OVG bestätigt Berliner Corona-Verordnung: Zugang zum Anwalt zu Recht beschränkt

von Pia Lorenz

09.04.2020

 Bürger in der Bundeshauptstadt dürfen wegen des Coronavirus nur zum Anwalt, wenn sie einen "dringend erforderlichen" Termin glaubhaft machen. Das ist in Ordnung, befand das OVG. Und stellte doch fest, was der klagende Anwalt hören wollte.

Die bloß bis zum 19. April befristete und allenfalls geringfügige Beeinträchtigung seiner Berufsfreiheit müsse der Anwalt angesichts der überragenden Bedeutung des Gesundheitsschutzes hinnehmen, befand das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg am Dienstag (Beschl. v. 08.04.2020, Az. OVG 11 S 20/20). Nachdem das OVG schon seinen Normenkontrollantrag gegen die Corona-Beschränkung in der Hauptstadt als unzulässig verworfen hatte, ist ein Berliner Migrationsrechtler dort nun auch mit seinem Eilantrag nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung in zweiter Instanz gescheitert.

Die OVG-Richter bestätigten die Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts, das davon ausgegangen war, dem Anwalt drohten durch die Berliner Corona-Maßnahme zumindest keine so großen Nachteile, dass eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz ergehen müsste.

Die Entscheidung ist unanfechtbar, Verfassungsbeschwerde will Kläger Dr. Matthias Lehnert* nicht einlegen. Obwohl er in drei Entscheidungen unterlegen ist, hat der Migrationsrechtler aus seiner Sicht ein wichtiges Ziel erreicht.

Der Wortlaut der Norm: "dringend erforderlichen Termin" glaubhaft machen

"Aus dem Beschluss des OVG ergibt sich deutlich, dass es keine Pflicht der Mandanten gibt, gegenüber der Polizei oder dem Ordnungsamt offen zu legen, warum sie ihren Anwalt aufsuchen wollen", betont Lehnert gegenüber LTO. Es ist diese Offenbarungspflicht, die der Berliner Anwalt im Wesentlichen gegen § 14 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 3 n) der Berliner Corona-Verordnung (SARS-CoV-2-EindmaßnV) einwandte und durch die er sich in seiner Berufsfreiheit verletzt sieht.

Nach der Verordnung gilt stadtweit grundsätzlich die Verpflichtung, zuhause zu bleiben. Nur die Wahrnehmung "dringend erforderlicher Termine" bei Rechtsanwälten ist nach der Verordnung weiterhin zulässig. Ähnliche Ausgangsbeschränkungen gibt es nach Angaben des Deutschen Anwaltvereins (DAV) momentan in Bayern, Brandenburg, dem Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Durch die Berliner Vorschrift, die er für zu unbestimmt und zudem unverhältnismäßig hält, sieht Lehnert den Zugang zum Recht für seine Mandanten gefährdet. Zudem sei es mit rechtsstaatlichen Geboten unvereinbar, dass jemand gegenüber der Polizei offenlegen müsse, weshalb er zum Anwalt wolle.

Nach ihrem Wortlaut verlangt die Vorschrift, dass die Gründe, sich ausnahmsweise nicht in der Wohnung aufzuhalten, gegenüber der Polizei und den zuständigen Ordnungsbehörden glaubhaft zu machen sind. Laut Lehnert müsste ein Mandant, der ihn aufsuchen wolle, also auf Nachfrage vorher gegenüber der Polizei angeben, dass er ausgeliefert werden solle oder sich gegen eine drohende Abschiebung wehren wolle.

OVG: Glaubhaftmachen braucht keine Informationen

Wie zuvor schon das VG wollte nun auch das OVG eine solche Verpflichtung der Verordnung aber nicht entnehmen. "Sollte ein Mandant des Antragstellers von der Polizei kontrolliert werden und die Dringlichkeit des Termins glaubhaft zu machen haben, hat er ohne Weiteres die Möglichkeit, sich diese mittels eines Anrufs der Polizei in der Kanzlei des Antragstellers bestätigen zu lassen", führt der Senat wörtlich aus. "Hierzu bedarf es regelmäßig auch keiner Offenlegung der Einzelheiten des Sachverhalts, der Gegenstand der anwaltlichen Beratung oder Vertretung ist".

Weil die Maßnahmen zunächst nur bis zum 19. April befristet seien, hält der Senat die von Lehnert angefochtenen Vorschriften auch für hinreichend bestimmt. Dringend in dem Sinne bedeute, dass der Termin noch vor dem Ende der Corona-Maßnahmen stattfinden müsse. Wenn diese noch einmal verlängert werden sollten, müsse die Dringlichkeit eben neu beurteilt werden.

Ob ein Termin überhaupt in diesem Sinne dringend erforderlich ist, könne der Anwalt mit seinem Mandanten vorher telefonisch klären, meinen die Oberverwaltungsrichter zum Argument des Klägers, der Mandant könne in der Regel gar nicht selbst beurteilen, ob ein Termin dringend erforderlich sei. Die Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins (DAV), Edith Kindermann, sagte zu den Ausgangsbeschränkungen, die den Zugang zum Anwalt beschränken, am Donnerstag, die Frage der Dringlichkeit sei eine Frage für den Anwalt. "Die Corona-Eindämmungs-Maßnahmen der Länder ignorieren vielfach die Tatsache, dass auch der Zugang zum Recht für viele Bürgerinnen und Bürger derzeit existenziell sein kann. Sei es ein gekündigtes Arbeitsverhältnis, drohende häusliche Gewalt, die Ermittlung in einem Strafverfahren oder auch "nur" die Verjährung eines Zahlungsanspruchs: Juristische Laien können regelmäßig nicht einschätzen, wie wichtig oder dringend ein Anwaltsbesuch ist. Die Umstände, die eine solche Einschätzung ermöglichen, fallen überdies unter das Mandatsgeheimnis. Eine Offenlegung dieser Umstände gegenüber den Ordnungsbehörden darf von rechtssuchenden Menschen nicht verlangt werden! Der Zugang zum Recht muss auch in der Krisenzeit uneingeschränkt gewährleistet sein."

Der OVG-Senat hingegen erklärte die Beschränkung des Zugangs zum Rechtsanwalt, die primär die Mandanten und den Anwalt selbst nur mittelbar betreffe, auch für verhältnismäßig. Die Richter verweisen auf die hohe Dynamik des Infektionsgeschehens und die damit verbundene Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems durch das Coronavirus. Und dass die Berliner zum Sport auch ohne besondere Dringlichkeit raus dürften, ändere daran auch nichts: Sport und Bewegung an der frischen Luft seien "ein grundsätzliches Lebensbedürfnis, dessen Dringlichkeit sich nicht in einer Weise objektivieren lässt, wie dies für die Wahrnehmung von Anwaltsterminen der Fall ist".  

*Matthias Lehnert steht zu einem Mitglied der Redaktion in einer persönlichen Beziehung. Das Redaktionsmitglied war an der Berichterstattung nicht beteiligt.

Zitiervorschlag

OVG bestätigt Berliner Corona-Verordnung: . In: Legal Tribune Online, 09.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41280 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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