BVerfG zur Sonderregelung im Zuge der Flüchtlingskrise: Beamte können zu Ver­wal­tungs­rich­tern auf Zeit ernannt werden

18.05.2018

Wegen des Personalmangels an den Verwaltungsgerichten folgte der Gesetzgeber der Idee, Beamte auf Lebenszeit zu Richtern auf Zeit zu ernennen. Dies ist mit der Verfassung vereinbar, entschied das BVerfG - allerdings mit Sondervotum.

Die Ernennung von Beamten auf Lebenszeit zu Richtern auf Zeit an den Verwaltungsgerichten in außergewöhnlichen Situationen vorübergehend erhöhten Personalbedarfs ist mit der Verfassung vereinbar. Dies hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit am Freitag veröffentlichten Beschluss entschieden (Beschl. v. 22.03.2018, Az. 2 BvR 780/16). Die Grundsätze der Gewaltenteilung sowie die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Richter seien gewahrt.

Im Jahr 2015 wurden im Zuge der Flüchtlingskrise und der drohenden Überlastung der Verwaltungsgerichte Vorschriften in die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) aufgenommen, die die Ernennung von Beamten auf Lebenszeit mit Befähigung zum Richteramt zu Richtern auf Zeit ermöglichen. Nach § 18 VwGO müssen diese Richter für die Dauer von mindestens zwei Jahren bestellt werden, ihr Beamtenverhältnis ruht in dieser Zeit. Von der Möglichkeit der Ernennung von Richtern auf Zeit hat bislang nur Mecklenburg-Vorpommern Gebrauch gemacht.

Ein Asylbewerber erhob gegen diese Regelungen Verfassungsbeschwerde, weil zuvor sein Asylantrag vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt und die Abschiebung nach Italien angeordnet worden waren. Dagegen stellte er einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht (VG) Schwerin, wo ein Richter auf Zeit als Einzelrichter den Antrag mit unanfechtbarem Beschluss abwies.

BVerfG: Verwaltung hat genug Respekt vor richterlicher Unabhängigkeit

Dadurch sei sein grundrechtsgleiches Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt worden, so der Asylbewerber vor dem BVerfG. Die Richter auf Zeit seien nicht unabhängig und unparteiisch. Nach der kurzen Richtertätigkeit stehe eine Wiedereingliederung in die Verwaltung an, was dem Gebot der organisatorischen Trennung von Rechtsprechung und Verwaltung widerspreche.

Das BVerfG wies die Verfassungsbeschwerde aber zurück. Das Verfassungsgebot der lebenslangen Anstellung aller Berufsrichter stehe der auf außergewöhnliche Bedarfssituationen beschränkten Verwendung von Richtern auf Zeit nicht entgegen. Da auch die Richter auf Zeit den Richterstatus erhalten, nicht vorzeitig entlassen werden können und hauptamtlich tätig sind, entsprächen sie dem Leitbild des endgültig angestellten Richters, so der Senat.

Auch das auf dem Grundsatz der Gewaltenteilung beruhende Verbot der personellen Verflechtung zwischen Exekutive und Judikative werde durch die zeitliche Aufeinanderfolge von Tätigkeiten in beiden Staatsgewalten nicht verletzt. Die bereits feststehende Rückkehr in die Verwaltung hindere - sofern die Amtszeit eine bestimmte Mindestdauer hat - nicht den erforderlichen Rollenwechsel vom weisungsabhängigen Beamten zum unabhängigen Richter.

Grund zur Befürchtung, dass die Verwaltung die später zu ihr zurückkehrenden Richter auf Zeit wegen bestimmter Entscheidungen sanktioniere, sehen die Verfassungsrichter nicht. Zum einen habe auch die Verwaltung wegen der gefestigten politischen Kultur den notwendigen Respekt vor der richterlichen Unabhängigkeit. Zum anderen bestünden hinreichende strukturelle Sicherungen, um solche Sanktionen für die zurückgekehrten Beamten auf Lebenszeit zu verhindern.

Sondervotum von BVRin Hermanns

Bedenken an der richterlichen Unparteilichkeit könnten laut BVerfG durch ein "Distanzgebot" zerstreut werden. Die Richter dürften demnach nicht in Verfahren tätig werden, an denen ihre Stammbehörde oder eine dieser vorgesetzten Behörde beteiligt ist. Zudem würden die bestehenden Regelungen über die Ablehnung von Richtern wegen Besorgnis der Befangenheit bei strenger Handhabung als Sicherung ausreichen.

Eine verfassungskonforme Auslegung des § 18 VwGO schlösse eine wiederholte Bestellung eines Beamten zum Richter auf Zeit aber aus, entschied das Gericht. Wenn nach Ablauf der Amtszeit über eine Wiederernennung entschieden werden, würde sonst die Fortführung der richterlichen Tätigkeit den kontrollierenden Zugriff der Exekutive geöffnet.

Verfassungsrichterin Monika Hermanns gab zu der Entscheidung ein Sondervotum ab. § 18 VwGO ist ihrer Auffassung nach verfassungswidrig. Die Unabhängigkeit der Richter auf Zeit sei nur vorübergehend gesichert, danach sei seine berufliche Karriere wieder stärker vom Staat abhängig.

Dem Richter auf Zeit fehle laut Hermanns zudem die vorausgesetzte Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten. Dass der Richter nur vorübergehend von der vollziehenden Gewalt an die Judikative "ausgeliehen" ist, könne bei einem Verfahrensbeteiligten auch bei vernünftiger Würdigung aller Umstände die Befürchtung begründen, der Richter stehe "im Lager" der gegnerischen Prozesspartei und sei nicht neutral. Dies gelte auch dann, wenn eine andere als seine Stammbehörde oder eine dieser vorgesetzte Behörde Beteiligte ist.

acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG zur Sonderregelung im Zuge der Flüchtlingskrise: . In: Legal Tribune Online, 18.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28705 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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