Das BMJV plant, das Weisungsrecht der Justizminister gegenüber der Staatsanwaltschaft einzuschränken. Die vorgeschlagene Gesetzesänderung ist auch eine Antwort auf aktuelle EuGH-Urteile zur Unabhängigkeit der deutschen Justiz.
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat einen Referentenentwurf vorgelegt, um das Weisungsrecht der Justizminister gegenüber der Staatsanwaltschaft einzuschränken. Vorgesehen ist insbesondere eine Ausnahmeregelung für die justizielle Zusammenarbeit in der EU. Hier sollen Weisungen im Einzelfall ausgeschlossen werden, insbesondere wenn die Staatsanwaltschaft einen europäischen Haftbefehl (EHB) ausstellt oder vollstreckt. Zudem sieht der Gesetzentwurf vor, dass künftig alle Weisungen schriftlich begründet werden müssen.
In Deutschland ist die Staatsanwaltschaft – anders als in den meisten anderen EU-Staaten – weisungsabhängig. Der Bundesjustizminister bzw. die Justizminister der Länder können den ihnen untergeordneten Staatsanwaltschaften Weisungen erteilen, auch in konkreten Einzelfällen. Solche Weisungen sind zwar selten, aber sie kommen vor. Das Argument dafür: Die Justizminister sind dem Parlament gegenüber verantwortlich, so werde das Handeln der Staatsanwaltschaft demokratisch legitimiert.
Deutsche Staatsanwaltschaften nicht unabhängig genug?
Doch dieses System sorgte zuletzt immer wieder für Unruhe, vor allem wenn es um die Zusammenarbeit der Justizbehörden in Europa ging. So entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) schon 2019, dass deutsche Staatsanwaltschaften keine EHB ausstellen dürfen. Seitdem muss jeder EHB von einem Richter unterzeichnet werden, rund 5.000 Haftbefehle mussten ersetzt werden, weil sie den Anforderungen des EuGH nicht entsprachen. Ende vergangenen Jahres verkomplizierte eine weitere EuGH-Entscheidung die Lage: Auch bei der Vollstreckung eines EHB muss eine unabhängige Justizbehörde tätig werden, stellten die Luxemburger Richter fest.
Damit war klar, dass die justizielle Zusammenarbeit in Europa mit dem deutschen Justizsystem so nicht funktioniert – schließlich beruht die Zusammenarbeit auf der Idee, dass sich die Justizbehörden der Mitgliedstaaten vertrauen und eine schnelle und unkomplizierte Zusammenarbeit möglich ist. Eine Staatsanwaltschaft, die jede ihrer Handlungen von einem Gericht absegnen lassen muss, weil sie keine unabhängige Justizbehörde ist, steht im Widerspruch dazu.
Das BMJV kündigte deshalb eine Neuregelung an. Der Referentenentwurf liegt nun vor. Das BMJV hatte ihn bereits vor einigen Tagen auf der Ministeriumshomepage veröffentlicht – dort ist er bislang aber ziemlich unbemerkt geblieben. Der Entwurf sieht eine Ergänzung des § 147 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) vor. Bisher ist in § 147 GVG lediglich geregelt, dass das Recht der Aufsicht und Leitung hinsichtlich des Generalbundesanwalts und der Bundesanwälte der Bundesjustizministerin zusteht und der Landesjustizverwaltung hinsichtlich aller staatsanwaltschaftlichen Beamten des Landes.
Grenzen für das Weisungsrecht und Dokumentationspflicht
Mit der Ergänzung soll klargestellt werden, dass Weisungen nur zulässig sind, "soweit in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht ein Entscheidungs- oder Beurteilungsspielraum besteht, sowie im Bereich der Ermessensausübung", so der Wortlaut des neuen § 147 Abs. 2 GVG. Außerdem heißt es: Weisungen ergehen "frei von justizfremden Erwägungen".
Damit soll rechtspolitisch auf Bedenken des EuGH reagiert werden. Denn die Luxemburger Richterinnen und Richter hatten im Mai 2019 die Befürchtung geäußert, dass deutsche Justizminister Einfluss auf Entscheidungen der Staatsanwaltschaft nehmen könnten. Der EuGH vermisste vor allem nähere Regelungen zu Umfang und Grenzen des deutschen Weisungsrechts. Wie es nun in der Entwurfsbegründung heißt, soll der neue Absatz im GVG dem Rechnung tragen. So soll der Einsatz des Weisungsrechts vorhersehbarer und kontrollierbarer werden.
Weisungen sollen künftig schriftlich erteilt und begründet werden. Ist dies aus besonderen Gründen nicht möglich, so muss eine mündlich erteilte Weisung spätestens am folgenden Tag schriftlich bestätigt werden.
Diese Neuerung lässt sich auch vor dem Hintergrund der sogenannten Netzpolitik.org-Affäre aus dem Jahr 2015 sehen. Im Wesentlichen ging es damals um eine Weisung aus dem BMJV an die Bundesanwaltschaft. Die Affäre um die Ermittlungen gegen das Internet-Portal Netzpolitik.org hatte damals für viel Wirbel gesorgt und den - mittlerweile verstorbenen - Generalbundesanwalt Harald Range schließlich seinen Job gekostet. Auch der damalige Bundesjustiz- und heutige Außenminister Heiko Maas war darin verwickelt, weil er eine Weisung an Range erteilt haben soll, das Verfahren wegen Landesverrats gegen die Journalisten einzustellen.
Anpassungsdruck aus der EU?
Schließlich sollen auf Einzelfälle bezogene Weisungen unzulässig sein, "wenn sie Entscheidungen nach dem Achten bis Elften und Dreizehnten Teil des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen betreffen". Damit soll die "Handlungsfähigkeit" der deutschen Staatsanwaltschaft gesichert werden, heißt es in der Begründung.
Zwar betont das BMJV in dem Entwurf, dass das "Europäische Leitbild", so wie es der EuGH in seinen jüngsten Entscheidungen zum Ausdruck gebracht hat, keinen zwingenden Anpassungsdruck für den deutschen Gesetzgeber erzeugt habe. Denn über die Gerichtsverfassung bestimme jeder Mitgliedsstaat nach Art. 4 EUV selbst, sie zähle zu den "grundlegenden […] verfassungsmäßigen Strukturen". Dennoch räumt das BMJV ein, dass ein mittelbarer Anpassungsdruck entstanden sei, weil ansonsten die Kooperationsfähigkeit der deutschen Staatsanwaltschaft beeinträchtigt werde.
Entwurf erreicht Länder und Verbände
Den Plänen des BMJV gingen zahlreiche Vorschläge zur Neugestaltung des Weisungsrechts voraus. Auf Bundesebene hatte die FDP-Fraktion im Juni einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, der vorsieht, das externe Weisungsrecht für Einzelfälle abzuschaffen. Die Fraktion der Grünen brachte im September einen ähnlichen Entwurf ein, sie fordert eine Beschränkung des Weisungsrechts auf evidente Ausnahmefälle.
Der Deutsche Richterbund hatte im Dezember 2020 eine umfassende Reform und vor allem eine weitgehende Abschaffung des Weisungsrechts im Einzelfall gefordert.
Auch die deutschen Generalstaatsanwaltschaften und die Bundesanwaltschaft schickten Anfang Dezember 2020 konkrete Vorschläge an das BMJV. Die sind nun wohl auch weitgehend in den Referentenentwurf eingeflossen.
Der Entwurf erreicht nun die Länder und die Verbände, die sich mit ihren Stellungnahmen beteiligen können. Im nächsten Schritt müsste nach Abstimmung das Regierungskabinett aus dem Referentenentwurf einen Kabinettsentwurf machen, der dann auch dem Bundestag zugeleitet werden kann.
BMJV legt Gesetzentwurf zum Weisungsrecht vor: . In: Legal Tribune Online, 20.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44050 (abgerufen am: 22.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag