richter mehrerer Gerichte in Krakau, nachdem die Präsidentin des Krakauer Landgerichts Beata Morawiec und zwei ihrer Stellvertreterinnen abberufen wurden. Die Richter verabschiedeten eine Resolution, in der sie die Amtsenthebungen scharf kritisierten, und appellierten an ihre Kollegen, nun vakante Posten nicht anzunehmen.
Die Krakauer Richter warnten zudem vor den weiteren geplanten Justizreformen, über die am Freitag entschieden werden soll. Sie seien "gleichbedeutend mit dem Rückzug Polens aus der westlichen Rechtskultur". In der Resolution riefen sie alle Richter an ordentlichen Gerichten dazu auf, vor oder nach Verhandlungen einen Aufruf für die Unabhängigkeit der Gerichte zu verlesen.
Der Aufruf richtet sich gegen die Maßnahmen der Regierung und eine Kampagne, mit der die Justiz diskreditiert werden soll. Darin heißt es unter anderem: "Ohne unabhängige Gerichte gibt es keine Demokratie und keinen angemessenen Schutz von bürgerlichen Rechten und Freiheiten." Alle Bürger Polens sollten die die verfassungsgemäße Ordnung "innerhalb des geltenden Rechts verteidigen".
Morawiecki gilt als gemäßigt – aber nicht als justizfreundlich
Schwierig abzuschätzen ist, wie sich die scharfe öffentliche Debatte um die Justizreformen unter dem neuen Ministerpräsidenten Morawiecki entwickeln wird. Er gilt als einer der gemäßigten Köpfe in der nationalkonservativen Regierung und als einer der Politiker mit der größten Wirtschaftskompetenz.
Morawiecki war Chef der Bank BZWBK, die zur spanischen Santander-Gruppe gehört. Er spricht fließend Englisch und versteht gut Deutsch. Es wird auch vermutet, dass die PiS ihn aufstellt, um das ramponierte Image Polens in der EU aufzubessern.
Für die regierungskritische liberale Zeitung Gazeta Wyborcza birgt "die Nominierung Morawieckis eine (kleine) Chance, dass die PiS von der polternden Rhetorik voller Fremdenhass und dem zunehmenden Autoritarismus abrückt".
Allerdings soll er sich mit dem Parteivorsitzenden Kaczynski, der für seine scharfen Äußerungen bekannt ist, hervorragend verstehen. Das Gesetz sei nicht alles, wichtig sei auch "Gerechtigkeit", meint Morawiecki. Seine Kritiker verstanden dies als Rechtfertigung einer Abkehr Polens vom Rechtsstaat.
Mit Material der dpa
Annelie Kaufmann, Polnische Richter sehen ihre Unabhängigkeit in Gefahr: . In: Legal Tribune Online, 08.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25933 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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