LTO-Exklusiv: die JuMiKo-Themen 2019: Die Rück­kehr der pen­sio­nierten Staats­an­wälte

von Dr. Markus Sehl

22.05.2019

Die Leistungsfähigkeit der Justiz wird die Justizminister auf ihrer Frühjahrskonferenz in Travemünde in zwei Wochen beschäftigen. Außerdem geht es um Messerangriffe, strafbares "Containern", Legal Tech, Hasskriminalität und Fake News.

Messerangriffe, Legal Tech und der Einsatz pensionierter Staatsanwälte: Das sind nur einige der 26 Themen, die die Justizminister auf ihrer 90. "Frühjahrskonferenz" am 5. und 6. Juni in Lübeck-Travemünde beraten wollen. Das geht aus einer vorläufigen Tagesordnung hervor, die LTO vorliegt. Aus vielen Themenvorschlägen spricht eine Sorge über die Leistungsfähigkeit der Justiz.

Der Sitzungsdienst gilt als Stressfaktor bei der Staatsanwaltschaft. Um die hohe Arbeitsbelastung abzuschwächen, sollen nach einem Beschlussvorschlag aus Hamburg bereits pensionierte Staatsanwälte wieder zurück an die Gerichte geholt werden. Das mag auch besonders nahe liegen angesichts einer anstehenden Pensionierungswelle in der Justiz. Laut der Begründung des Vorschlags, die LTO vorliegt, verspricht man sich durch die Rückkehr der Pensionierten an die Gerichte einen "erheblichen" Gewinn von "Erfahrungswissen". 

Gegenwärtig steht der Idee noch Art. 33 Abs. 4 Grundgesetz (GG) entgegen, der verlangt, dass die Ausübung hoheitlicher Befugnisse durch Angehörige des öffentlichen Dienstes erfolgt – das sind Staatsanwälte im Ruhestand nicht mehr. Ganz neu ist die ganze Idee nicht, ein entsprechender Vorschlag aus Bayern scheiterte 2010 im Bundesrat noch bevor er den Bundestag erreichen konnte. Die Bundesregierung befürchtete damals, dass die Weiterbeschäftigung von Älteren Beamten auf Kosten der Jüngeren gehen würde. Möglicherweise hat sich die Lage nun aber geändert, die Länderjustiz sucht vielerorts händeringend Nachwuchs

Der damalige Entwurf schlug vor, in § 142 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) noch einen Abs. 4 einzufügen. Bisher wird in Abs. 3 etwa geregelt, dass Referendare die Sitzungsvertretung übernehmen können. Für den Einsatz der pensionierten Staatsanwälte soll dann ein "dringendes dienstliches Bedürfnis" notwendig sein.

"Containern" entkriminalisieren

"Containern", "Mülltauchen" oder "Dumpster Diving" – diese Begriffe meinen das Mitnehmen weggeworfener Lebensmittel aus Abfallcontainern etwa bei Supermärkten. Anhänger dieses Vorgehens versorgen sich damit selbst und kämpfen gegen Lebensmittelverschwendung. 

Deutsche Strafgericht bewerten das Entnehmen von weggeworfenen Lebensmitteln indes recht unterschiedlich. Rein tatbestandlich deutet vieles auf einen Diebstahl hin. Und wenn es sich sogar um einen verschlossenen Müllcontainer handelt, dann sogar um einen Diebstahl in einem besonders schweren Fall. Oft stehen die Abfallbehälter großer Supermarktketten auch noch auf privatem Gelände, sodass auch Hausfriedensbruch im Raum steht. 

Zuletzt wurden zwei bayrische Studentinnen vom AG Fürstenfeldbruck wegen Diebstahls schuldig gesprochen – eine Verurteilung blieb aus, sie wurden mit Strafvorbehalt verwarnt. In anderen Fällen war nach § 153 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt worden.

Eine klare Entkriminalisierung des sog. "Containerns" will nun ein Vorschlag aus Hamburg erreichen. Angesichts des in Artikel 20a GG formulierten Staatsziels des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen und der täglich massenhaften Vernichtung von Lebensmitteln sei die Kriminalisierung problematisch.

Rechtspolitisch könnte das so gelingen: Entweder eine Änderung der entsprechenden Straftatbestände direkt im StGB oder eine Anpassung des § 959 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), der die Aufgabe des Eigentums regelt. Schließlich bringt der Vorschlag auch eine Änderung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) ins Spiel. So könnten noch genießbare Lebensmittel aus dem Abfallbegriff herausgenommen werden. In § 3 Abs. 1 KrWG findet sich eine vergleichbare Wertung wie in § 959 BGB.

Messerangriffe als Verbrechen?

Nach einer Polizeistatistik aus Baden-Württemberg soll die Zahl der Gewaltdelikte unter Einsatz eines Messer um 24 Prozent zwischen 2013 und 2018 zugenommen haben. Ein Vorschlag aus dem Bundesland setzt sich deshalb für eine besondere Berücksichtigung des Tatwerkzeugs "Messer" ein. 

Angeregt wird, die Körperverletzung mittels eines Messers zu einem Verbrechen hochzustufen und damit eine Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe für solche Angriffe vorzusehen. Auch sei zu überlegen, ob der Messereinsatz auch bei dem abstrakten Gefährdungsdelikt des § 231 StGB, der Beteiligung an einer Schlägerei, berücksichtigt werden könnte. Das dürfte den Anwendungsbereich der Norm erheblich erweitern.

Am Freitag wird der Bundesrat über ein Messerverbot im öffentlichen Raum, wie etwa in Fußgängerzonen, Einkaufszentren und öffentlichen Verkehrsmittel beraten. Auch bisher ist es den Kommunen schon begrenzt möglich, Waffenverbotszonen einzurichten. Besonders unklar scheint noch, wie und wo die Polizei dann von einem ausgeweiteten Durchsuchungsrecht Gebrauch machen darf, um ein Verbot durchzusetzen.

Anwälte auch für Länder teurer geworden

Auch die Erhöhung der Rechtsanwaltsvergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) beschäftigt die Justizminister. 2013 beschloss der Bundestag mit dem 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz eine Anhebung der Gebühren. Durch die Erhöhung geraten die Justizhaushalte der Länder unter Druck, wie ein Landesvorschlag ausführt.

Die ebenfalls 2013 angehobenen Gerichtsgebühren würden nicht ausreichen, um die Mehrausgaben nach dem RVG auszugleichen. Beim Treffen der Justizminister 2018 in Eisenach hatte die JuMiKo einer Länderarbeitsgruppe den Auftrag erteilt, die Kostensituation zu untersuchen.

Alternativen zur Ersatzhaft?

In Travemünde wird eine Länder-Arbeitsgruppe ihre Ergebnisse zu einer "Prüfung alternativer Sanktionsmöglichkeiten" vorstellen. Insbesondere geht es dabei um die Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen nach § 43 StGB, er sieht für uneinbringliche Geldstrafen eine Freiheitsstrafe vor. Bei der Umrechnung entspricht ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe. 

Die von NRW und Brandenburg geführte Arbeitsgruppe hat sich kritisch mit den Umständen der Ersatzfreiheitsstrafe beschäftigt, etwa auch mit den Fragen, wen sie warum trifft, dazu hat sie auch Armutsgefahr und Überschuldungssituationen untersucht. Der Vorschlag regt an, kurze Haftstrafen zu vermeiden und die Ersatzfreiheitstrafe stärker als Surrogat zur Geldstrafe zu sehen und gegenüber der Freiheitsstrafe abzugrenzen. 

Was die JuMiKo noch beschäftigen wird: 5G, Hasskriminalität, Legal Tech

Ein Vorschlag aus Bayern warnt davor, dass die 5G-Mobilfunktechnologie für Schwierigkeiten bei der Ermittlungsarbeit sorgen könnte. Die neue Technologie soll nicht nur eine schnellere Datenübertragung möglich machen, sondern auch generell verschlüsselt ablaufen. Das hätte Konsequenzen für die Telekommunikationsüberwachung (TKÜ), die dann nur noch als Quellen-TKÜ erfolgreich sein dürfe, wie der Vorschlag ausführt. Auch der Einsatz von sog. IMSI-Catchern zur Standortermittlung eines Mobiltelefons werde erschwert. Der Vorschlag plädiert deshalb dafür, dass die Justizminister sich für entsprechende Änderungen etwa in der StPO aussprechen.

Außerdem werden sich die Justizminister auch noch mit den Herausforderungen von Legal Tech für die Justiz, dem Bericht einer Arbeitsgruppe zu Fake News und einer Änderung des Bedrohungstatbestandes nach § 241 StGB, um verstärkt gegen Hasskriminalität vorgehen zu können, beschäftigen. Auf der Tagesordnung steht auch die Diskussion darüber, wie deutsche Gerichte als Justizstandort für Wirtschaftsstreitigkeiten gestärkt werden können. Nicht zuletzt soll es auch um das geplante Forum Recht in Karlsruhe gehen.

Zitiervorschlag

LTO-Exklusiv: die JuMiKo-Themen 2019: . In: Legal Tribune Online, 22.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35543 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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