BGH präzisiert Syndikus-Rechtsprechung: 65 Pro­zent anwalt­liche Tätig­keit rei­chen

von Pia Lorenz

20.11.2019

Auch Unternehmensjuristen, die nicht gesamtvertretungsbefugt sind, können verantwortlich für ihr Unternehmen nach außen auftreten. Der BGH gibt Hinweise, ob ein Job schon anwaltlich geprägt ist, wenn mehr als 50 Prozent Anwaltstätigkeit sind.

Syndikusrechtsanwalt kann auch sein, wer für das Unternehmen, in dem er als Jurist tätig ist, nicht gesamtvertretungsbefugt ist. Die Befugnis, nach außen verantwortlich aufzutreten, die § 46 Abs. 2 Nr. 4 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) für die Anerkennung als Syndikusrechtsanwalt voraussetzt, kann sich auch schon aus dem selbständigen Führen von Verhandlungen oder vergleichbaren Tätigkeiten ergeben.

Neben dieser traf der Bundesgerichtshof (BGH) mit seiner vor kurzem veröffentlichten Entscheidung (Urt. v. 30.09.209, ANwZ (Brfg) 63/17) noch eine weitere Feststellung, die er bislang seit dem Inkraftreten des neuen Syndikusrechts Anfang 2016 immer offen gelassen hatte: Damit das Arbeitsverhältnis von Inhouse-Anwälten im Sinne von § 46 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 BRAO anwaltlich geprägt ist, reicht es, wenn der Anwalt 65 Prozent seiner Arbeitszeit für anwaltliche Tätigkeiten aufwendet. "Ein Anteil von 65 Prozent anwaltlicher Tätigkeit liegt am unteren Rand des für eine anwaltliche Prägung des Arbeitsverhältnisses Erforderlichen", stellen die Anwaltsrichter in ihrem Urteil fest.

Sie präzisieren damit langsam ihre Linie in Sachen Syndizi. Bisher hatte der BGH einen Anteil von 70 bis 80 Prozent für jedenfalls ausreichend erklärt, aber offen gelassen, ob auch ein Anteil von mehr als 50 Prozent genügen könnte.

Immer noch: Unternehmensjuristen gegen die DRV

Einmal mehr hat der Anwaltssenat der Argumentation der Deutschen Rentenversicherung (DRV) eine Absage erteilt.

Die DRV klagt weiterhin bundesweit gegen die Zulassung von Unternehmensjuristen als Syndikusanwälte, weil diese dann Mitglied der Anwaltsversorgungswerke werden und nicht in die Deutsche Rentenversicherung einzahlen. Ausschlaggebend ist die Norm des § 46 BRAO, die erläutert, unter welchen Voraussetzungen Unternehmensjuristen für ihren Arbeitgeber anwaltlich tätig (und damit zur Zahlung ins anwaltliche Versorgungswerk berechtigt) sind. Absatz 3 der Vorschrift definiert anhand mehrerer Merkmale, wann eine Tätigkeit in diesem Sinne anwaltlich geprägt ist. Zu den Kriterien gehört auch das verantwortliche Auftreten nach außen.

Um die Erfüllung oder Nichterfüllung dieser Merkmale streiten sich auch nach der Reform des Syndikusrechtsanwaltsrechts im Jahr 2016 zahlreiche Unternehmensjuristen, vor allem mit der DRV. Häufig lassen die örtlichen Anwaltskammern die Syndizi zu, die DRV legt dann Widerspruch ein und zieht notfalls durch alle Instanzen.

Auch im jetzt vom BGH entschiedenen Fall berief sie sich darauf, dass der klagende Jurist nicht über eine Einzelvertretungsbefugnis für seinen Arbeitgeber verfügt habe. Dabei hat der BGH mittlerweile schon in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass es für die nach § 46 Abs. 3 Nr. 4 erforderliche Befugnis, nach außen verantwortlich aufzutreten, gerade keine Alleinvertretungsbefugnis braucht.

Wann Inhouse-Anwälte verantwortlich nach außen auftreten

An dieser Rechtsprechung hält der Senat mit seiner nun ergangenen Entscheidung fest. Er urteilt zudem, dass nicht einmal eine Gesamtvertretungsbefugnis nötig sei. Im Einzelfall könne die Befugnis, nach außen verantwortlich aufzutreten, sich auch aus dem selbständigen Führen von Verhandlungen oder vergleichbaren Tätigkeiten ergeben, so der Anwaltssenat.

Zur Begründung nehmen die Richter neben der Entstehungsgeschichte der Norm auch Bezug auf das von der DRV selbst entwickelte Merkblatt "Hinweise für nichtanwaltliche Arbeitgeber zu den Merkmalen einer anwaltlichen Tätigkeit", das neben einer von allen Weisungen unabhängigen Alleinentscheidungsbefugnis auch eine "wesentliche Teilhabe an Abstimmungs- und Entscheidungsprozessen im Unternehmen" ausreichen lässt.

Der Senat vergleicht dabei die Tätigkeit von Unternehmensjuristen mit der eines externen Anwalts, der außergerichtlich für ein Unternehmen verhandelt – schließlich hole sich auch dieser letztlich erst das Okay für seine Verhandlungsergebnisse, bevor ein Deal endgültig geschlossen wird.

65 Prozent reichen - doch wieviel Luft ist noch nach unten?

Auch den dargelegten Umfang des anwaltlichen Teils seines Jobs, den der beklagte Unternehmensjurist mit 65 Prozent beziffert hatte, lassen die Richter genügen. Nach ständiger Rechtsprechung setzt die von § 46 Abs. 3 BRAO geforderte anwaltliche Prägung voraus, dass der anwaltliche Teil den Schwerpunkt der Tätigkeit ausmacht, "mithin das Arbeitsverhältnis durch die anwaltliche Tätigkeit beherrscht wird". Dafür genügen dem Anwaltssenat laut dieser Entscheidung ein Anteil von 65 Prozent .

Zuletzt im Juli dieses Jahres hatte der Senat entschieden, dass der Geschäftsführer einer Schule kein Syndikusanwalt sein kann, weil er sich zu wenig mit anwaltlichen Tätigkeiten befasse. Bei Berufen, die sowohl einen anwaltlichen als auch einen nicht-anwaltlichen Anteil an Tätigkeiten aufweisen, reichten dem Anwaltssenat bislang jedenfalls 70 bis 80 Prozent der geleisteten Arbeit aus, um von einer Prägung in diesem Sinne auszugehen. Ob auch ein Anteil von mehr als 50 Prozent "prägend" sein kann, haben die Richter aber auch in dieser Entscheidung offen gelassen.

Nun nähern sie sich der 50-Prozent-Grenze von oben an, weisen allerdings darauf hin, dass die 65 Prozent zwar ausreichen, aber "am unteren Rand des für eine anwaltliche Prägung des Arbeitsverhältnisses Erforderlichen"  seien.

Nun ist in unterer Rand noch keine untere Grenze, etwas Luft nach unten gibt es wohl noch. Dass den Bundesrichtern aber mehr als 50 Prozent des Jobs, also nur etwas mehr anwaltliche als nichtanwaltliche Tätigkeit genügen, wird damit aber unwahrscheinlicher.

Auf ein anderes, von der DRV noch immer herangezogenes Argument reagiert der Senat erneut sehr kurz und bündig. Der Verweis der DRV darauf, dass bei der Frage der Prägung nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Aspekte eine Rolle spielten, führt aus Sicht der Bundesrichter ins Nichts: "Ist das Arbeitsverhältnis bereits quantitativ von der anwaltlichen Tätigkeit geprägt, kann für die qualitative Prägung regelmäßig keine andere Beurteilung gelten", bestätigt der Senat seine Rechtsprechung aus diesem Jahr. "Anwaltliche Tätigkeit stellt grundsätzlich keine geringwertige Tätigkeit dar."

Zitiervorschlag

BGH präzisiert Syndikus-Rechtsprechung: . In: Legal Tribune Online, 20.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38793 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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