3G, 2G, 2G++: Corona-Regeln gefährden den offenen Jus­tiz­be­trieb

Gastbeitrag von Prof. Dr. Roman Poseck

14.12.2021

2G++ gilt aktuell für die mündliche Verhandlung beim BVerfG. Für andere Gerichte ein untauglicher Maßstab, selbst 3G sei rechtsstaatlich problematisch, meint Roman Poseck, Präsident des OLG Frankfurt.

Der Rechtsstaat verträgt keinen Lockdown. Mit Mut und Augenmaß haben es die allermeisten Gerichte in den vergangenen Monaten verstanden, den Spagat zwischen Funktionsfähigkeit der Gerichte und Gesundheitsschutz zu meistern:

Die Erledigungszahlen sind nur geringfügig zurückgegangen. Von Kapazitätsbegrenzungen für die Öffentlichkeit und Medien abgesehen, sind in unzähligen Verhandlungen viele Menschen über längere Zeit auf begrenztem Raum zusammengekommen. Die Gerichte haben dabei auch dem Mündlichkeitsprinzip und dem Öffentlichkeitsgrundsatz weiter entsprochen.

Glücklicherweise sind Infektionen im Gerichtssaal bislang eine seltene Ausnahme geblieben. Die in den Sitzungen möglichen Schutzmaßnahmen, wie das Tragen von Schutzmasken, das Abstandhalten, das regelmäßige Lüften und der Einsatz von Luftfiltergeräten, zeigen ganz offensichtlich Wirkung. Hinzu kommt eine überdurchschnittliche Impfquote bei den Bediensteten der Justiz; beim Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt sind beispielsweise fast 99 Prozent der Richter vollständig geimpft.

Gerichte haben keine einheitlichen Corona-Regeln

Das gesellschaftliche Leben außerhalb der Gerichte unterliegt zunehmend wieder strengeren Anforderungen. Das führt auch in der Justiz zu Diskussionen. Sollte nicht auch der Gerichtsbetrieb unter 2G- oder 3G -Bedingungen gestellt werden? Dabei zeigt sich aktuell ein höchst heterogenes Bild in der deutschen Gerichtslandschaft. Es entspricht der allgemeinen Aufgabenverteilung, dass die Gerichtsverwaltung Anordnungen für die Eingangsbereiche und die Verkehrsflächen trifft; im Sitzungssaal bestimmt dagegen der Vorsitzende über den Ablauf der Verhandlung einschließlich der einzuhaltenden Corona-Schutzmaßnahmen.

Die Bundesgerichte geben grundsätzlich einen 3G-Standard vor, wobei dieser am Bundesgerichtshof ausdrücklich unter den Vorbehalt abweichender sitzungspolizeilicher Anordnungen gestellt wird. Auch in den Instanzgerichten finden sich gerade in der jüngeren Zeit Beispiele für einen generellen 3G-Standard, so zum Beispiel beim OLG Celle – dort ebenfalls mit dem genannten Vorbehalt* – und den Berliner Gerichten bis hin zum Amtsgericht Tiergarten. Andere Gerichte, so auch die ordentliche Gerichtsbarkeit in Hessen, haben bislang auf entsprechende Vorgaben verzichtet. Zum Teil werden 3G-Anordnungen (allein) im Rahmen der sitzungspolizeilichen Verantwortung des Vorsitzenden getroffen.

Strenge Vorgaben des BVerfG sind für die Justiz untauglich

Überraschend geht das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) jetzt noch weiter und stellte sogenannte 2G++-Zugangsregeln für die Teilnahme an der Verhandlung am 14. Dezember über das Bayerische Verfassungsschutzgesetz auf. Konkret heißt dies, dass alle Prozessbeteiligten zusätzlich einen aktuellen PCR-Test vorlegen müssen. Den Beteiligten werden damit Kosten von rund 60 Euro und ein nicht unerheblicher organisatorischer Aufwand auferlegt. Die Medien sprechen insoweit von den strengsten Regeln der Republik.

Es erscheint selbstverständlich, dass sich das BVerfG diesen Schritt verfassungsrechtlich und organisatorisch gut überlegt hat. Schließlich hat das Gericht auch in anderen Zusammenhängen Entscheidungen über 2G- oder 3G-Anforderungen zu treffen. Möglicherweise spielt für die sehr streng anmutenden Anforderungen auch die konkrete Verfahrenssituation eine Rolle. Es darf eine lange Verhandlung in dem räumlich begrenzten Verhandlungssaal des BVerfG mit vielen Beteiligten erwartet werden.

Das BVerfG bietet für die Instanzgerichte eigentlich einen wichtigen Orientierungsrahmen. In dem Fall der Anforderungen an den Zutritt zum Gerichtssaal dürfte dies aber kaum gelten. Für den Rest der Justiz erscheinen die Vorgaben des BVerfG nicht tauglich.

Strenge Corona-Regeln verzögern Gerichtsverfahren

Der Betrieb der Amtsgerichte dürfte bei vergleichbaren Hürden nicht mehr aufrechtzuerhalten sein. Besonders hier kommt es aus der Sicht des Rechtsstaats darauf an, dass Strafverfahren gegen Angeklagte, Zivilverfahren gegen säumige Beklagte und Kindschaftssachen auch in Zeiten der Pandemie ohne Verzug durchgeführt werden.

Wie sollen die Verfahrensbeteiligten in diesen alltäglichen Verfahren dazu gebracht werden, den strengen Vorgaben, gegebenenfalls sogar noch auf eigene Kosten, zu entsprechen? Zudem scheinen Streitfälle mit Verfahrensbeteiligten vorprogrammiert, die die Voraussetzungen bewusst oder unbewusst missachten, um Verfahren zu verzögern. Eine zügige Verfahrensführung wäre unter 2G oder gar 2G++ kaum noch möglich; der verfassungsrechtlich verbürgte Justizgewährleistungsanspruch würde Schaden nehmen. Auch für den Rechtsanwalt, der in der Woche mehrfach vor Gericht auftritt, wäre es eine große Erschwernis, jedes Mal einen aktuellen PCR-Test vorlegen zu müssen.

Auch 3G-Regeln vor Gericht gefährden ordnungsgemäße Verfahren

Schon die immer häufiger anzutreffenden 3G-Anforderungen für den Gerichtsbetrieb sind unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten problematisch. Dies gilt bereits für die Rechtsgrundlage. Für eine allgemeine Vorgabe durch die Gerichtsverwaltung kommt allein das Hausrecht in Betracht. Die Verordnungen und Gesetze, die im Übrigen 2G- oder 3G-Anforderungen aufstellen, sparen die Gerichtsverhandlungen aus guten Gründen in der Regel aus. Ob allerdings das Hausrecht einen so weitgehenden Eingriff, der beispielsweise auch den in der Europäischen Menschenrechtskonvention vorgegebenen Öffentlichkeitsgrundsatz tangiert, rechtfertigen kann, erscheint zumindest fraglich.

3G-Regeln für den Gerichtsbetrieb werfen zudem eine Reihe von Folgefragen auf: Kann gegen eine Partei, die nicht erscheint, weil sie die 3G-Voraussetzungen nicht erfüllt, ein Versäumnisurteil erlassen werden? Noch drängender sind die Fragen im Strafprozess: Wie soll mit einem Angeklagten umgegangen werden, der weder geimpft noch genesen ist und der sich auch einer Testaufforderung widersetzt? Kann in dieser Konstellation ein Haftbefehl gemäß § 230 Strafprozessordnung (StPO) wegen unentschuldigten Fernbleibens von der Hauptverhandlung erlassen werden? Wenn ja, bleibt fraglich, was der Haftbefehl bei der Durchsetzung der 3G-Bedingungen überhaupt bringt. Eine Impfung oder Testung führt er jedenfalls nicht herbei.

In Hessen bestehen vor allem bei Familien- und Strafrichtern Zweifel, dass ein 3G-Standard umsetzbar ist. Sie sehen die Gefahr einer rechtlich und tatsächlich schwierigen Diskussionslage mit Verfahrensbeteiligten, zum Beispiel auch Zeugen, die sich den Anforderungen verweigern. Die Besonderheiten vieler Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit liegen darin, dass Menschen vor Gericht erscheinen müssen, die sich dem lieber entziehen würden. Schon aus diesem Grund besteht ein großes Interesse, die Zugangsvoraussetzungen möglichst gering zu halten. Auch Einzelfallprüfungen mit Ausnahmen und Rückausnahmen scheinen in Anbetracht der vielen Besucher an den Eingängen eines größeren Amts- oder Landgerichts kaum durchführbar.

"Querdenker"-Verfahren belasten Gerichte

Die Instanzgerichte haben auch immer häufiger mit sogenannten Querdenkern zu tun, nicht zuletzt in Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen Verstößen gegen Coronaregeln. Dass es nur unter größten prozessualen und organisatorischen Anstrengungen möglich wäre, entsprechende Verfahren unter 3G Bedingungen zu führen, liegt auf der Hand.

Zu bedenken ist auch, dass die Gerichte aktuell derzeit allesamt unter einer hohen Belastung leiden. Zusätzliche Herausforderungen sind in dieser Lage besonders misslich.

In einem demokratischen Rechtsstaat nehmen Gerichte Aufgaben der Grundversorgung wahr, für welche die Hürden so gering wie möglich sein sollten. Überdies können die Gerichte mit Selbstbewusstsein darauf verweisen, dass sie mit ihrer Offenheit in Zeiten der Pandemie bislang gut gefahren sind, auch in puncto Sicherheit für die Verfahrensbeteiligten und die Bediensteten der Justiz.

Die strenge Vorgabe des BVerfG 2G++ für die mündliche Verhandlung sind vor diesem Hintergrund ein Ausreißer aufgrund einer besonderen Verfahrenskonstellation und gerade kein Maßstab für den allgemeinen Gerichtsbetrieb.

Der Autor ist Präsident des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main und des Staatsgerichtshofes des Landes Hessen.

* Ergänzt am 15.12. um 14:54 um zu verdeutlichen, dass auch am OLG Celle ein Vorbehalt anderweitiger sitzungspolizeilicher Anordnungen gilt.

Zitiervorschlag

3G, 2G, 2G++: . In: Legal Tribune Online, 14.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46924 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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