BGH zur Anwaltszulassung von Geflüchteten: Keine RAK-Mit­g­lied­schaft ohne Papiere

von Martin W. Huff

26.05.2023

In der Türkei zugelassene Rechtsanwälte, die nach dem Putschversuch 2016 nach Deutschland geflüchtet sind, haben ohne Nachweise laut BGH keinen Anspruch auf Aufnahme in eine deutsche RAK. Martin W. Huff sieht den Gesetzgeber in der Pflicht.

Im Zusammenhang mit dem Putschversuch im Juli 2016 in der Türkei wurden zahlreiche Rechtsanwälte und Richter verhaftet. Andere konnten, nachdem gegen sie meist Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden, aus der Türkei fliehen. Sie wurden meistens als Flüchtlinge in Deutschland anerkannt.

Doch wie sieht es für sie mit der anwaltlichen Berufsausübung in Deutschland aus? Darüber hat der Anwaltssenat des Bundesgerichtshofs (BGH) am Montag im Fall eines geflüchteten türkischen Anwaltsehepaars intensiv verhandelt. Am Ende wurde dem Ehepaar die Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer (RAK) Köln versagt (Urt. v. 22.5.2023 – AnwZ (Brfg) 23/22 und 24/22).

Zum Hintergrund: Seit Oktober 2020 begehrte das Anwalts-Ehepaar die Aufnahme in die RAK Köln. Nachdem die RAK die Aufnahme abgelehnt hatte, klagten die beiden vor dem Anwaltsgerichtshof (AGH) NRW und dem BGH. Türkische Anwälte gehören grundsätzlich zu Rechtsanwälten, die sich unter ihrer Bezeichnung "Avukat" in Deutschland zur Beratung im türkischen Recht und im Völkerrecht niederlassen dürfen. Die genauen Voraussetzungen dazu sind in den §§ 206, 207 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) geregelt.

Kammermitgliedschaft in der Türkei erloschen

Beide Ehepartner sind türkische Staatsangehörige und waren lange Jahre als Rechtsanwälte in der Türkei tätig und Mitglieder der RAK Ankara. Zugleich waren sie noch in stattlichen Institutionen tätig. Im Zusammenhang mit dem Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 wurde sie aus politischen Gründen entlassen und ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet. Sie entschlossen sich daraufhin, im September 2016 mit ihrem damals 13-jährigen Sohn aus der Türkei nach Deutschland zu fliehen. Ihre wohnrechtliche Meldung in der Türkei wurde daraufhin – ohne ihr Zutun – wegen der Flucht und den anhängigen politischen, strafrechtlichen Ermittlungen von Amts wegen gelöscht. Damit erlosch auch die Mitgliedschaft der Kläger in der Kammer in Ankara, weil diese einen Wohnsitz des betreffenden Rechtsanwalts in ihrem Bezirk voraussetzt.

In Deutschland wurde das Ehepaar vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, ihre Anträge auf Asylanerkennung hingegen wurden abgelehnt. Die RAK Köln lehnte den Antrag des Ehepaars auf Aufnahme in die Kammer im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass eine Bescheinigung nach § 207 Abs. 1 BRAO fehle.

Danach müssten die Antragsteller jährlich nachweisen, Mitglied einer Rechtsanwaltskammer in ihrem Herkunftsland zu sein. Die Regelung solle eine effektive Aufsicht ermöglichen und sicherstellen, dass der Antragsteller tatsächlich über eine Berufszulassung im Herkunftsstaat verfügt und er damit berechtigt ist, einen in der Ausbildung und den Befugnissen dem Beruf des Rechtsanwalts gleichwertigen Beruf auszuüben.

Da die Kläger nicht mehr Mitglied der RAK Ankara seien, also über keine Zulassung als Rechtsanwälte in der Türkei verfügten und auch eine für die Aufnahme erforderliche Bescheinigung der im Herkunftsstaat zuständigen Behörde über die Zugehörigkeit zu dem Beruf nicht vorlegen könnten, müsse ihnen die Aufnahme in die RAK verwehrt bleiben. Zudem übten sie ihren Anwaltsberuf auch nicht mehr aus, was ebenfalls – auch wenn dies in der deutschen Rechtsprechung und Literatur umstritten sei – der Aufnahme entgegenstehe.

AGH NRW lehnt Aufnahme aus formalen Gründen ab

Ihre Klage gegen die Verweigerung der Aufnahme wies der AGH NRW mit Urteilen vom 24.6.2022 ab. Der AGH sah sich, trotz seines Verständnisses für die Lage der türkischen Rechtsanwälte, offenbar allein aus formalen Gründen gehindert, die Kammer zur Aufnahme zu verpflichten. Schließlich müsse deutschen RAK eine effektive berufsrechtliche Überwachung möglich sein. Dies setze voraus, dass ein Nachweis über die Zulassung in der Türkei vorliege, von dem auch in der besonderen Situation geflüchteter türkischer Rechtsanwälte nicht abgewichen werden könne - auch wenn diese in Deutschland als Flüchtlinge anerkannt seien. Die Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention sähen zwar den Ausgleich von Nachteilen vor, aber Änderungen in der BRAO habe es bisher – trotz einer kleinen Anpassung der Vorschriften zum 1.8.2022 – nicht gegeben.

Der Anwaltssenat des BGH verhandelte die aufgeworfenen Rechtsfragen sehr ausführlich. Er diskutierte insbesondere, ob die BRAO hier eine planwidrige Regelungslücke aufweise und daher eine analoge Anwendung möglich sei. Wenn dies nicht der Fall sei, müsse eine verfassungsrechtliche Prüfung stattfinden, ob die Regelungen der BRAO den Maßstäben des Art. 3 und 16a GG standhielten.

RAK: "Entscheiden, was rechtens ist"

In der mündlichen Verhandlung hatte die RAK Köln als Beklagte erstaunlicherweise keinen konkreten Antrag gestellt, sondern lediglich beantragt, der BGH "möge entscheiden was rechtens ist". Der Präsident der Kölner Kammer, Thomas Gutknecht, erkannte zwar das Dilemma an, in dem sich das klagende Anwaltsehepaar befinde, aber "als kleine Behörde" könne man nicht gegen den Wortlaut des Gesetzes entscheiden. Bedauerlich. Die Kammer hätte durchaus eine Ausnahme machen und die BRAO im Zusammenhang mit der Genfer Flüchtlingskonvention analog anwenden können. Eine solche Entscheidung wäre unanfechtbar gewesen. Doch so weit wollte sich die Kammer wohl nicht vorwagen.

Ihr gleich tat es nun der BGH. Allerdings betonte der Anwaltssenat die Notwendigkeit, dass der Gesetzgeber mit Blick auf derartige Konstellationen tätig werden müsse, etwa indem dieser eine Unzumutbarkeitsregelung schaffe. So hatten die Kläger auch vorgetragen, dass sie mit der Aufnahme in die Kammer und der weitgehenden Beratungsbefugnis im türkischen Recht auch Juristen - etwa vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) - verteidigen könnten, die in der Türkei keinen Rechtsbeistand mehr fänden.

Der Gesetzgeber ist gefordert

Indes. Der Senat unter Leitung der BGH-Präsidentin Bettina Limperg sah offenbar weder Raum für eine analoge Rechtsanwendung noch bestünden durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken. Eine schriftliche Begründung der Entscheidung liegt noch nicht vor. In der Verhandlung hatte das Gericht jedoch bereits angedeutet, dass die Kläger ja mittlerweile im Rechtsdienstleistungsregister eingetragen seien und daher bestimmte Beratungen anbieten dürften. Die weiteren "Vorteile" einer RAK-Mitgliedschaft und der damit verbundene Status sei also wohl nicht so entscheidend.

Fazit: Insgesamt ist es bedauerlich, dass der BGH keine Möglichkeit sah, den geflüchteten Rechtsanwälten zu helfen und ihnen eine sichere Berufstätigkeit in Deutschland zu ermöglichen. Daher ist jedenfalls der Hinweis des Gerichts richtig: Der Gesetzgeber ist gefordert, sich hier Gedanken zu machen. Denn der Fall, dass Rechtsanwälte flüchten müssen und daher ihre Zulassung verlieren, ist gar nicht so selten, wie man meint.

Zitiervorschlag

BGH zur Anwaltszulassung von Geflüchteten: . In: Legal Tribune Online, 26.05.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51840 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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