Die BRAK peilt die Wiederinbetriebnahme des beA für den 3. September an. Mit den Kammern ist das noch gar nicht besprochen, von Anwälten und Software-Industrie hagelt es Kritik. Scheitern könnte der Neustart ohnehin noch am AGH Berlin.
Unterschiedlicher könnten die Analysen zum angekündigten Zeitplan für die Inbetriebnahme des beA nicht ausfallen: Während die BRAK der Auffassung ist, dass das nunmehr für alle einsehbare Abschlussgutachten der Fa. Secunet "das beA als geeignetes System zur vertraulichen Kommunikation im elektronischen Rechtsverkehr bestätigt", sehen sich die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und klagende Anwälte darin bestätigt, die Inbetriebnahme des beA vor dem Anwaltsgerichtshof zu verhindern.
Auch nach Veröffentlichung des Secunet-Gutachtens werfen die Anwälte der BRAK vor, am beA in seiner jetzigen Form festzuhalten, obwohl einfache technische Lösungen für eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung verfügbar seien. In einer Stellungnahme der GFF vom Mittwoch heißt es: "Das Sicherheitsaudit von Secunet erläutert, was wir ohnehin schon wussten: Das beA ist in seiner derzeitigen Form eine Gefahr für das anwaltliche Berufsgeheimnis", so Dr. Ulf Burmeyer. Aus Sicht des Vorsitzenden der GFF haben "wir jetzt schwarz auf weiß, dass das beA keine Ende-zu-Ende Verschlüsselung vorsieht und die technischen Anforderungen an eine sichere Kommunikation nicht erfüllt."
Das Gutachten bestätigt, dass keine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung vorliegt und die nötige Sicherheit sich derzeit nur im Zusammenspiel von technischen und organisatorischen Maßnahmen erreichen lässt. Das beA in seiner derzeitigen Form unterlaufe, so Buermeyer, die Vertraulichkeit der anwaltlichen Kommunikation insgesamt. Im Abschlussgutachten habe Secunet nun klargemacht, dass die von der BRAK gewählte HSM-Konstruktion gerade nicht aus sich heraus technisch sicher sei. Anwälte sowie ihre Mandantschaft müssten der BRAK vertrauen, dass schon nichts schiefgehen werde. Nachdem die GFF eine Klage mehrerer Anwälte gegen die BRAK für ein sicheres beA koordiniert und am vergangenen Freitag beim Berliner Anwaltsgerichtshof eingereicht hatte, prüft sie nach Bekanntgabe der BRAK-Pläne zum Zeitplan, das beA auch per einstweiliger Anordnung zu stoppen.
DAV: "Verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen"
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) will das Secunet-Gutachten zeitnah mithilfe externer Fachleute analysieren. Man wolle sich ein eigenes Bild machen, so DAV-Vorstand Martin Schafhausen zu LTO. Mit der Einholung externer Expertise wolle der DAV "seinen Beitrag dazu leisten, dass die Anwaltschaft zuletzt verloren gegangenes Vertrauen in das beA und in den Elektronischen Rechtsverkehr zurückgewinnen kann," sagte Schafhausen, der auch Vorsitzender des Ausschusses für den Elektronischen Rechtsverkehr (ERV) beim DAV ist.
Nach Informationen von LTO plant der DAV, sich bereits Anfang kommender Woche unter anderem mit Fachleuten des Chaos Computer Clubs (CCC) zur Bewertung des Gutachtens an einen Tisch zu setzen.
Klagender Anwalt: "BRAK nimmt die Entscheidung der Kammern vorweg"
Einer der klagenden Anwälte, der Berliner Rechtsanwalt Michael Schinagl, kritisierte darüber hinaus die Kammer für das von ihr vorgegebene Verfahren: So gebe die BRAK das Datum der Inbetriebnahme am 3. September faktisch vor, obwohl allein die Hauptversammlung, also die Präsidenten der regionalen Kammern ohne eigene Stimme der BRAK, entscheidungsbefugt sei.
Tatsachlich nimmt die BRAK in ihrer Pressemitteilung vom Mittwoch, das Ergebnis der Beratungen der für den 27.Juni terminierten Präsidentenkonferenz sprachlich schon einmal vorweg: "Ab dem 03.09.2018 wird das Senden und Empfangen von Nachrichten wieder möglich sein. Damit wird die passive Nutzungspflicht der Postfächer für die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte wieder aufleben," heißt es in der Mitteilung der BRAK.
Schinagl bezweifelt, dass der von der BRAK anvisierte Zeitrahmen den regionalen Kammern eine vernünftige Entscheidung über die Inbetriebnahme überhaupt ermöglicht: Schließlich könnten diese vor der geplanten Inbetriebnahme am 3. September nicht mehr prüfen, ob die von secunet festgestellten Mängel, die laut BRAK bis zum 2.September behoben werden sollen, tatsächlich auch abgestellt sind. Damit sähen laut Schinagl die Pläne der BRAK letztlich vor, dass ein "nicht abgenommenes Werk online geht".
Software-Industrie beklagt mangelnde Einbeziehung
Scharfe Kritik erntet die BRAK auch von der Software-Industrie. Die Vorstandsvorsitzende des Software-Industrie Verbandes Elektronischer Rechtsverkehr (SIV-ERV), Sabine Ecker, beklagte gegenüber LTO, von der BRAK nicht in den Austausch über die Secunet-Ergebnisse einbezogen worden zu sein. "Wir hätten uns gewünscht, dass uns die BRAK vorab das Gutachten zur Verfügung gestellt und mit uns gemeinsam über den Zeitplan gesprochen hätte", so Ecke. Die Juristin weist darauf hin, dass man die Funktionsfähigkeit des Postfachs beim Kunden, den Anwälten, schließlich durch Schulungen begleiten müsse. "Ich bezweifele, ob das angesichts des von der BRAK knapp bemessenen Zeitplans und der bevorstehenden Sommerpause überhaupt funktionieren kann", so Ecker.
Fehlende Kommunikation wird der BRAK erneut auch aus den Reihen der Regionalkammern vorgeworfen. So kritisierte Berlins RAK-Präsident Marcus Mollnau in einem an die BRAK und alle RAK adressierten Schreiben vom Mittwoch, das LTO vorliegt, die Art und Weise, wie die BRAK in der Öffentlichkeit mit der beim Anwaltsgerichtshof gegen sie eingereichten Klage umgehe: In einem Schreiben an die regionalen Kammern vom 19.Juni, das LTO ebenfalls vorliegt, hatte die BRAK den RAK mitgeteilt, dass sie "selbstverständlich" nicht die Absicht habe, "gegenüber der Presse eine Stellungnahme abzugeben".
Mollnau zeigte sich über diese Maulkorb-Strategie der BRAK empört: "Das kann nicht ernst gemeint sein. Will die BRAK tatsächlich das Abducken, Schweigen, Aussitzen und im-Graben-Liegen fortsetzen?" Es sei "fatal und brandgefährlich", wenn die BRAK ihre bisherige Informationspolitik in Bezug auf dieses Verfahren fortsetze, so Mollnau. Die BRAK müsse mit dem Klageverfahren offensiv und proaktiv umgehen und der Öffentlichkeit ihre Position auch im Hinblick auf die Vor- und Nachteile einer End-zu-Ende-Verschlüsselung erläutern.
Auch LTO hatte von der BRAK auf eine Nachfrage zur Position der BRAK diesbezüglich am Montag eine Abfuhr bekommen: "Die Klage wurde bislang noch immer nicht zugestellt, so dass uns nur die 'öffentliche Fassung' bekannt ist", heißt es in der Mail. Unabhängig davon werde die BRAK "Stellungnahmen zu einem laufenden gerichtlichen Verfahren ausschließlich in diesem gerichtlichen Verfahren, nicht aber öffentlich, abgeben."
Hasso Suliak, Neustart des elektronischen Anwaltspostfachs: . In: Legal Tribune Online, 21.06.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29309 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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