Sobald das beA wieder online ist, gilt die passive Nutzungspflicht. Ob das an der BRAK oder dem BMJV liegt, ist unklar. Einen Neustart am 3. September wird, das steht jetzt fest, auch die Klage einiger Anwälte nicht verhindern.
Es sieht alles danach aus, dass das Anwaltspostfach am 3. September online geht und sofort alle Anwälte mitmachen müssen. Nach dem Neustart des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA), den die verantwortliche Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) weiterhin am 3. September durchziehen will, soll es keine Testphase geben. Das System wird dann erstmalig unter Realbedingungen laufen und die Anwälte müssen es einrichten und implementieren, während sie bereits verpflichtet sind, im System eingehende Schriftstücke gegen sich gelten zu lassen.
Diese sogenannte passive Nutzungspflicht ist zum 1. Januar 2018 in Kraft getreten – zu einem Zeitpunkt, als schon feststand, dass das beA über Monate nicht nutzbar sein würde, nachdem die BRAK das System kurz vor Weihnachten wegen massiver Sicherheitslücken vom Netz genommen hatte. Seitdem gibt es aus der Anwaltschaft die Forderung, dafür zu sorgen, dass es zwischen der Wiederinbetriebnahme des Systems und dem Zeitpunkt, ab dem die Anwälte dort eingegangene Schriftstücke gegen sich gelten lassen müssen, noch eine Testphase ohne Nutzungspflicht geben müsse. Tatsächlich dürfte ein zeitlicher Puffer sinnvoll sein, um das beA in die Kanzlei- oder Firmenumgebung zu implementieren, mit der Kanzleisoftware zu vernetzen, die Berechtigungen für Mitarbeiter zu vergeben und sich mit der Bedienung vertraut zu machen - von der zu erwartenden Maximalauslastung auf dem System einmal ganz zu schweigen.
Auch die für Umsetzung und Betrieb des beA-Systems verantwortliche BRAK hatte den Anwälten versprochen und bei der Präsidentenkonferenz am 27. Juni auch offiziell beschlossen, sich für eine angemessene Vorlaufzeit einzusetzen. Es sieht aber nicht danach aus, als ob sie damit erfolgreich gewesen wäre. Ob sie dafür selbst verantwortlich oder aber am Widerstand des Bundesjustziministeriums (BMJV) gescheitert ist, ist nicht klar.
Keine Testphase für die Anwälte
Während die BRAK angibt, noch auf eine Entscheidung aus dem BMJV zu warten,
heißt es von dort auf Nachfrage von LTO eher schmallippig: "Das BMJV plant derzeit im
Hinblick auf die bezeichnete 'Testphase' keine Änderungen der Bundesrechtsanwaltsordnung oder der Rechtsanwaltsverzeichnis- und -postfachverordnung."
Damit ist eine Testphase so gut wie vom Tisch. Denn die BRAK greift bei diesem Thema traditionell auf das Argument zurück, technisch sei eine solche Phase gar nicht möglich: Mit der Liveschaltung des Systems, also des Versands der Nachrichten, lebe die Nutzungspflicht quasi automatisch wieder auf, daran sei technisch nichts zu ändern. Denn sie habe für jeden Anwalt ein "empfangsbereites" beA zur Verfügung zu stellen und eben keines, das man per Knöpfchen noch auf Empfang umstellen könnte. "Die BRAK kann somit nicht allein für eine Testphase sorgen, sondern ist auf den Gesetzgeber angewiesen", bestätigte eine ihrer Sprecherinnen auch am Montag gegenüber LTO.
Und der will, das wird keine vier Wochen vor dem geplanten Start des Systems klar, ganz offenbar nichts mehr tun, um noch eine Testphase zu ermöglichen. Das würde gar nicht allzu sehr überraschen, schließlich hatte das BMJV sich seit jeher auf den Standpunkt gestellt, es gebe, auch nachdem das beA offline genommen wurde, aus seiner Sicht keinen gesetzgeberischen Bedarf für eine Aussetzung der am 1. Januar in Kraft getretenen Nutzungspflicht der Anwälte.
Wer bekommt den schwarzen Peter?
Pikant wird die jetzige Situation allein dadurch, dass zum ersten Mal offenbar wird, dass die BRAK und das BMVJ sich hinter den Kulissen keineswegs so einig sind, wie das nach außen auch nach dem Desaster um das Anwaltspostfach gern suggeriert wurde.
Einem Bericht der Neuen Juristischen Wochenschrift vom Wochenende zufolge hat das BMVJ nämlich darauf verwiesen, dass es keine Gesetzgebungspläne für eine Testphase nach dem Start gebe, weil die BRAK den Antrag für eine Testphase zu spät gestellt habe. "Um die erforderliche Gesetzesänderung rechtzeitig einleiten zu können, wäre nach ihren Angaben (Anm. d. Red.: denen der Ministeriumssprecherin) ein Vorlauf von sechs Wochen erforderlich gewesen. Das habe man der Kammer auch mitgeteilt", zitiert die NJW-Meldung eine Sprecherin des BMJV. Diese habe aber anschließend noch ein offizielles Schreiben mit derselben Bitte hinterhergeschickt.
Am Montag wollte eine Sprecherin des BMJV diesen Vorgang auf Nachfrage von LTO nicht kommentieren. Die BRAK bestätigte dagegen, das BMJV telefonisch am 27. Juni – am Tag der Präsidentenkonferenz, bei der das Vorgehen beschlossen wurde – und schriftlich noch einmal am 29. Juni darum gebeten zu haben, die Möglichkeiten zur Einführung einer Testphase zu prüfen.
Der Unterschied in den Versionen der Geschichte: Die BRAK will zwischen Telefonat und Schreiben keine Ablehnung des BMJV mit Hinweis darauf erhalten haben, dass ihre Anfrage schon zu spät komme, als dass die Einleitung einer Gesetzesänderung vor dem geplanten Start am 3. September überhaupt noch möglich wäre. Vielmehr sei man "bislang ohne Antwort geblieben", nachdem man sich beim BMJV und den Ländern für eine Testphase für die Anwälte eingesetzt habe, heißt es von der Dachorganisation der Rechtsanwälte. [Update um 18:53 Uhr:] In einer um 18:45 Uhr veröffentlichten Presseerklärung erklärt die BRAK wörtlich: "Behauptungen, nach denen das BMJV aufgrund eines Versäumnisses der BRAK die erforderliche Gesetzesänderung nicht rechtzeitig einleiten konnte, da dafür ein Vorlauf von sechs Wochen nötig gewesen wäre, sind falsch. Es gibt keine Frist zur Einleitung von Gesetzgebungsverfahren. Das BMJV hat gegenüber der BRAK dafür auch keine Frist kommuniziert." [Update Ende]
Tatsächlich ist man sich erst ab da wieder einig zwischen BMJV und der BRAK: Seit Ende Juni gab es keinen Kontakt mehr in der Frage einer Testphase des beA ohne Nutzungspflicht für die Anwälte.
Nur die Kammer-Präsidenten könnten den Start noch stoppen
Die Frage, ob es nun an einer schlechten Zeitplanung und einem zu frühen Starttermin der BRAK oder aber daran liegt, dass das BMJV eine Testphase ohne Nutzungspflicht der Anwälte einfach nicht für nötig hält, könnte leicht beantwortet werden, wenn die BRAK den Starttermin noch einmal nach hinten verschieben würde, das Ministerium also genug Zeit hätte, um eine entsprechende Übergangsphase gesetzlich regeln zu lassen.
Das will die BRAK aber partout nicht. Sie hält trotz massiver Kritik an dem ambitionierten Zeitplan fest, obwohl eine Schwachstelle dann erst im laufenden Betrieb beseitigt werden kann und obwohl vom DAV über den BUJ bis hin zu den Kanzleisoftware-Herstellern alle anderen dafür plädieren, den ohnehin schon um mehr als zwei Jahre verzögerten Start nun noch etwas zu verschieben.
Auch die Klage mehrerer Anwälte am Anwaltsgerichtshof Berlin für eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung des beA dürfte den Start des beA Anfang September nach LTO-Informationen nicht mehr verhindern. Auch wenn beide Seiten sich zu ihrer Prozessstrategie nicht äußern, gibt es gar keinen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Und im Hauptsacheverfahren hat die BRAK gerade erst eine Fristverlängerung für die Klageerwiderung bis zum 16. September beantragt und bekommen.
Nun könnten nur noch die Kammerpräsidenten verhindern, dass das System am 3. September online geht: Sie können bis zum morgigen Dienstag im schriftlichen Verfahren oder aber bei einer außerordentlichen Konferenz am 13. August darüber abstimmen, ob das beA trotz der vorher nicht behebbaren Schwachstelle im System online gehe soll. Vielleicht fällt ihnen das noch schwerer, wenn sie nun sicher wissen, dass es danach auch keine Testphase mehr geben wird. Weder für die Anwälte noch für das System, das dann erstmalig im Echtbetrieb unter Realbedingungen getestet werden wird.
Anwaltspostfach kurz vor dem Neustart: . In: Legal Tribune Online, 06.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30189 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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