Nachteile für Anwälte ab 45 Jahren im "Ländle": Das Versorgungswerk des Bundeslands hat von der Möglichkeit, die Altersgrenze aufzuheben, keinen Gebrauch gemacht. Wechsler dorthin gefährden ihre Absicherung, zeigt Martin W. Huff.
Viele Rechtsanwälte, die über 45 Jahre alt waren und mit ihrer Zulassung in ein Bundesland wechselten, in denen es eine Altersgrenze in den anwaltlichen Versorgungswerken gab, konnten bisher oft nur freiwilliges Mitglied in ihrem bisherigen Versorgungswerk bleiben. Dies führte in vielen Fällen dazu, dass eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht mehr möglich war.
Im Zusammenhang mit den gesetzlichen Neuregelungen zum Syndikusanwalt hatte der Gesetzgeber die Möglichkeit eingeräumt, bis zum 31.12.2018 durch die Abschaffung der Altersgrenze wieder – auch rückwirkend – eine Pflichtmitgliedschaft im bisherigen Versorgungswerk zu ermöglichen. Alle Bundesländer haben diese Chance genutzt – bis auf eines: Nur das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg hat die vom Gesetzgeber vorgeschriebene Öffnung für über 45-jährige Berufsträger bewusst nicht umgesetzt.
Somit müssen sowohl niedergelassene Rechtsanwälte als auch Syndikusrechtsanwälte, die nach Baden-Württemberg zu den Rechtsanwaltskammern Freiburg, Karlsruhe, Stuttgart und Tübingen wechseln wollen, besonders aufpassen, wollen Sie nicht ihre Altersversorgung wegen der komplizierten Rechtslage gefährden.
Die Altersgrenze - ein Relikt alter Tage
Angestellte Rechtsanwälte in Kanzleien und Unternehmen sind grundsätzlich nichtselbständig Beschäftigte. Sie unterliegen damit der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Davon können sie zugunsten der anwaltlichen Versorgungswerke befreit werden. Voraussetzung dafür ist gem. § 6 SGB VI allerdings, das eine Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk besteht.
Unproblematisch begründet wurde diese bisher bei denjenigen, die unter 45 Jahre alt waren, denn sie wurden immer wieder – auch bei einem Wechsel des Versorgungswerks – Pflichtmitglied.
Allerdings sahen etliche Versorgungswerke bisher eine Altersgrenze von 45 Jahren vor, die überwiegend aus der Zeit der Gründung der Versorgungswerke stammte. Diese Grenze hatte versicherungsmathematische Gründe, aber war auch deswegen geschaffen worden, weil man davon ausging, dass wer mit über 45 Jahren noch Rechtsanwalt wurde, für sein Alter schon Vorsorge geschaffen habe. Und wer einmal Pflichtmitglied war, blieb dies in der Regel auch.
Doch durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hat sich diese Lage geändert. Im Oktober 2012 entschieden die Kasseler Richter, dass Befreiungen angestellter Freiberufler mit einem Arbeitgeberwechsel ihre Wirkung verlieren. Im April 2014 wurde – bis zur Schaffung des Syndikusrechtsanwalts mit eigener Zulassung – die Befreiungsmöglichkeit für Unternehmensanwälte so ganz abgeschafft.
Wer also über 45 Jahre alt war und beispielsweise aus Bayern nach Hessen wechselte und seinen Kanzleisitz entsprechend verlegte – und zwar egal, ob im Angestelltenverhältnis in einer Kanzlei oder Unternehmen -, konnte dort kein Pflichtmitglied mehr werden, weil es die 45-Jahres-Grenze gab und eine Pflichtmitgliedschaft damit nicht mehr möglich war.
Der Gesetzgeber reagiert – Versorgungswerk BaWü aber nicht
Dieses unerfreuliche Ergebnis hatte der Gesetzgeber 2015 gesehen und für das Befreiungsrecht die Regelung des § 231 Abs. 4d SGB VI geschaffen. Der sieht vor, dass dann, wenn Versorgungswerke bis zum 31.12.2018 ihre Altersgrenze aufheben, sozusagen aus der freiwilligen Mitgliedschaft rückwirkend eine Pflichtmitgliedschaft wird.
So haben es auch alle Versorgungswerke bis auf das Versorgungswerk Baden-Württemberg rechtzeitig geschafft, die Altersgrenze aufzuheben. Für die berufsständischen Versorgungen in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Niedersachsen (noch mit Gesetz zum 30.12.2018) wurden die Altersgrenze so aufgehoben, dass die betroffenen Anwälte davon jetzt in Auseinandersetzungen mit der DRV profitieren werden: Sie können rückwirkend von der Versicherungspflicht befreit werden.
Einzig das Versorgungswerk in Baden-Württemberg stellt sich – ohne jede Begründung – quer. Der Landesgesetzgeber hatte mit Gesetz vom 24. April 2018 in § 5 Abs. 3 des Rechtsanwaltsversorgungsgesetzes vorgeschrieben, dass zumindest derjenige, der nach dem 5. Mai 2018 (Tag des Inkrafttretens der Änderung) Mitglied einer Anwaltskammer in Baden-Württemberg wird, Pflichtmitglied des Versorgungswerks wird. Doch das Versorgungswerk hat die Satzung entgegen der klaren gesetzlichen Vorgabe bisher nicht angepasst und beharrt somit weiterhin auf der Altersgrenze von 45 Jahren gilt. Auch eine rückwirkende Aufhebung der Altersgrenze, die möglich wäre, zog es bisher nicht in Betracht.
Das dortige Versorgungswerk, organisiert durch eine Vertreterversammlung und einen Vorstand aus Rechtsanwälten, lehnte also die Abschaffung der Altersgrenze durch eine Änderung der Satzung ab. Ohne Begründung wurde einer Rechtsanwältin, die als Syndikusrechtsanwältin Mitglied der Kammer Tübingen wurde, lapidar vom Vorstandsvorsitzenden mitgeteilt, dass bis zum Stichtag die Altersgrenze halt nicht abgeschafft worden sei. Eine Begründung wurde in dem Schreiben nicht für nötig gehalten. Damit verstößt die Satzung wohl gegen höherrangiges Recht. Die Rechtsanwältin hat jetzt das Stuttgarter Justizministerium eingeschaltet, um die Rechtslage zu klären und möglichst eine gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden.
Für Rechtsanwälte, die zwischen dem 1. Januar 2016 und dem 4. Mai 2018 nach Baden-Württemberg gewechselt sind, ist nun also eine Lücke in ihrer Versorgung im Versorgungswerk entstanden. Oftmals erwerben sie auch keine Anwartschaften in der Deutschen Rentenversicherung Bund, weil die 60 Monate Mindestbeitragszeit nicht erreicht werden.
Anwaltskammern raten "zu alten" Wechslern ab
Dem Vernehmen nach hatten sich die Präsidentin der Rechtsanwaltskammer Stuttgart und die Präsidenten der Rechtsanwaltskammern in Freiburg, Karlsruhe und Tübingen massiv für die Abschaffung der Altersgrenze ausgesprochen. Sie sehen die Gefahr, dass der Standort Baden-Württemberg für eine Anwaltszulassung unattraktiv wird. Denn wer über 45 Jahre alt ist, kann nicht mehr nach Baden-Württemberg wechseln, ohne seine Mitgliedschaft in der anwaltlichen Versorgung zu verlieren oder erst in eine gerichtliche Auseinandersetzung gehen zu müssen. "Wir müssen den Kolleginnen und Kollegen raten, zunächst noch Kammermitglied außerhalb von Baden-Württemberg zu bleiben, damit die Pflichtmitgliedschaft erhalten bleiben kann", sagt einer der Geschäftsführer der Kammern im Südwesten.
Denn die Konsequenz ist eindeutig: Wer über 45 Jahre alt ist und daran denkt, seine Anwaltszulassung und damit seinen Arbeitsschwerpunkt in das "Ländle" zu verlegen, der muss dies in Bezug auf seinen "Zulassungssitz" als Rechtsanwalt genau planen. Schwierig wird dies für Kollegen, die eine reine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt haben und nach Baden-Württemberg wechseln wollen, weil sie dort eine neue Stelle haben. Sie müssen beachten, dass sie, wenn sie über 45 sind, nicht mehr im Versorgungswerk bleiben können, also wieder Beiträge in die Deutsche Rentenversicherung Bund einzahlen müssen.
Die Kollegen, die auch niedergelassene Rechtsanwälte sind, müssen darauf achten, dass sie ihre Zulassung außerhalb von Baden-Württemberg behalten, was bei einem Kanzleisitz außerhalb von Baden-Württemberg jederzeit möglich ist.
Vielleicht schafft ja das Versorgungswerk in Stuttgart dennoch die Altersgrenze ab. Viele Rechtsanwälte, die auf eine Änderung zum 31. Dezember2018 gehofft hatten, sind jetzt enttäuscht und werden eine Zulassung außerhalb von Baden-Württemberg suchen. Betroffene Kollegen werden sich wohl intensiv mit dem Versorgungswerk auseinandersetzen müssen.
Der Autor ist Rechtsanwalt in der Kanzlei LLR Rechtsanwälte mit dem Schwerpunkt des Rechts der Freiberufler und Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln.
Baden-Württemberg: . In: Legal Tribune Online, 12.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33797 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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