Neben der Strafbarkeit von "Containern", Legal Tech und Messerangriffen hat auch der EuGH in letzter Minute den Justizministern für ihre Frühjahrskonferenz ein Diskussionsthema geliefert – auch wenn das offiziell nicht auf der Tagesordnung steht.
Ein besonders drängendes Thema für die Justizminister, die sich diese Woche am Mittwoch und Donnerstag in Lübeck-Travemünde treffen, kommt aus Luxemburg. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 27. Mai entschieden, dass die deutschen Staatsanwaltschaften nicht unabhängig genug sind, um europäische Haftbefehle auszustellen.
Damit haben die Richter der Großen Kammer des EuGH in letzter Minute vor der 90. Frühjahrskonferenz den Justizminister eine weitere Arbeitsaufgabe geliefert. Zwei Lösungen des Auftrags aus Luxemburg liegen eigentlich auf der Hand:
Die "kleine" Lösung: Beim System der deutschen Staatsanwaltschaft bleibt strukturell alles beim Alten. Bevor allerdings ein EU-Haftbefehl an die Behörden eines anderen Staates geschickt werden könnte, bedürfte es dann einer zusätzlichen Entscheidung durch einen Richter.
Richterverbände fordern Abschaffung des Weisungsrechts gegenüber Staatsanwälten
Die "große" Lösung hat der Vorsitzende des Deutschen Richterbunds (DRB) Jens Gnisa am Dienstag noch einmal ausdrücklich mit Blick auf die anstehende Konferenz in Travemünde ins Spiel gebracht. Gnisa hat die Justizminister von Bund und Ländern aufgefordert, den Wegfall des politischen Weisungsrechts gegenüber den Staatsanwaltschaften rasch auf den Weg zu bringen. "Paragraph 147 des Gerichtsverfassungsgesetzes muss so abgeändert werden, dass jeglicher politischer Einfluss auf die Staatsanwaltschaften ausgeschlossen ist und Deutschland endlich auf die Höhe europäischer Justizstandards gebracht wird", sagte Gnisa.
Die Vorsitzende des Bayerischen Richtervereins Andrea Titz warnte bereits kurz nach der EuGH-Entscheidung: "Die bloße Übertragung der Ausstellungskompetenz für Europäische Haftbefehle auf die Gerichte wäre nur eine Umgehung des Problems, nicht dessen Lösung." Auch der Sprecher des Bundesvorstandes der Neuen Richtervereinigung Carsten Löbbert forderte zu einer Reform auf: "Die deutsche Justiz sollte sich ihren organisatorischen Lebenslügen stellen."
Und die Zeit drängt. Auf Anfrage von LTO geht die Generalstaatsanwaltschaft Celle, die die Arbeit der deutschen Generalstaatsanwaltschaften koordiniert, davon aus, dass auch die 5.600 europäischen Haftbefehle, die aus Deutschland stammen, neu ausgestellt werden müssen.
Der Komplex rund um die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft steht nicht offiziell auf der Tagesordnung der JuMiKo. Stattdessen finden sich Messerangriffe, Legal Tech und der Einsatz pensionierter Staatsanwälte: Und das sind nur einige der aktuell 22 Themen.
"Containern" entkriminalisieren
"Containern", "Mülltauchen" oder "Dumpster Diving" – diese Begriffe meinen das Mitnehmen weggeworfener Lebensmittel aus Abfallcontainern etwa bei Supermärkten. Anhänger dieses Vorgehens versorgen sich damit selbst und kämpfen gegen Lebensmittelverschwendung.
Deutsche Strafgericht bewerten das Entnehmen von weggeworfenen Lebensmitteln indes recht unterschiedlich. Rein tatbestandlich deutet vieles auf einen Diebstahl hin. Und wenn es sich sogar um einen verschlossenen Müllcontainer handelt, dann sogar um einen Diebstahl in einem besonders schweren Fall. Oft stehen die Abfallbehälter großer Supermarktketten auch noch auf privatem Gelände, sodass auch Hausfriedensbruch im Raum steht.
Zuletzt wurden zwei bayrische Studentinnen vom AG Fürstenfeldbruck wegen Diebstahls schuldig gesprochen – eine Verurteilung blieb aus, sie wurden mit Strafvorbehalt verwarnt. In anderen Fällen war nach § 153 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt worden.
Eine klare Entkriminalisierung des sog. "Containerns" will nun ein Vorschlag aus Hamburg erreichen. Angesichts des in Artikel 20a GG formulierten Staatsziels des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen und der täglich massenhaften Vernichtung von Lebensmitteln sei die Kriminalisierung problematisch.
Rechtspolitisch könnte das so gelingen: Entweder eine Änderung der entsprechenden Straftatbestände direkt im StGB oder eine Anpassung des § 959 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), der die Aufgabe des Eigentums regelt. Schließlich bringt der Vorschlag auch eine Änderung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) ins Spiel. So könnten noch genießbare Lebensmittel aus dem Abfallbegriff herausgenommen werden. In § 3 Abs. 1 KrWG findet sich eine vergleichbare Wertung wie in § 959 BGB.
Pensionierte Staatsanwälte zurück in den Dienst
Der Sitzungsdienst gilt als Stressfaktor bei der Staatsanwaltschaft. Um die hohe Arbeitsbelastung abzuschwächen, sollen nach einem Beschlussvorschlag aus Hamburg bereits pensionierte Staatsanwälte wieder zurück an die Gerichte geholt werden. Das mag auch besonders nahe liegen angesichts einer anstehenden Pensionierungswelle in der Justiz. Laut der Begründung des Vorschlags, die LTO vorliegt, verspricht man sich durch die Rückkehr der Pensionierten an die Gerichte einen "erheblichen" Gewinn von "Erfahrungswissen".
Gegenwärtig steht der Idee noch Art. 33 Abs. 4 Grundgesetz (GG) entgegen, der verlangt, dass die Ausübung hoheitlicher Befugnisse durch Angehörige des öffentlichen Dienstes erfolgt – das sind Staatsanwälte im Ruhestand nicht mehr. Ganz neu ist die ganze Idee nicht, ein entsprechender Vorschlag aus Bayern scheiterte 2010 im Bundesrat noch bevor er den Bundestag erreichen konnte. Die Bundesregierung befürchtete damals, dass die Weiterbeschäftigung von Älteren Beamten auf Kosten der Jüngeren gehen würde. Möglicherweise hat sich die Lage nun aber geändert, die Länderjustiz sucht vielerorts händeringend Nachwuchs.
Der damalige Entwurf schlug vor, in § 142 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) noch einen Abs. 4 einzufügen. Bisher wird in Abs. 3 etwa geregelt, dass Referendare die Sitzungsvertretung übernehmen können. Für den Einsatz der pensionierten Staatsanwälte soll dann ein "dringendes dienstliches Bedürfnis" notwendig sein.
Messerangriffe als Verbrechen?
Nach einer Polizeistatistik aus Baden-Württemberg soll die Zahl der Gewaltdelikte unter Einsatz eines Messer um 24 Prozent zwischen 2013 und 2018 zugenommen haben. Ein Vorschlag aus dem Bundesland setzt sich deshalb für eine besondere Berücksichtigung des Tatwerkzeugs "Messer" ein.
Angeregt wird, die Körperverletzung mittels eines Messers zu einem Verbrechen hochzustufen und damit eine Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe für solche Angriffe vorzusehen. Auch sei zu überlegen, ob der Messereinsatz auch bei dem abstrakten Gefährdungsdelikt des § 231 StGB, der Beteiligung an einer Schlägerei, berücksichtigt werden könnte. Das dürfte den Anwendungsbereich der Norm erheblich erweitern.
Am Freitag wird der Bundesrat über ein Messerverbot im öffentlichen Raum, wie etwa in Fußgängerzonen, Einkaufszentren und öffentlichen Verkehrsmittel beraten. Auch bisher ist es den Kommunen schon begrenzt möglich, Waffenverbotszonen einzurichten. Besonders unklar scheint noch, wie und wo die Polizei dann von einem ausgeweiteten Durchsuchungsrecht Gebrauch machen darf, um ein Verbot durchzusetzen.
Anwälte auch für Länder teurer geworden
Auch die Erhöhung der Rechtsanwaltsvergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) beschäftigt die Justizminister. 2013 beschloss der Bundestag mit dem 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz eine Anhebung der Gebühren. Durch die Erhöhung geraten die Justizhaushalte der Länder unter Druck, wie ein Landesvorschlag ausführt. Die ebenfalls 2013 angehobenen Gerichtsgebühren würden nicht ausreichen, um die Mehrausgaben nach dem RVG auszugleichen. Beim Treffen der Justizminister 2018 in Eisenach hatte die JuMiKo einer Länderarbeitsgruppe den Auftrag erteilt, die Kostensituation zu untersuchen.
Alternativen zur Ersatzhaft?
In Travemünde wird eine Länder-Arbeitsgruppe ihre Ergebnisse zu einer "Prüfung alternativer Sanktionsmöglichkeiten" vorstellen. Insbesondere geht es dabei um die Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen nach § 43 StGB, er sieht für uneinbringliche Geldstrafen eine Freiheitsstrafe vor. Bei der Umrechnung entspricht ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe.
Die von NRW und Brandenburg geführte Arbeitsgruppe hat sich kritisch mit den Umständen der Ersatzfreiheitsstrafe beschäftigt, etwa auch mit den Fragen, wen sie warum trifft, dazu hat sie auch Armutsgefahr und Überschuldungssituationen untersucht. Der Vorschlag regt an, kurze Haftstrafen zu vermeiden und die Ersatzfreiheitstrafe stärker als Surrogat zur Geldstrafe zu sehen und gegenüber der Freiheitsstrafe abzugrenzen.
Was die JuMiKo noch beschäftigen wird: 5G, Hasskriminalität, Legal Tech
Ein Vorschlag aus Bayern warnt davor, dass die 5G-Mobilfunktechnologie für Schwierigkeiten bei der Ermittlungsarbeit sorgen könnte. Die neue Technologie soll nicht nur eine schnellere Datenübertragung möglich machen, sondern auch generell verschlüsselt ablaufen. Das hätte Konsequenzen für die Telekommunikationsüberwachung (TKÜ), die dann nur noch als Quellen-TKÜ erfolgreich sein dürfe, wie der Vorschlag ausführt. Auch der Einsatz von sog. IMSI-Catchern zur Standortermittlung eines Mobiltelefons werde erschwert. Der Vorschlag plädiert deshalb dafür, dass die Justizminister sich für entsprechende Änderungen etwa in der StPO aussprechen.
Außerdem werden sich die Justizminister auch noch mit den Herausforderungen von Legal Tech für die Justiz, dem Bericht einer Arbeitsgruppe zu Fake News und einer Änderung des Bedrohungstatbestandes nach § 241 StGB, um verstärkt gegen Hasskriminalität vorgehen zu können, beschäftigen. Auf der Tagesordnung steht auch die Diskussion darüber, wie deutsche Gerichte als Justizstandort für Wirtschaftsstreitigkeiten gestärkt werden können. Nicht zuletzt soll es auch um das geplante Forum Recht in Karlsruhe gehen.
JuMiKo 2019 in Travemünde: . In: Legal Tribune Online, 04.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35757 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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