Ein Bremer Richter hörte sich eine Verhandlung am EuGH in Luxemburg an, in der es um eine Vorlage seines Senats ging. Doch um die Reise gibt es Streit – und damit für das BVerwG nun Gelegenheit, grundsätzliche Fragen zu klären.
Wenn der Vorsitzende des 1. Strafsenats am Hanseatischen Oberlandesgericht in Bremen (OLG) bis vor das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zieht, um 840,24 Euro für eine Dienstreise erstattet zu bekommen, zuzüglich 137,20 Euro Auslandstagegeld und Zinsen seit Rechtshängigkeit – dann könnte man an einen klassischen Fall von juristischer Besserwisserei denken.
Doch in der Verhandlung, die am Donnerstag in Leipzig stattfindet, geht es nicht um irgendeine Dienstreise. Der Bremer Richter Dr. Klaus Schromek hat sich eine mündliche Verhandlung am Europäischen Gerichtshof (EuGH) angehört, in der es um Fragen ging, die sein Strafsenat vorgelegt hatte.
Die Luxemburger Richter sollten klären, ob die deutschen Justizbehörden Strafverfolgte ohne weiteres nach Ungarn oder Rumänien ausliefern müssen, trotz möglicherweise menschenunwürdiger Haftbedingungen. Mit zwei Vorlagebeschlüssen im Juli und im Dezember 2015 hatte Schromeks Senat das Verfahren in Gang gesetzt.
EuGH-Präsident Lenaerts empfängt den Richter in seinem Büro
Im Februar 2016 reiste Schromek zusammen mit einer Kollegin nach Luxemburg. Er hörte sich die mündliche Verhandlung an und er traf EuGH-Präsident Koen Lenaerts zu einem Gespräch in dessen Büro.
Der EuGH fällte zwei Monate später ein Grundsatzurteil: Wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass in einem EU-Mitgliedstaat menschenunwürdige Haftbedingungen herrschen, dann müssen die Justizbehörden prüfen, ob das auch für den konkreten Fall gilt. Sollte sich das bestätigen, darf ein Strafverfolgter nicht einfach ausgeliefert werden.
"Diese Fragen waren bis dahin völlig ungeklärt", sagt Schromek. Seitdem beschäftigt die Frage nach den Haftbedingungen immer wieder die Gerichte – die Oberlandesgerichte, aber auch, weil weitere Fragen grundsätzlich geklärt werden mussten, das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und den EuGH. Schromek ließ das Thema auch nicht los: "Es darf nicht sein, dass die Menschenwürde nicht mehr gilt, wenn jemand inhaftiert ist. Und wir tragen da an den Oberlandesgerichten eine große Verantwortung, immerhin sind wir die letzte Instanzen, die über eine Auslieferung im Rahmen des Europäischen Haftbefehls entscheiden."
Inzwischen hat Schromek einen regelmäßigen Austausch unter den deutschen Oberlandesgerichten ins Leben gerufen und leitet eine Arbeitsgruppe des Bundesjustizministeriums zum Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen.
Gerichtspräsidentin: Sonderurlaub nehmen
Doch um die Reise nach Luxemburg gibt es weiter Streit: Die damalige Präsidentin des Bremer OLG, Karen Buse, lehnte Schromeks Dienstreiseantrag ab und schlug ihm vor, stattdessen Sonderurlaub zu nehmen. Schromek tat das zwar, stellte aber anschließend dennoch einen Antrag auf Erstattung der Reisekosten, der allerdings abgelehnt wurde. Nach erfolglosem Widerspruch klagte Schromek vor dem Verwaltungsgericht (VG) Bremen.
Seiner Ansicht nach handelt es sich um eine Dienstreise im Rahmen seiner spruchrichterlichen Tätigkeit – und dafür ist eine Genehmigung nicht notwendig. Solche genehmigungsfreien Dienstreisen sind durchaus üblich, etwa wenn ein Richter oder eine Richterin einen Ortstermin wahrnehmen. Ob das notwendig ist oder nicht, entscheiden sie im Rahmen ihrer richterlichen Unabhängigkeit. Weniger üblich sind allerdings Reisen zu Verhandlungen am EuGH.
Das VG war sogar der Meinung, dass Schromek in Luxemburg keinesfalls dienstliche Geschäfte zu verrichten hatte. Während Schromek argumentiert, die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung und Gespräche mit Verfahrensbeteiligten seien Teil der Beweisaufnahme für weitere Verfahren, erklärten die Verwaltungsrichter in ihrer Entscheidung vom April 2018 (VG Bremen, Urt. V. 24.4.2018, Az: 6 K 1528/16 ): "Die Erhebung von Beweisen, gleich in welcher Form, ist hoheitliches Handeln." Solches Handeln sei ohne Zustimmung des anderen Staates völkerrechtswidrig. Hätte Schromek also am EuGH Dienstgeschäfte wahrgenommen, hätte er die territoriale Integrität Luxemburgs verletzt.
Die Erstattung der Reisekosten lehnte das VG also ab, das OVG Bremen sah es genauso und erklärte die Sache für beendet, eine Revision wurde nicht zugelassen.
BVerwG will Rolle der Vorlagegerichte klären
Doch Schromek hatte mit einer Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BVerwG Erfolg. Die Leipziger Bundesrichter sahen die Sache nämlich anders: Das Verfahren könne Gelegenheit zur Klärung der Frage geben, "wie der Begriff des richterlichen Dienst- oder Amtsgeschäfts in Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV für Mitglieder eines vorlegenden deutschen Gerichts auszulegen ist", so der 2. Senat am BVerwG.
Es geht also grundsätzlich um die Rolle der Vorlagegerichte in Vorabentscheidungsverfahren. Insbesondere wollen die Leipziger Richterinnen und Richter klären, ob der Begriff die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung vor dem EuGH und zur dortigen Freibeweiserhebung in der Form von Gesprächen mit Richtern des Gerichtshofs und mit anderen Verfahrensbeteiligten des konkreten Vorlageverfahrens umfasst.
Was sie dazu sagen, wird also für alle Richter, die ihre Vorlagen live in Luxemburg verfolgen wollen, spannend. Möglich erscheint allerdings auch, dass der Streit zunächst wieder dort landet, wo er angefangen hat: Nämlich in Luxemburg, falls das BVerwG sich dazu entscheiden sollte, dem EuGH Fragen vorzulegen.
Bremer OLG-Richter zieht vor das BVerwG: . In: Legal Tribune Online, 14.04.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44724 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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