Nach der Festnahme eines Oberstaatsanwalts fordert die SPD in Hessen eine Sondersitzung. Sie will klären, ob auch inhaltlich auf Gutachten eingewirkt wurde und mit welchen Folgen für abgeschlossene Prozesse.
Vor einer Woche wurde ein Oberstaatsanwalt in Frankfurt am Main festgenommen, der Verdacht gegen ihn wiegt schwer. Über Jahre soll der Mann, ein Spezialist für die Ermittlung von Betrugsmodellen bei der Abrechnung im Gesundheitswesen, selbst eine Art Schattenvergabe betrieben haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Bestechlichkeit vor. Er soll mutmaßlich einem hessischen Unternehmer rechtswidrig Gutachtenaufträge zugeschustert haben - und davon selbst profitiert haben.
Nach Medienberichten soll das Unternehmen in den vergangenen zehn Jahren durch die Gutachtenaufträge aus der Justiz so insgesamt 12,5 Millionen Euro verdient haben. Das sollen, wie das Handelsblatt berichtet, mehr als 90 Prozent der gesamten Unternehmenseinnahmen gewesen sein. Auch der Unternehmer befindet sich in Untersuchungshaft. Der Oberstaatsanwalt selbst soll allein von August 2015 bis Juli 2020 mehr als 240.000 Euro als Gegenleistung erhalten haben.
Der Fall hat in Hessen schnell eine politische Dimension bekommen. Und er wirft strukturelle Fragen auf. Die hessische SPD hat für die kommende Woche eine Sondersitzung des Rechtsausschusses im hessischen Landtag beantragt.
Hessen-SPD: "Was bedeutet das für Gerichtsverfahren, in denen die Gutachten eine Rolle gespielt haben?"
"Offensichtlich haben bei der Generalstaatsanwaltschaft wesentliche Kontrollmechanismen versagt – oder aber, es gab an entscheidender Stelle gar keine Kontrollen. Das eine wie das andere ist skandalös", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion Günter Rudolph am Donnerstag. Vor dem Rechtsausschuss erwarte seine Fraktion darüber hinaus eine Bestandsaufnahme der Vergabepraxis bei der Generalstaatsanwaltschaft.
"Eine drängende Frage ist doch, ob der tatverdächtige Staatsanwalt sich nur für die Auftragsvergabe hat schmieren lassen, oder ob er auch inhaltlich auf diese Gutachten Einfluss genommen hat", so Rudolph. Und dann stelle sich aus seiner Sicht auch eine weitere Frage: "Was bedeutet diese Korruptionsaffäre für die Gerichtsverfahren, in denen die Gutachten eine Rolle gespielt haben?"
Auf ein Schreiben der SPD-Rechtspolitiker Nancy Faeser habe die Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) in ihrer Antwort lediglich auf die Staatsanwaltschaft und deren laufende Ermittlungen verwiesen, teilt die SPD Hessen mit. Die Anwälte des Oberstaatsanwalts und des Unternehmers wollten sich auf Anfrage von LTO am Donnerstag noch nicht zu dem Fall äußern.
Markus Sehl, Korruptionsverdacht bei Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main: . In: Legal Tribune Online, 30.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42365 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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