Justizminister zu Legal-Tech-Plattformen: Rechts­di­enst­leis­tung nur vom Anwalt

von Pia Lorenz

06.06.2019

Die Justizminister befürworten Legal-Tech-Portale, die niederschwelligen Zugang zum Recht schaffen. Bieten sie aber Rechtsdienstleistungen an, sollen nur Anwälte sie betreiben dürfen. Die sollen dafür Erfolgshonorare nehmen dürfen - vielleicht.

Die Justizminister haben bei der diesjährigen Justizministerkonferenz (JuMiKo) ein Bekenntnis zu sogenannten Legal-Tech-Portalen abgegeben, mit denen Verbraucher über eine technische Plattform und ohne Kostenrisiko ihre Rechte durchsetzen können. So könne sogenanntes rationales Desinteresse überwunden werden, das Menschen häufig davon abhält, kleine Ansprüche gegen große Gegner durchzusetzen.

Die Justizminister wollen aber gleichzeitig die Qualität der Rechtsberatung sichern. Daher schlagen sie vor, dass Portale, die Rechtsdienstleistungen anbieten, künftig nur noch von Anwälten betrieben werden dürfen. Und weil die nach geltendem Recht genau das attraktive Rundum-Sorglos-Paket ohne Kostenrisiko nicht anbieten könnten, das die Verbraucher an den Legal-Tech-Plattformen so schätzen, sprechen die Justizminister sich auch für eine Überprüfung des anwaltlichen Berufs- und Gebührenrechts aus. Allerdings nur in einer abgeschwächten Variante; der ursprüngliche Entwurf auf der Tagesordnung war weiter gegangen.

Nur Anwälte sollen Rechtsdienstleistungen erbringen

Legal-Tech-Portale könnten, so die Justizminister, bei der individuellen Durchsetzung von Verbraucherrechten einen wichtigen Beitrag leisten. Denn sie nehmen dem Verbraucher das zu hohe Kostenrisiko der Durchsetzung seiner Forderung, die verhältnismäßig gering ist. Und sie ermöglichen im Idealfall eine qualifiziertere Beratung auf der Grundlage zahlreicher gesammelter Daten, die es dem Verbraucher möglich machen, dem marktmächtigen Unternehmen auf der anderen Seite auf Augenhöhe zu begegnen.

Allerdings gebe es schon Regelungsbedarf, um sicherzustellen, dass die Beratung auch qualifiziert ist. Und diesen Regelungsbedarf könnte man nicht etwa durch Erlaubnistatbestände für automatisierte Rechtsdienstleistungen erfüllen, erklärt der den Beschlüssen der JuMiKo zugrundeliegende Bericht der Länderarbeitsgruppe Legal Tech, der LTO vorliegt. Unter der Leitung der Justizministerien von Berlin und Baden-Württemberg kamen die beteiligten Bundesländer zu dem Ergebnis, dass es für eine Regelung der Modelle zu viele unterschiedliche davon gebe und künftige Modelle damit nicht erfasst werden könnten. Ein allgemeiner Erlaubnistatbestand für automatisierte Rechtsdienstleistungen würde zu  einem "Systembruch" führen, heißt es.

Stattdessen verorten die Justizminister die Qualifikation für eine gute Rechtsberatung der Verbraucher offenbar weiterhin bei den Anwälten: Modelle, die nach geltendem Recht, also angeboten von Internetportalen ohne Anwaltszulassung, gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) verstoßen, sollen künftig nur noch von Anwälten betreiben dürfen.

No win, no fee – bald auch für Anwälte?

Gegen das RDG als Verbotsgesetz mit Erlaubnisvorbehalt verstößt, wer selbstständig außergerichtliche Rechtsdienstleistungen erbringt, es sei denn, er verfügt über eine Erlaubnis. Eine solche Erlaubnis haben Rechtsanwälte und unter anderem Inkassodienstleister, die Forderungen für Dritte einziehen dürfen.

Von einer solchen Inkassolizenz machen viele Legal-Tech-Unternehmen Gebrauch. Sie umgingen damit, so die Argumentation vor allem aus der Anwaltschaft, die Beschränkungen, denen die Anwälte unterliegen, verdrängten diese also in der Kundenakquise. Anwälte dürfen nämlich nur in sehr begrenztem Umfang Erfolgshonorare kassieren und keine Gerichtskosten oder andere Kosten ihrer Mandanten übernehmen – und können damit genau das attraktive Angebot, mit dem die Legal-Tech-Portale werben, ihren Mandanten nicht machen: Bei Beauftragung eines Anwalts müssen die Verbraucher dessen Kosten sowie die Gerichtskosten zumindest vorfinanzieren. Und nur, wenn sie zu 100 Prozent obsiegen, kostet es sie gar nichts, ihr Recht durchzusetzen. Von dem Rundum-Sorglos-Paket, dem Versprechen also, nur im Erfolgsfall einen Teil des gewonnenen Betrags an das Legal-Tech-Unternehmen zahlen zu müssen, ist das weit entfernt.

Deshalb haben die Justizminister sich dafür ausgesprochen, "entsprechende Anpassungen im anwaltlichen Berufs- und Gebührenrecht zu prüfen". Damit meinen sie die Beschränkungen beim Erfolgshonorar, also Möglichkeiten, auch Anwälten zu ermöglichen, wie Unternehmer aufzutreten und risikolos erfolgsbezogene Honorare anzubieten.

Fällt nun das Fremdbeteiligungsverbot?

Außerdem soll laut den Justizministern geprüft werden, ob das Fremdbeteiligungsverbot an Anwaltskanzleien gelockert werden kann. Nur ein Unternehmen, in das auch Kapital von extern fließen kann, kann Legal-Tech-Portale entwickeln, so die Argumentation. Die Entwicklung von Software ist teuer. Das heißt, nach geltendem Recht kann, wer ein Legal-Tech-Portal gründen will, gar keine Rechtsanwaltsgesellschaft gründen, weil sich an Anwaltsgesellschaften derzeit keine Kapitalgeber beteiligen dürfen um die anwaltliche Unabhängigkeit zu sichern. Eine Änderung des anwaltlichen Gesellschaftsrechts ist ohnehin in der Mache, die Anwaltsverbände haben bereits Vorschläge unterbreitet.

Bemerkenswert ist, dass die Formulierung zu den Änderungen im Berufs- und Gebührenrecht, auf die die Justizminister sich am Mittwoch einigten, von der ursprünglichen Beschlussvorlage abweicht. Die hatte nämlich nicht nur vorgesehen, solche Änderungen zu prüfen, sondern sie vorzunehmen.

Und es findet sich nun noch eine weitere, auch auf Rückfrage bei Teilnehmern in ihrer Bedeutung nicht ganz aufzuklärende Einschränkung: Bei den Prüfungen sei "insbesondere sicherzustellen, dass durch die rechtlichen Regelungen keine Wettbewerbsverzerrungen stattfinden". Nach LTO-Informationen wurde dieser Nachtrag auf Drängen der FDP in Rheinland-Pfalz eingebracht.

Nur Forderungseinzug oder schon Rechtsdienstleistung?

Was heißt das nun für die Legal-Tech-Portale, vor allem diejenigen, die auf Basis einer Inkassolizenz arbeiten? Man müsse für jedes Internetportal und jedes Legal-Tech-Produkt im Einzelfall prüfen, "ob die digitalisiert erbrachte Dienstleistung eine individualisierte 'rechtliche Prüfung' und damit eine erlaubnispflichtige Rechtsberatung beinhaltet, die über eine bloß schematische Rechtsanwendung hinausgeht", heißt es in dem Bericht.

Auch für jeden Inkassodienstleister müsse man gesondert entscheiden, ob die Grenze zur unzulässigen Rechtsberatung überschritten wurde. Die Länderarbeitsgruppe Legal Tech schlägt vor, auf Inhalt und Umfang der Nebenleistung, auf die erforderlichen Rechtskenntnisse und den sachlichen Zusammenhang zwischen Nebenleistung und Haupttätigkeit abzustellen. Die Forderungseinziehung dürfe nicht bloß die Nebenleistung zur Rechtsdienstleistung sein.

Berlins Justizminister Dirk Behrendt, der die Arbeitsgruppe gemeinsam mit Baden-Württemberg leitete, sagte gegenüber dem Handelsblatt: "Wir verteidigen das Rechtsanwaltsmonopol. Das heißt, reine Inkassotätigkeiten wären unproblematisch. Aber wenn es rechtsberatend wird, also auch um die Durchsetzung und Abwehr von Rechten gegenüber Dritten geht, dann dürfen das nur Rechtsanwälte machen".

Eine andere, von namhaften Stimmen des anwaltlichen Berufsrechts vertretene Auffassung, lehnten die Justizminister aber ab:  Rechtsdienstleistungsbefugnis einerseits und Prozessfinanzierung andererseits seien keineswegs per se unvereinbar, heißt es in dem Bericht. Das Angebot der Legal-Tech-Unternehmen, ihre Kunden auch bei einer gerichtlichen Durchsetzung der Ansprüche schadlos zu halten, ist rechtlich nichts anderes als eine Prozessfinanzierung. Diese gefährde nicht generell die ordnungsgemäße Erbringung der Inkassodienstleistung, argumentieren die Länder.

Inkassolizenz: Wieso Wenigermiete.de ein Spezialfall ist

In der Hauptstadt beschäftigt man sich stark mit den Legal-Tech-Unternehmen. Schlagzeilen machte zuletzt vor allem das Unternehmen LexFox GmbH, bekannter unter ihrem ehemaligen Namen mietright. Das Unternehmen, hinter dem auch ein Anwalt steht, das aber auf der Grundlage einer Inkassolizenz agiert, betreibt das Portal wenigermiete.de. Die Seite ermöglicht einen algorithmusgesteuerten Direktvergleich der eigenen Miete mit dem jeweiligen Mietspiegel. Wer demnach zu viel zahlt, tritt die vermutete Forderung gegenüber seinem Vermieter an die Plattformbetreiber ab. Die schreibt den Vermieter an und versucht, eine Einigung zu erzielen. Gelingt das nicht, macht die Plattform, dann vertreten durch Anwälte, die Ansprüche klageweise geltend.

Ist all das noch eine Annexleistung zum Forderungseintreibung, die von der Inkassolizenz gedeckt wäre, oder schon eine Rechtsdienstleistung? Es gibt fünf landgerichtliche Urteile dazu, ob das Modell zulässig ist – eingekleidet in die Frage, ob die der außergerichtlichen Geltendmachung zugrundeliegende Abtretung der mutmaßlichen Forderung des Mieters wirksam ist oder nicht. Drei Zivilkammern bejahten die Wirksamkeit der Abtretung, zwei verneinten sie. Die ursprünglich für die kommende Woche Woche terminierte mündliche Verhandlung hat der Bundesgerichtshof auf den 16. Oktober verschoben (Az. VIII ZR 275/18).

Die Länderarbeitsgruppe meldet Zweifel daran an. Und zwar solche, die ausschließlich das spezifisch mietrechtliche Modell von Wenigermiete.de betreffen dürften: Die Ansprüche von Mietern wegen zu viel gezahlter Miete entstehen erst nach Erhebung einer Rüge gegenüber dem Vermieter (§ 556 g Abs. 2 BGB). Damit lässt sich Wenigermiete.de, die die Rüge selbst ausspricht, zuvor nicht existierende Ansprüche abtreten, welche man logischerweise auch nicht einziehen kann, sodass keine Inkassotätigkeit vorliegt. Das hält die Arbeitsgruppe – wie auch eine Kammer des LG Berlin und Teile der berufsrechtlichen Literatur – für einen Verstoß gegen das RDG. 

"Anders dürfte dies indes bei Plattformen zu beurteilen sein, bei denen bereits bestehende Ansprüche mittels Legal-Tech-Anwendungen überprüft und anschließend im Wege des Inkassos durchgesetzt werden", heißt es wörtlich in dem Bericht. Auch mit echtem Factoring, also der endgültigen Übertragung der Forderung auf den Erwerber, der das volle Bonitätsrisiko übernimmt, hat die Arbeitsgruppe laut dem Bericht keine Schwierigkeiten: Dieses unterfalle gar nicht erst dem RDG.

Spannend ist übrigens auch, was die Justizminister nicht beschlossen haben: Es soll – vom Erfolgshonorar und dem Beteiligungsverbot abgesehen - keine Änderungen des Berufsrechts, also in der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) und der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) geben. Die Länder sehen also weder in der derzeitigen Nutzung von Legal-Tech-Plattformen noch in der Mitwirkung an deren Betreibergesellschaften durch Rechtsanwälte einen Verstoß gegen anwaltliche Berufspflichten.

Zitiervorschlag

Justizminister zu Legal-Tech-Plattformen: . In: Legal Tribune Online, 06.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35785 (abgerufen am: 08.11.2024 )

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