2014 urteilte das BSG, Unternehmensjuristen seien keine Anwälte. 2016 sollte ein Gesetz das reparieren. Aber obwohl selbst das BVerfG im Zweifel für sie plädierte, führen noch immer hunderte Syndizi Verfahren gegen die DRV. Es geht um viel Geld.
Knapp 20.000 Syndikusrechtsanwälte haben die regionalen Rechtsanwaltskammern (RAK) seit der gesetzlichen Neuregelung zum 1. Januar 2016 mittlerweile zugelassen, das Zulassungsverfahren hat sich weitgehend eingespielt. Auch bei den Anwaltsgerichtshöfen sind die meisten der Verfahren rund um die Zulassung mittlerweile zum Abschluss gebracht worden, noch ca. 20 bis 25 Verfahren sind allerdings beim Anwaltssenat des Bundesgerichtshofs anhängig.
Die wesentlichen Fragen, nämlich ob Schadenanwälte Syndikusanwälte sein können, ob eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst für Syndikusrechtsanwälte möglich ist und ob Elternzeit ein Hindernis für die Zulassung ist, sind geklärt. Gestritten wird insbesondere noch um die Frage, was unter den "Rechtsangelegenheiten des Arbeitgebers" zu verstehen ist, auf die sich die syndikusanwaltliche Befugnis zur Beratung und Vertretung gemäß § 46 Abs. 5 S. 1 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) beschränkt.
Leider bei weitem noch nicht abgeschlossen sind dagegen hunderte von Auseinandersetzungen von Syndikusrechtsanwälten mit der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) in den Befreiungsverfahren gem. § 6 Sozialgesetzbuch (SGB) VI. Dabei geht es um offene Befreiungsverfahren, also um Unternehmensjuristen, die schon vor der gesetzlichen Neuregelung im Jahr 2016 begonnen hatten, sich mit der DRV darüber auseinanderzusetzen, ob sie von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit werden und stattdessen in das Rechtsanwaltsversorgungswerk einzahlen können. Eigentlich wollte der Gesetzgeber erreichen, dass diese Antragsteller dann befreit werden, wenn sie als Syndikusrechtsanwälte zugelassen werden. Geregelt wurde dies in der Vorschrift des § 231 Absatz 4b SGB VI. Doch diese Regelung ist gründlich missraten - und sorgt seit ihrem Inkrafttreten für zahlreiche Gerichtsverfahren vor den Sozialgerichten.
Das Problem: Offene Befreiungsverfahren, Beiträge bis März 2014
So könnten Beiträge vieler Unternehmensjuristen bei der DRV bleiben, obwohl diese Syndizi mittlerweile längst von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit sind. Wer nämlich bis zum 31. März 2014 in das Versorgungswerk nur den Mindestbeitrag und die anderen Beiträge in die DRV gezahlt hatte, dessen Beiträge sollen nicht an das Versorgungswerk überführt werden - obwohl sie von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit sind.
Der Gesetzgeber hatte, aus welchen Gründen auch immer, entschieden, im Falle einer Zulassung als Syndikusrechtsanwalt eine rückwirkende Befreiung (§ 231 Abs. 4b SGB VI) nur ab dem 1. April 2014 zu gewähren. Für die Zeit zuvor gibt es eine Befreiung nur, wenn in dieser Zeit einkommensbezogene Beiträge an das Versorgungswerk gezahlt wurden. Dies war aber bei den meisten Syndikusanwälten nicht der Fall. Denn wenn deren Arbeitgeber sich rechtmäßig verhielt, musste er bis zum Vorliegen einer Befreiung die Beiträge eben nicht das Versorgungswerk, sondern an die DRV abführen. An das Versorgungswerk wurden dann nur die Mindestbeiträge gezahlt, die jedes Mitglied nach der Satzung entrichten muss.
Übersehen hat der Gesetzgeber dabei, dass damit bei enger Auslegung diejenigen Rechtsanwälte bessergestellt wurden, die erst nach einer Vertrauensschutzregelung, die die DRV aufgrund der Urteile und der entstandenen Rechtsunsicherheit erlassen hatte, zum 1. Januar 2015 vom anwaltlichen Versorgungswerk zur DRV umgemeldet wurden. Ihre bis zum 31. Dezember 2014 an das Versorgungswerk entrichteten Beiträge genießen Vertrauensschutz, sind also unstreitig einkommensbezogene Beiträge, die zur Befreiung von der Rentenversicherungspflicht führen – und zwar auch dann, wenn gar keine Befreiung vorlag. Wer sich rechtmäßig verhielt und die Beiträge an die DRV abführte, ist also schlechter gestellt als derjenige, der sich bis zu den Urteilen des BSG gesetzwidrig verhielt und – ohne Befreiung – an das Rechtsanwaltsversorgungswerk abführte.
Viele Syndizi könnten zehntausende Euro ersatzlos verlieren
Das Ganze ist für diejenigen Rechtsanwälte besonders misslich, die nicht mindestens 60 Monate lang Zahlungen an die DRV geleistet haben. Diese Mindestbeitragszeit ist nämlich Voraussetzung für eine spätere Rentenzahlung. Wer sie nicht erreicht, dessen Beiträge "verfallen", es gibt keinen Rentenanspruch. Betroffene könnten allenfalls gemäß § 210 SGB VI ihre Arbeitnehmeranteile heraus verlangen; die Arbeitgeberanteile aber verblieben weiterhin bei der DRV.
Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Eine Syndika nahm ihren Job im Unternehmen auf am 1. Januar 2012. Sie führte, weil sie sich mit der DRV stritt, die nach der alten Rechtslage eine Befreiung ablehnte, ihre Beiträge an die DRV ab und zahlte den Mindestbeitrag in das Versorgungswerk ein. 2016 wird sie nach Inkrafttreten des neuen Syndikusrechts als Syndikusrechtsanwältin zugelassen und stellt einen Befreiungsantrag bei der DRV.
Nach Ansicht der DRV wird die Befreiung vom 1. April 2014 an ausgesprochen. Für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum 31. März 2014 aber bleiben ihre Beiträge in der DRV. Einen Rentenanspruch aber erwirbt sie dadurch nicht, weil sie nur 27 und nicht 60 Monate lang eingezahlt hat. Den monatlichen Höchstbeitrag von ca. 1.2000 Euro, den viele Syndizi erreichen, unterstellt, geht es dabei immerhin um rund 32.400 Euro, die, für die Unternehmensjuristin völlig nutzlos, im großen Beitragstopf der DRV verbleiben.
Das BVerfG auf Seiten der Syndizi
Diese missliche Lage hatte das Bundesverfassungsgericht gesehen. In seinen Beschlüssen vom 19. und 22. Juli 2016 stellten die Karlsruher Richter klar, dass ihrer Ansicht nach unter einkommensbezogene Beiträgen auch die Mindestbeiträge in das anwaltliche Versorgungswerk fallen. Das würde bedeuten, dass dann einkommensbezogene Beiträge gezahlt wurden, die Befreiung auch für die Zeit vor dem 1. April 2014 greift und die DRV auch die an sie gezahlten Beiträge an das Versorgungswerk überführen müsste. Eine durchgehende Versicherungsbiographie wäre gewährleistet.
Aber es war keine Entscheidung des BVerfG, sondern dieses äußerte sich im Rahmen der Abweisung einer Verfassungsbeschwerde zu einigen offenen Fragen. Und so folgt die Deutsche Rentenversicherung diesem Appel aus Karlsruhe bis heute nicht. Die Sozialgerichte und Landessozialgerichte haben bislang unterschiedlich entschieden, nun liegen verschiedene Revisionsverfahren beim 5. Senat des Bundessozialgericht (BSG).
Mit Beschluss vom 27. Juni 2019 (Az. B 5 RE 18/18 B) haben Deutschlands oberste Sozialrichter eine Revision der DRV gegen eine Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg zugelassen, das die Ansicht des BVerfG teilte. Sollte das Bundessozialgericht das anders sehen, ist heute schon klar, dass diese Verfahren wieder beim Bundesverfassungsgericht landen werden.
Offene Befreiungsverfahren, die Zweite: Neues Recht, neuer Antrag?
Mehrere hundert Verfahren vor den Sozialgerichten drehen sich daneben um die Frage, ob für die sogenannte rückwirkende Befreiung in einem laufenden Gerichtsverfahren ein neuer Antrag bis zum 1. April 2016 bei der DRV erforderlich war oder nicht. Denn die DRV vertritt die Ansicht, dass es mit Blick auf § 231 Abs. 4 b SGB VI immer eines neuen Befreiungsantrags bis zum 1. April 2014 bedurft habe, selbst wenn bereits ein Verwaltungs- und Gerichtsverfahren anhängig war. Wer diesen nicht gestellt hatte, den befreit die DRV nur ab Antragstellung, also meist im Februar/März 2016 nach dem Inkrafttreten des Syndikusanwaltsgesetzes, für die Zukunft, nicht aber für die Vergangenheit. Um bei dem obigen Beispiel zu bleiben: Die Syndika würde nur ab März 2016 von der Versicherungspflicht befreit, nicht aber für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum März 2016.
Das BSG hat sich dieser Auffassung der Deutschen Rentenversicherung Bund bisher überwiegend angeschlossen. Es geht davon aus, dass es sich bei dem ursprünglichen Befreiungsverfahren und dem Verfahren auf rückwirkende Befreiung um zwei Streitgegenstände handele, also immer eine neuer Antrag erforderlich sei. In einem noch beim Bundessozialgericht anhängigen Verfahren auf Zulassung der Revision (Aktenzeichen B 5 RE 9/19 B) ist diese Ansicht den Kasseler Richtern zur nochmaligen Prüfung vorgelegt worden. Mag sein, dass sich das Bundesverfassungsgericht auch mit diesen Fragen erneut wird befassen müssen, obwohl es sich bereits im Juli 2016 für eine einheitliche Versicherungsbiographie ausgesprochen hatte.
Denn der o.g. Beispielsunternehmensjuristin, die im Jahr 2012 einen Befreiungsantrag für ihre Tätigkeit bei ihrem nichtanwaltlichen Arbeitgeber gestellt hatte, ihr Verfahren offen gehalten hat und mittlerweile als Syndika für genau dieselbe Tätigkeit zugelassen worden ist, der ist kaum verständlich zu erklären, dass es sich um zwei Verfahren handeln soll, also ein Altverfahren und ein neues Verfahren, die trotz einheitlichen Lebenssachverhalts getrennt zu bewerten seien.
Die Zeche zahlen die Anwälte
Viele Anwälte kritisieren, dass diese Ansicht der zwei Streitgegenstände auch dazu führt, dass selbst derjenige, der man alle Anträge rechtzeitig gestellt hat und als Syndikusanwalt zugelassen ist, das offene Gerichtsverfahren, das vor 2016 anhängig war, nun verliert und die Kosten des Verfahrens tragen muss.
Einen Mittelweg hat der 18. Senat des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen gefunden. Die Richter in Essen konnten die klagenden Rechtsanwälte und die DRV zur Erledigung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz überreden und erlegten dann ein Dritter der Kosten des Verfahrens der DRV auf, weil diese durch ihre falsche Handhabung des Gesetzes erst zu den Klageverfahren beigetragen habe (u.a. LSG NRW, Beschl. v. 21.6.2019 – L 18 R 681/17). Leider ist die DRV nicht immer bereit, einer Erledigung des Verfahrens zuzustimmen.
Viele Syndikusrechtsanwälte müssen weiter mit der Deutschen Rentenversicherung Bund um ihre Befreiung für die Vergangenheit streiten. Dabei belasten diese Auseinandersetzungen die Sozialgerichte ganz erheblich. Dass hier unter Umständen in erheblichem Umfang Gelder der Versicherten unnötig ausgegeben werden, mag bei dem Milliarden-Haushalt der DRV nur ein Randaspekt sein.
Der Autor Martin W Huff ist Rechtsanwalt in der Kanzlei LLR Rechtsanwälte in Köln und Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln. Er vertritt seit Jahren Unternehmensjuristen in der Auseinandersetzung mit der Deutschen Rentenversicherung Bund.
Syndikusrechtsanwälte, fünf Jahre danach: . In: Legal Tribune Online, 05.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36831 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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