Der fragwürdige Personenkult um den Youtuber Rainer W., auch bekannt als "Drachenlord", veranlasst die bayerische Justiz zu besonderen Maßnahmen. "So eine Verlegung ist wirklich selten", kommentiert das OLG Nürnberg die Vorbereitungen.
Das Amtsgericht (AG) Neustadt a. d. Aisch nutzt für den anstehenden "Drachenlord"-Prozess Räumlichkeiten und personelle Kapazitäten des Oberlandesgerichts (OLG) Nürnberg. So hat das AG "aus Sicherheitsgründen", wie das OLG mitteilt, die Hauptverhandlung am 21. und 28. Oktober im Sitzungssaal E.006 vorgesehen, dem größten Saal des OLG. Der Prozess findet damit im Neubau neben dem historischen Justizpalast statt, in dem die Nürnberger Prozesse stattgefunden haben.
"So eine Verlegung ist ganz, ganz selten", erläutert OLG-Sprecher Friedrich Weitner auf LTO-Anfrage. Um zu verstehen, warum die bayerische Justiz sie im Fall des Drachenlords für nötig erachtet, muss man wissen, was es mit dem fragwürdigen Personenkult um den Youtuber, der mit bürgerlichem Namen Rainer W. heißt, auf sich hat.
"Traut euch, kommt zu mir, ich prügel die Scheiße aus euch 'raus!"
W.s Youtube-Kanal unter seinem Pseudonym ist mittlerweile über zehn Jahre alt, er hat rund 156.000 Abonnenten. W. selbst sieht sich als Entertainer und Künstler, der zu verschiedenen Themen Videos produziert, vor allem in den Bereichen Gaming und Musik, dort speziell zum Metal-Genre. So begrüßt er seine Zuschauer typischerweise im fränkischen Dialekt mit dem Ausspruch "Meddl, Loide!".
Merkmal seiner Auftritte und Inhalte wurde mit der Zeit, dass sie polarisieren. Krude Kommentierungen zu historischen Ereignissen und aktuellen Debatten, Narzissmus und vor allem Pöbeleien und Beleidigungen machten ihn einem großen Publikum bekannt. Das jedoch besteht zum großen Teil aus sogenannten Hatern (zu Deutsch: "Hasser"), die W.s Inhalte nur konsumieren, um ihn daraufhin zum Beispiel in den Kommentarspalten oder Live-Chats (W. überträgt mittlerweile Live-Streams) ihrerseits anzugehen.
Nachdem ein Hater eines von W.s Familienmitgliedern angerufen und bedroht hatte, reagierte er in einem - wie sich später herausstellen sollte schicksalhaften - Youtube-Video darauf. Man solle seine Familie außen vor lassen und sich für den Online-Schlagabtausch an ihn halten: "Traut euch, kommt zu mir, ich prügel die Scheiße aus euch 'raus!" - dann nennt er seine genaue Adresse in seinem Wohnort Altschauerberg, ein Dorf mit nicht einmal 50 Einwohnern, wo er allein in einer geerbten Immobilie lebt.
Bei den Auseinandersetzungen im Netz bleibt es seitdem nicht mehr, immer wieder suchen Hater den Drachenlord vor Ort auf, der sein Grundstück mittlerweile mit Zaun, Alarmanlage, Wasserschläuchen und Wurfgeschossen sichert. Bis heute kommen sie immer wieder zu ihm, pöbeln und werden teils tätlich. Altschauerbergs Anwohner sind genervt, die zuständige Polizei vor Ort schafft es nicht, jedes Mal auszurücken, so oft ereignen sich die Vorfälle. 2018 verabredeten sich Hater zum "Schanzenfest": An einem Tag besuchten mehrere Hundert von Ihnen Altschauerberg, der folgende Polizeigroßeinsatz schaffte es bundesweit in die Medien.
Erst im vergangenen September hat der Markt Emskirchen als für Altschauerberg zuständige Kommune eine neue Allgemeinverfügung erlassen, mit der die Belästigungen durch die Hater unterbunden oder wenigstens eingedämmt werden sollen.
"Es wird auf jeden Fall Polizei vor Ort sein"
Inhaltlich ist der Prozess gegen den Drachenlord weniger spektakulär. Die Anklage wirft ihm mehrfache Beleidigung, u. a. gegen einen herbeigerufenen Polizeibeamten, und gefährliche Körpererletzung vor. Er soll einen Hater mit einer Taschenlampe geschlagen und verletzt und einen anderen mit einem Pflasterstein beworfen haben.
Die äußeren Umstände aber veranlassen die Justiz, zu reagieren: "Wir rechnen mit einer - nicht zwingend gewaltbereiten - Menge von Leuten, jedenfalls einem gewissen Andrang", sagt Weitner gegenüber LTO. Auch wenn man nicht genau wisse, wer alles zum Prozess vor Ort erscheinen wird, so wolle man "auf jeden Fall den Eindruck einer überforderten Justiz vermeiden.".
Dabei geht es nicht nur um mehr Platz und mehr Justizpersonal wie beispielsweise Wachtmeister. Weitner betont auch: "Es wird auf jeden Fall Polizei vor Ort sein."
AG nutzt Verhandlungsräume des OLG: . In: Legal Tribune Online, 15.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46353 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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