Bundesrat zum Legal-Tech-Gesetzentwurf: Ohne Ziel und ohne Sinn

Gastkommentar von Prof. Dr. Volker Römermann

08.03.2021

Erfolgshonorar mal ja, mal nein. Und Rechtsdienstleistungen? Am besten gar nicht notwendig. Volker Römermann kritisiert die Stellungnahme des Bundesrats zum Legal-Tech-Gesetzentwurf scharf: Außer Verwirrung komme dabei sonst nichts herum.

Das "Legal-Tech-Gesetz" (Entwurf eines Gesetzes zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt) ist auch in der parlamentarischen Debatte noch heftigen Angriffen ausgesetzt. Am vergangenen Freitag hat der Bundesrat ausführlich Stellung dazu genommen und dabei auch überraschende Grundsatzfragen aufgeworfen.

Nicht, dass es nicht vorher schon zur Sache gegangen wäre. Am Gesetzentwurf zu Legal Tech scheiden sich seit Vorlage der Referatsfassung des BMJV am 12. November 2020 die Geister. Kein Wunder, eröffnet der Entwurf doch Anwälten ein Erfolgshonorar, wenn es um Forderungen bis zu 2.000 Euro geht, und enthält er einige Klarstellungen zugunsten nichtanwaltlicher Rechtsdienstleister und der Zulässigkeit ihrer Geschäftsmodelle. Denjenigen, die auf der Seite der neuen Anbieter oder einfach nur auf der Seite der Freiheit von überflüssigen Verboten stehen, ist das zu wenig. Denjenigen, denen jede Öffnung des Rechtsmarktes zuwider ist, zu viel. 

Als das Bundeskabinett den Entwurf am 20. Januar 2021 absegnete, war schon ein wenig verändert worden. Was nun aber in der Stellungnahme des Bundesrates steht, die er gemäß Art. 76 Abs. 2 Grundgesetz abgeben darf, muss auch den überraschen, der aus dieser Debatte schon Einiges an Vorschlägen und Argumenten gewohnt ist.

Ungleichheiten plötzlich okay?

Große Fragestellungen scheut der Bundesrat nämlich nicht. So beginnt die Stellungnahme mit: "Der Bundesrat erkennt an, dass der derzeitige Regelungsrahmen Legal Tech-Unternehmen [...] gegenüber der Anwaltschaft begünstigt." Weiter hinten im Text wird der Bundesrat im Zusammenhang mit der fehlenden Anwendbarkeit des anwaltlichen Berufsrechts für Rechtsdienstleister sogar noch deutlicher: "Legal-Tech-Anbieter werden insofern grundlos und zum Nachteil der Verbraucherinnen und Verbraucher privilegiert." 

So weit, so gut. Doch was folgert der Bundesrat nun daraus? Nichts. In den Stellungnahmen seiner Ausschüsse für Recht und Verbraucherschutz (BR-Drucksache 58/1/21) wurden die Ungleichheiten noch verteidigt, altbekannte goldene Kälber wie etwa die Unabhängigkeit und das Organ der Rechtspflege wieder einmal durch das Dorf gejagt. In der Stellungnahme vom Freitag: nichts mehr davon. Grundlose Ungleichheiten sind für den Bundesrat nun offenbar keiner weiteren Erwähnung wert. Stumpft das Corona-Jahr so ab?

In Teilbereichen werden dem Entwurf nach Anwalts- und Rechtsdienstleisterrecht angeglichen. Die Verschwiegenheit und das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen sollen nach der Vorstellung des Bundesrates auch für Rechtsdienstleister gesetzlich angeordnet werden. Nicht Kohärenz also ist angesagt, sondern Konvergenz.

Rechtsstaat ohne Rechtsdienstleister

"Der Zugang zum Recht sollte für Verbraucherinnen und Verbraucher so niedrigschwellig ausgestaltet sein, dass die Inanspruchnahme von Rechtsdienstleistungen für die Rechtsdurchsetzung keine Notwendigkeit mehr darstellt", heißt es in der Stellungnahme weiter. Was für ein Statement! Zugang zum Recht, aber gerne ohne Anwälte und andere Rechtsdienstleister. 

Ging es in der Diskussion der vergangenen Jahre, angefacht durch die erste "LexFox"-Entscheidung des BGH vom 27. November 2019, vielen Teilnehmern nur um die Absicherung von Anwälten gegen die neu aus Rechtsdienstleistern erwachsene Konkurrenz, so blitzt hier eine neue, viel größere Gefahr am Horizont auf. Das, was hier zu lesen ist, bedeutet eine Kampfansage nicht nur an die Anwaltschaft, sondern gleich mit an die im Werden begriffene Dienstleisterbranche. 

"Nur wenn Verbraucher zwischen der Möglichkeit, ihre Rechte selbst durchzusetzen, und anderen Formen der Rechtsdurchsetzung frei wählen können, kann ein fairer und verbrauchergerechter Rechtsdienstleistungsmarkt entstehen", schreibt Bundesrat. Doch fair für wen? Fair für den Verbraucher, der den Versuch unternimmt, in einem stetig komplexeren rechtlichen Umfeld sein Recht auf eigene Faust zu wahren, Bildungsbasis Google und Youtube?

Der Chor der Stimmen, die einst den Rechtsstaat und seine Organe priesen, ist mittlerweile verstummt. Wozu auch der ganze Aufwand? Ohne Rechtsdienstleister könnten womöglich auch Kosten der Beratungs- und Prozesskostenhilfe eingespart werden, mag mancher im Bundesrat dem Nachbarn bei der Abstimmung zugeflüstert haben.

Erfolgshonorar am besten gar nicht

Wer noch weiter liest, kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Erfolgshonorare bei Rechtsdienstleistern sollen auf 25 Prozent gedeckelt werden. Warum gerade 25 Prozent, erschließt sich nicht. Oft übliche 30 Prozent erschienen dem Bundesrat offenbar zu hoch. Richtet sich ein gewerbsmäßiges Inkasso für Unternehmen gegen Verbraucher, soll die Möglichkeit eines Erfolgshonorars sogar ganz abgeschafft werden.

Auch bei Anwälten ist dem Bundesrat ein Erfolgshonorar suspekt. "Eine uneingeschränkte Zulassung von Erfolgshonoraren für Geldforderungen von bis zu 2.000 Euro [...] kann dazu führen, dass auch Rechtsanwälte verstärkt Inkassodienstleistungen anbieten und dabei ohne Rücksicht auf den tatsächlichen Aufwand den vollen Gebührenrahmen ausschöpfen, da der Gläubiger nur bei erfolgreichem Inkasso ein Honorar zahlen muss, dieses aber vom Schuldner als Verzugsschaden erstattet bekommt."

Stellt der Gesetzgeber einen Gebührenrahmen, so besteht in der Tat ein Risiko, dass die Gesetzesanwender ihn ausschöpfen. Dem muss nach der Stellungnahme des Bundesrats offenbar besonders dringend vorgebeugt werden. Gerade bei niedrigen Streitwerten erscheint dem Bundesrat das Risiko "unverhältnismäßiger" Gebühren besonders hoch. Könnten Anwälte in Zukunft sonst womöglich mehr als den gesetzlichen Mindestlohn verdienen?

Rechtsdienstleistungen nur in bestimmten Bereichen

Der Begriff der Inkassodienstleistung soll nach dem Willen des Bundesrates so eingegrenzt werden, "dass das Kerngeschäft der Rechtsdienstleistung mit der erforderlichen rechtlichen Klarheit der Rechtsanwaltschaft vorbehalten bleibt." Von einer "Überdehnung des Begriffs der Inkassodienstleistung" ist die Rede, die den Schutz von Verbrauchern "unterlaufen" könne.

Durch eine Präzisierung des § 4 RDG soll deshalb sichergestellt werden, "dass der einzelne Rechtsuchende mit seinen individuellen Erfolgsaussichten auch bei der Rechtsdienstleistung eines Inkassodienstleisters, insbesondere der gebündelten gerichtlichen Geltendmachung von Forderungen unterschiedlicher Rechtsuchender sowie bei Beteiligung eines Prozessfinanzierers, im Mittelpunkt steht. [...] Prozessrisiken für die Rechtsuchenden dürfen auch bei der Nutzung von Legal-Tech-Tools [...] nicht vergemeinschaftet werden." Die "Unvereinbarkeit einer Rechtsdienstleistung mit einer anderen Leistungspflicht [soll] unter Berücksichtigung der eingetretenen Entwicklungen im Bereich der Legal-Tech-Inkassodienstleister ausgebaut und präzisiert werden." Die Unvereinbarkeit wird "ausgebaut". 

Man kann das Ganze auch simpel ausdrücken: Bündelung als Geschäftsmodell soll praktisch untersagt werden.

Die Konzern-Lobby war erfolgreich

Bestimmte komplexe Rechtsmaterien sollen für Inkassodienstleister ausgeschlossen werden. Der Bundesrat benennt ausdrücklich Anfechtungsklagen und das Recht der verbundenen Unternehmen nach aktienrechtlichen Vorschriften, das Kartellrecht und das Naturschutzrecht. Weder Beschlussmängel noch Konzernrecht gehören zum Forderungseinzug, so dass sich der geneigte Leser verwundert die Augen reibt, was diese Aspekte hier überhaupt zu suchen haben. 

Die Begründung in der Stellungnahme liefert darauf die Antwort. In ihr heißt es, "dass die genannten Bereiche nicht nur in rechtlicher Hinsicht komplex sind, sondern bedeutsame Unternehmensformen, wie Aktiengesellschaften und Konzerne betreffen, die auf ein konstruktives Zusammenwirken der Anteilseigner angewiesen sind." Um Verschonung von Konzernen mit lästigen Klagen geht es also – ein Punktsieg der Konzern-Lobby.

Die im Rechtsdienstleistungsgesetz schon vorgesehenen und durch den Gesetzentwurf massiv ausgeweiteten Informationspflichten sollen noch weiter erstreckt werden, sowohl inhaltlich als auch im Anwendungsbereich, findet der Bundesrat: nicht nur Verbrauchern gegenüber, sondern auch Gewerbetreibenden. Die Umgestaltung des RDG vom Verbots- zum Informationsmodell schreitet, ohne dass dies offen ausgesprochen würde, schleichend voran.

Kein System dahinter erkennbar: Was soll das Ganze?

Die Stellungnahme des Bundesrates lässt den Leser ratlos zurück. Da wird gefordert, den Zugang zum Recht auch ohne Anwälte und Rechtsdienstleister zu öffnen. Andererseits soll die Position der Anwaltschaft gestärkt werden. Erfolgshonorare sollen teilweise verboten, teilweise auf 25 Prozent reduziert und teilweise erlaubt werden. Informationspflichten wie auch Verbote seien auszubauen. Konzerne sollen von professionellen Massenforderungen verschont werden. Und eine Insolvenzversicherung darf übrigens auch nicht fehlen. Das alles ist bunt zusammengewürfelt, ohne System oder Plan, ohne Ziel, ohne Sinn. 

Wer Großes wollte, ein kohärentes System, ein ehrliches, der müsste ganz neu ansetzen. Ein Allgemeiner Teil des Rechtsdienstleisterberufsrechts und dann der Besondere Teil. Mit abgestufter Freiheit: je höher die formale Eingangsqualifikation, desto größer die Bandbreite der Möglichkeiten. Anwälte unterlägen danach den geringsten Einschränkungen. Die Welt würde vom Kopf zurück auf die Füße gestellt.

Was der Bundesrat dagegen derzeit zur Neuregelung von Legal Tech beizutragen vermag, ist nichts als Verwirrung.

Der Autor Prof. Dr. Volker Römermann, CSP, ist Vorstand der Römermann Rechtsanwälte AG und berät seit annähernd 25 Jahren im anwaltlichen Berufsrecht und Rechtsdienstleistungsrecht. Er ist daneben u.a. Direktor des Forschungsinstituts für Anwaltsrecht der Humboldt-Universität zu Berlin.

Zitiervorschlag

Bundesrat zum Legal-Tech-Gesetzentwurf: . In: Legal Tribune Online, 08.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44447 (abgerufen am: 19.11.2024 )

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