Die RAK München hat ihren Ex-Hauptgeschäftsführer zu Unrecht von der Vorstandswahl ausgeschlossen. Das entschied der Bayerische Anwaltsgerichtshof. Hinter dem Wahlausschluss steckt eine lange Geschichte, die nun wohl weiter eskaliert.
Der Bayerische Anwaltsgerichtshof (BayAGH) hat am Donnerstag die Vorstandswahl der Rechtsanwaltskammer (RAK) München aus dem Jahr 2020 in Teilen für unwirksam erklärt (Urt. v. 22.07.2021, Az. BayAGHIII-4-9/20). Betroffen sind alle Vorstandsmitglieder aus dem Landgerichtsbezirk München I.
Die Wahl sei ungültig gewesen, weil einer der Kandidaten für diesen Wahlbezirk zu Unrecht kurz vor der Wahl von dieser ausgeschlossen worden sei, entschied der AGH. Der ausgeschlossene Kandidat ist Rechtsanwalt Stephan Kopp, ein Urgestein der Münchner Anwaltsszene. Der heute 57-Jährige, im Verfahren vertreten von Brunnhuber Rechtsanwälte aus Wolfratshausen, hatte im Juli 2019 sein Amt im Vorstand niedergelegt, nachdem es dort zum Streit gekommen war. Seine Amtszeit hätte regulär noch bis 2022 gedauert, der Posten wurde zunächst nicht nachbesetzt.
Bei den im Mai 2020 sodann anstehenden regulären Vorstandswahlen kandidierte Kopp erneut. Gewählt werden mussten die Hälfte des Vorstands, insgesamt elf neue Vorstandsmitglieder, die dann eine vierjährige Amtszeit antreten, sowie die Nachbesetzung für den von Kopp aufgegebenen Vorstandsposten, dessen Amtszeit nur noch zwei Jahre dauerte. Die Rechtsanwaltskammer wies auf diesen Unterschied zunächst nicht hin.
Bei der zweiten Wahlankündigung teilte sie den Unterschied zwischen der Neuwahl von elf Mitgliedern und einer Nachbesetzung zwar mit, es gab aber keine Unterscheidung, wer wofür kandidiert. Der Wahlausschuss der RAK beschloss stattdessen, dass dann derjenige mit den wenigsten Stimmen im Landgerichtsbezirk München I auf den freien Posten rücken und nur für zwei Jahre Vorstandsmitglied werden sollte. Stephan Kopp aber stand am Wahltag gar nicht mehr zur Wahl.
Ein Urgestein der Münchner Anwaltsszene
In den Wochen vor der Wahl war Kopp von der Kammer zunächst als Kandidat in den Wahllisten sowie auf der Internetseite der RAK geführt worden. Wenige Tage vor der Wahl teilte die RAK ihm jedoch mit, dass er doch nicht zur Wahl zugelassen werde.
Sie argumentierte mit der Vorschrift des § 69 Abs. 3 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), die bestimmt, dass ein ausscheidendes Vorstandsmitglied durch ein "neues" Mitglied zu ersetzen ist. Eine Nachbesetzung mit demselben Mitglied halte der Wahlausschuss daher für unzulässig. Er umgehe sonst die Unwiderruflichkeit der Amtsniederlegung. Es war die endgültige Eskalation eines jahrelangen Streits, bei dem es um ganz andere Dinge geht als um formale Vorschriften in der BRAO.
Der nie unumstrittene Kopp, der bereits seit den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts Geschäftsführer der RAK war, hatte im Jahr 2016 nach acht Jahren als Hauptgeschäftsführer die Münchner RAK verlassen. Man trenne sich einvernehmlich, hieß es damals recht schmallippig. Kopp wurde wieder Anwalt, danach Syndikusrechtsanwalt. 2018 ließ er sich aber für den Vorstand der RAK aufstellen - anders als die Tätigkeit des Hauptgeschäftsführers ein Ehrenamt - und wurde gewählt.
Der Streit ums "Seehaus"
Schon seit Jahren aber schwelte in der Kammer ein Streit um das "Haus am See". Die Villa am Starnberger See hatte eine Nichte des bekannten Hygienikers Max von Pettenkofer der RAK in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts vererbt mit der Auflage, sie solle den Anwältinnen und Anwälten zur Erholung, Alterssicherung und ähnlichen Zwecken dienen. Seitdem veranstaltete die RAK dort Tagungen und Feiern und vermietete über einen Verein mehrere Appartements zu vergleichsweise günstigen Preisen an Anwältinnen und Anwälte, im Erdgeschoss befand sich ein "Bierstüberl". Allerdings arbeitete das Haus nicht kostendeckend und es entstand ein erheblicher Sanierungsstau.
Ab dem Jahr 2014, unter einem neuen Präsidium, kam es zum Streit über den weiteren Umgang mit dem Seehaus. Zwei vom Präsidium beauftragte Gutachter kamen schließlich zum Ergebnis, dass die Vermietung von Appartements und Räumlichkeiten für Festveranstaltungen kammerfremde Tätigkeiten seien, die der RAK als mitgliederfinanzierter Körperschaft des öffentlichen Rechts untersagt seien. Die Villa am Starnberger See wurde geschlossen, seit 2019 steht sie leer.
Doch das Thema gärte, sowohl im Vorstand als auch unter Mitgliedern, von denen viele das Seehaus als Erholungsort schätzen. Kopp war einer der Gegner der Stilllegung. Im Vorfeld der anstehenden Kammerwahlen setzte er sich 2019 dafür ein, einen Antrag zu unterstützen, der das "Seehaus" wieder in Betrieb nehmen wollte. Dabei schrieb er auch aktiv unter anderem Anwältinnen und Anwälte an, um diese zu mobilisieren, den Antrag zu unterstützen. Aus Sicht des Präsidiums ein Trojaner im Vorstand, der sich gegen den Vorstandsbeschluss auflehnte; es kam zum Streit auf offener Bühne, schließlich legte Kopp sein Amt im Juli 2019 nieder.
Das Urteil: So jedenfalls nicht
Im Jahr darauf aber war er wieder da und kandidierte für die Vorstandswahl. Doch während man ihn zunächst als Kandidaten aufstellte und wochenlang in den Listen sowie der Webseite der Kammer bewarb, schloss der zuständige Wahlausschuss ihn dann, nur wenige Tage vor der Wahl im Mai 2020, von der Wahl aus. Und Kopp zog vor Gericht.
Dort hat er nun fürs Erste Recht bekommen. Die gewählten Vorstandsmitglieder für den LG-Bezirk München I würden, wenn das Urteil rechtskräftig würde, mit der Ungültigkeitserklärung der Wahl aus ihrem Amt ausscheiden. Dabei hat der AGH die Frage, ob ein ausgeschiedenes Vorstandsmitglied im Rahmen einer Nachwahl nicht den eigenen Platz wieder einnehmen dürfte, am Donnerstag gar nicht beantwortet.
Der 4. Senat unter Leitung des Vorsitzenden Prof. Andreas Meisterernst hat sich vielmehr darauf gestützt, dass die Kammer, im AGH-Verfahren vertreten von Raue Rechtsanwälte aus Berlin, die turnusmäßige Neuwahl der Vorstandsmitglieder mit der Nachwahl des vorzeitig frei gewordenen Vorstandssitzes in einem Wahlgang verbunden und zudem beschlossen hat, dann den Kandidaten oder die Kandidatin mit den wenigsten Stimmen auf den ehemaligen Kopp-Posten zu setzen. Zu einer turnusmäßigen Neuwahl aber könne auch der Kandidat, der sein Amt aufgegeben habe, nach Ansicht des AGH immer antreten, bestätigte Meisterernst auf Nachfrage von LTO. Die Berufung hat der Senat zugelassen.
Fortsetzung folgt?
"Die Rechtsanwaltskammer wird nach Vorliegen der Urteilsgründe sorgfältig prüfen, ob sie Berufung gegen das Urteil eingelegt", erklärte Dr. Thomas Weckbach, Vizepräsident der Rechtsanwaltskammer, nach der Verkündung. Über die Berufung hätte dann der Bundesgerichtshof zu entscheiden. Es wäre das zweite Mal innerhalb kurzer Zeit, dass die BGH-Richterinnen und -Richter Gelegenheit hätten, die Regeln zur Vorstandswahl einer regionalen Anwaltskammer zu präzisieren.
Erst im Dezember 2020 hatte der BGH die Vorstandswahl der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf gekippt, weil der dortige Kammerpräsident gegen das Neutralitätsgebot verstoßen hatte, als er statt einem Rechenschaftsbericht eine Wahlkampfrede gehalten habe. Auch in der rheinischen Anwaltskammer herrschte seit Jahren erbitterter Streit in der Führungsriege, der schließlich in mehreren gerichtlichen Verfahren eskalierte.
Womöglich hat die RAK München ein ähnliches Potenzial für Kleinkriege auf Kosten der Anwaltschaft. Nach LTO-Informationen sind in der bayerischen Landeshauptstadt noch mehrere gerichtliche Verfahren gegen die RAK anhängig, der Vorwurf der Beeinflussung und Manipulation der Abstimmungsergebnisse einer Kammerversammlung steht ebenso im Raum wie die angeblich rechtswidrige Nichtumsetzung von Beschlüssen der Kammerversammlung.
Ach ja, und der Streit ums Seehaus ist offenbar auch noch nicht ausgestanden.
Zu Unrecht von der Wahl ausgeschlossen: . In: Legal Tribune Online, 23.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45552 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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