Anwaltspostfach: Der Gegner weiß, ob Sie schon ange­meldet sind

von Pia Lorenz

06.09.2018

Das beA ist wieder online. Und es zeigt jedem Anwalt, welcher Kollege es noch nicht aktiviert hat. Das könnte Anwälte sogar dazu verpflichten, an das nicht aktive Postfach des Gegners zu versenden, wenn es dem Mandanteninteresse dient.

Das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) ist am Montag wieder live gegangen. Es gab Startschwierigkeiten, aber es hat fürs Erste funktioniert. Auch die Einbindung über die großen Anbieter von Kanzleisoftware steht nach LTO-Informationen. Die Info-Seite www.bea.brak.de war – auch noch am Mittwoch – streckenweise nicht erreichbar. Die Anmeldeseite hatte Ladezeiten von bis zu einer Stunde, nach Auskunft der Hotline sollte man den Anmeldeprozess "einfach laufen lassen", das dauere eben derzeit, weil so viele Anwälte auf das System zugriffen. Es dauerte – im Selbsttest – am Dienstag auch mal Stunden und führte zu keinem Ergebnis.

Aber am Mittwoch klappte es. Und wer erstregistriert ist und den Anmeldeprozess geschafft hat, greift auf eine prima vista einigermaßen intuitiv wirkende E-Mail-Anwendung zurück, die nach kurzer Eingewöhnung den Zugriff auf die wichtigsten Informationen recht simpel ermöglicht.

Recht simpel ist allerdings auch der Zugriff auf die Information, welcher Anwalt bereits empfangsbereit ist. Und eben auch darauf, wer es nicht ist, wer also auch keine Schriftstücke zur Kenntnis nehmen kann, die in seinem beA eingehen – obwohl die Anwälte die Post im beA gegen sich gelten lassen müssen. Es liegt auf der Hand, dass das ein datenschutzrechtliches Problem sein kann. Womöglich könnte es aber sogar eine anwaltliche Pflicht begründen, Nachrichten an ein noch nicht aktiviertes beA zu versenden.

It's not a bug, it's a feature

Wer einem Kollegen im beA Zugriffsrechte auf das eigene Postfach einräumen will, hat die Möglichkeit, diesen per Suchmaske ("Benutzer mit Postfach") zu suchen. In der Trefferliste lässt sich erkennen, in welchem Zustand das beA des gesuchten Kollegen sich befindet, nämlich entweder "vollständig aktiv" oder aber nur "vorbereitet aktiv".

Die BRAK bestätigte auf Anfrage von LTO, dass sich im beA erkennen lässt, wer sein Postfach aktiviert hat. "Das ist eine gewünschte und hilfreiche Information und v.a. dazu gedacht, die Unterstützung durch den Service Desk zu erleichtern", so eine Sprecherin. Warum ein Status, um für den technischen Support sichtbar zu sein, auch für rund 165.000 Anwälte sichtbar sein muss, erklärte sie nicht.

Das könnte datenschutzrechtlich problematisch sein – wen geht es etwas an, ob der einzelne Anwalt seine sog. passive Nutzungspflicht erfüllt? Außer dem Mandanten natürlich, denn wenn der Advokat das nicht tut, haftet er selbstverständlich für dadurch entstehende Schäden. Diese Anfang des Jahres in Kraft getretene Verpflichtung,  Zustellungen und den Zugang von Mitteilungen über das beA zur Kenntnis zu nehmen (§ 31a Abs. 6 Bundesrechtsanwaltsordnung), ist mit dem Go Live am Montag wieder aufgelebt.

Alles für den Mandanten

Eine Pflicht, Dokumente selbst aktiv auf elektronischem Weg zu übermitteln (sog. aktive Nutzungspflicht), soll es hingegen für Anwälte erst ab Januar 2022 geben, um  so einen mit der gesamten Justiz abgestimmten geordneten Start in den Elektronischen Rechtsverkehr (ERV) zu ermöglichen.

Und doch könnten Anwälte nun verpflichtet sein, ein Schriftstück, mit dem sie dem anwaltlich vertretenen Gegner eine Frist setzen, an deren Ablauf Rechtsfolgen geknüpft sind, an dessen Postfach im beA zu versenden. Und zwar genau dann, wenn der gegnerische Anwalt dieses noch nicht aktiviert hat. Denn das bedeutet zwangsläufig, dass er die ihm gesetzte Frist gar nicht zur Kenntnis nehmen kann – was im Zweifel zum Nachteil von dessen Mandant ist. Relevant ist aber nur, dass es im Sinne des eigenen Mandanten ist.

Schließlich trifft den Anwalt "zuvörderst die Pflicht, alles zu tun, was im Rahmen seines Auftrags zugunsten des Mandanten möglich ist" (BVerfG; Urt. v. 14.12.1999, 1 BvR 1327/98). Eine Frist an eine Adresse zu senden, die der Gegner gar nicht abruft, obwohl er es müsste, dürfte der sicherste Weg sein, damit er sie versäumt.

Kein Raum für Kollegialität

Das muss nicht erst eine förmliche Zustellung betreffen. Es kann auch der Vergleichsvorschlag sein, der nur binnen zehn Tagen angenommen werden kann (weil er, wenn es nach dem eigenen Mandanten geht, eigentlich gar nicht angenommen werden soll); oder die Abmahnung mit Fristsetzung zur Abgabe einer Unterlassungserklärung an den ständig mandatierten Kollegen.

Der Bundesgerichtshof (BGH) stellte im Jahr 2015 ausdrücklich fest, dass ein Anwalt nicht dazu verpflichtet ist, eine Anwalt-zu-Anwalt-Zustellung anzunehmen, wenn das den Interessen seines Mandanten zuwider läuft – und zwar selbst dann nicht, wenn die Berufsordnung für Rechtsanwälte etwas anderes regelt.

Im Fall eines nicht aktivierten beA regelt nichts und niemand, dass man an das Postfach keine Post schicken sollte. Ganz im Gegenteil sind die Anwälte dazu verpflichtet, dieses auf Posteingänge zu kontrollieren und dort Eingegangenes gegen sich gelten zu lassen. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat auch nach all den Ereignissen rund um das unsichere beA ausdrücklich keinen Bedarf für eine Übergangsphase ohne Nutzungspflicht gesehen.

Wer sie nicht beachtet, ist daran selbst schuld. Angesichts eines möglichen enormen Vorteils für den eigenen Mandanten bleibt für anwaltliche Kollegialität kein Raum – selbst nach all dem Chaos rund ums Anwaltspostfach und bei allem Verständnis für die Unlust der Kollegen, es nun sofort nach dem Neustart zu nutzen.

Und das Gebot des sichersten Wegs?

Die Bürgerrechtler von der Gesellschaft für Freiheitsrechte, welche die Klage koordiniert, riefen zum Start des beA sogar "alle Beteiligten dazu auf, das beA nicht aktiv zu nutzen, bis die BRAK die rechtlich wie technisch gebotene Nachrüstung zu einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung vorgenommen und auch alle anderen Sicherheitslücken behoben hat".

So hat der Anwalt, dessen Mandant von einer verstrichenen Frist des Gegners profitieren würde, die Wahl. Benutzt er das nicht aktivierte beA in der begründeten Hoffnung, dass der Gegner die Frist bis zu ihrem Ablauf vermutlich nicht einmal bemerkt? Oder stellt er den Schutz der Daten seines Mandanten in den Vordergrund, weil er sich über deren Sicherheit bei einer Übertragung über das beA nicht sicher sein kann? Man sollte den Mandanten, wenn sich diese Frage stellt, wohl um eine Anweisung bitten. Die anwaltliche Pflicht, bei der Wahrnehmung der Interessen des Mandanten den sog. sichersten Weg zu wählen, gewinnt in diesem Spannungsfeld jedenfalls eine ganz neue Bedeutung.  

Zitiervorschlag

Anwaltspostfach: . In: Legal Tribune Online, 06.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30801 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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