Vergaberechtler zur Neuvergabe des beA: "Rechts­widrig wieder keine euro­pa­weite Aus­sch­rei­bung"

Interview von Pia Lorenz

04.04.2019

Während das beA neu ausgeschrieben wird, klagt Christian Braun noch wegen der* freihändigen Vergabe 2014 an Atos. Dieses Mal laufe es bestenfalls weniger katastrophal: wenig Transparenz, kurze Fristen, zu viel Wertungsspielraum für die BRAK.

LTO: Herr Dr. Braun, Sie klagen gegen die Bundesrechtsanwaltskammer( BRAK) auf Einsichtnahme in die Vergabeunterlagen*, weil Sie das Vergabeverfahren für das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) an Atos im Jahr 2014 für vergaberechtswidrig halten. Wieso?

Christian Braun: Es geht mir um den verantwortlichen Umgang mit unseren Mitgliedsbeiträgen. Nur ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren sichert einen sparsamen und wirtschaftlichen Umgang mit den Mitgliedsbeiträgen. Jedes Mitglied - auch ich - zahlt wegen der dilettantischen Verfahren zu viel Beiträge. Wäre ein europaweites Verfahren ordnungsgemäß und sachgerecht durchgeführt worden, dann hätten wir nach meiner Meinung schon längst ein funktionierendes System.

Dr. Christian Braun

Kurz zur Klarstellung von Begrifflichkeiten: Seit Jahren wird kritisiert, die BRAK habe damals nur eine "freihändige Vergabe" durchgeführt. Die BRAK hält das für verfehlt, am heutigen Tag monierte ein Vertreter der BRAK, dass es sich damals nicht, wie u.a. von LTO berichtet, um eine "freihändige Vergabe" gehandelt habe, sondern dass auch damals ein Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb stattgefunden habe. Halten Sie das für  korrekt?

Es ist dann korrekt, wenn mit "Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb" gemeint ist, dass irgendwelche Dritten auf mysteriöse Weise im Verborgenen angesprochen wurden. Korrekt ist nur, dass es sich nicht um eine sog. freihändige Vergabe gehandelt hat – aber nur insoweit, als es noch nicht einmal eine freihändige Vergabe im Sinne von § 3 Abs. 1 S. 2 VOL/A gab. Dazu hätte die BRAK nämlich mindestens drei Unternehmen transparent auffordern müssen, ein Angebot abzugeben. Das ist – ausweislich des mir vorliegenden, nicht unterschriebenen Vergabevermerks der BRAK vom 14. Mai 2014 - aber nie passiert. Es hat damals nach den mir vorliegenden Informationen, und genau das ist das Problem, keinerlei öffentlich zugängliche Bekanntmachung der Ausschreibung gegeben.

Vielmehr heißt es in der Vergabedokumentation für das beA unter Ziff. 8, dass es "keinen Teilnahmewettbewerb im technischen Sinne" gab, "der eine Bekanntmachung voraussetzt und den die BRAK nicht wählen muss". Vielmehr stelle das dem Verhandlungsverfahren vorgeschaltete "Bewerbungsverfahren" ein – ich zitiere – "selbst installiertes Eignungsverfahren dar, um im Ergebnis eine größere Vielfalt zu ermöglichen". Ein selbst installiertes Eignungsverfahren ist nicht einmal eine freihändige Vergabe, geschweige denn ein Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb - und erst recht keine ordnungsgemäße europaweite Ausschreibung, die erforderlich gewesen wäre.

"Beim beA ist die BRAK sehr wohl öffentlicher Auftraggeber"

Der Europäische Gerichtshof hat aber festgestellt, dass Ärztekammern keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind und damit dem europäischen Vergaberecht gar nicht unterliegen. Muss das nicht erst recht auch für die BRAK gelten, die noch stärker selbstverwaltet ist als die Ärztekammern?

Ob und inwieweit Rechtsanwaltskammern als öffentliche Auftraggeber ausschreiben müssen, ist zwar umstritten. Allerdings kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an. Stets ist – worauf der EuGH zu Recht hingewiesen hat – zu fragen, ob die enge Verbindung mit öffentlichen Stellen tatsächlich dazu führt, dass sich die Einrichtungen von anderen als wirtschaftlichen Überlegungen leiten lassen können, so dass die Gefahr besteht, dass einheimische Bieter oder Bewerber zum Nachteil des freien Dienstleistungs- und Warenverkehrs bevorzugt werden.

Für die Ärztekammer Westfalen-Lippe hat der Gerichtshof das verneint, weil ihr gesetzlich eine "erhebliche Autonomie" bei der Festsetzung der Höhe der Mitgliedsbeiträge eingeräumt wurde. Aus meiner Sicht gibt es aber gute Gründe, im konkreten Fall die BRAK als Öffentlichen Auftraggeber anzusehen, der gemeinschaftsrechtskonform ausschreiben muss.

Wie aus der Leistungsbeschreibung ersichtlich, müssen die Vorgaben des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und die unverändert geltenden verfahrens- und berufsrechtlichen Vorschriften eingehalten werden. Das sind staatliche Aufgaben, die der BRAK von Gesetzes wegen übertragen wurden und die durch die Mitgliedsbeiträge jedes einzelnen Anwalts finanziert werden müssen. Spielräume für die Kammern bestehen nicht. Das Ausschreibungsergebnis wird finanziell auf die Mitglieder durchgereicht. Das beA könnte - bei entsprechenden gesetzlichen Regelungen - genauso gut vom Bund eingerichtet werden, der dann dafür Beiträge erhebt.

"Rechtswidrig wieder keine europaweite Ausschreibung"

Dieses Mal hat die BRAK für die Neuausschreibung aber eine Verhandlungsvergabe mit öffentlichem Teilnahmewettbewerb gewählt, eine für große IT-Dienstleistungen nicht unübliche Ausschreibungsvariante. Sind Sie jetzt zufrieden?

Nein, leider nicht. Es ist besser als das alte Verfahren, welches schlicht katastrophal war. Es ist aber immer noch nicht gut. Die von der BRAK gewählte Veröffentlichung einer Bekanntmachung gemäß § 28 Unterschwellenvergabeverordnung (UVgO) ist ein nationales Verfahren, aber kein europaweites. Das nationale Verfahren ist im Gegensatz zu dem europaweiten Verfahren weniger transparent und erlegt der BRAK weniger Pflichten gegenüber den Mitbewerbern auf. Stattdessen sollte ein EU-weites Verfahren durchgeführt werden, weil ich aus den oben genannten Gründen davon ausgehe, dass im konkreten Einzelfall die BRAK öffentlicher Auftraggeber und schon allein wegen des großen Auftragswerts auch Binnenmarktrelevanz gegeben ist.

Zudem fühlt die BRAK sich laut den Bewerbungsbedingungen an die UVgO gebunden, wendet diese aber nicht durchgängig konsequent an. So sind zwar Fragerechte, aber nicht Rügerechte geregelt. Die BRAK lässt auch offen, ob es sich um einen zivilrechtlichen oder einen öffentlich-rechtlichen Vertrag handelt. Wenn für eine Streitigkeit um die Vergabe einer Konzession für den Bau und Betrieb einer Kindertagesstätte im so genannten Unterschwellenbereich der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist, wie im vergangenen Jahr das OVG Lüneburg entschied (Anm. d. Red.: Beschl. v. 29.10.2018, Az. 10 ME 363/18), dann spricht viel dafür, dass auch bei dem hier vorliegenden Vertrag der Verwaltungsrechtsweg für die Überprüfung der Ausschreibung zuständig ist. Schließlich betrifft der Vertrag ja zahlreiche öffentlich-rechtliche Verpflichtungen der Kommunikation der Anwälte mit den Gerichten. Dazu hätte sich die BRAK positionieren müssen. Dieses Manko an Positionierung ist für die Bundesrechtsanwaltskammer - für mich als Vergaberechtler - zum Fremdschämen.

Die BRAK sollte aus Transparenzgründen ein europaweites Verfahren mit klar definierten Rechtsschutzmöglichkeiten für unterlegene Bewerber zulassen. Es geht um die BRAK, die muss doch Vorbild in Sachen Rechtsschutz sein. Es geht doch nicht an, andere zum Rechtsschutz anzuhalten und selbst ein intransparentes Verfahren durchzuführen.

"Kurze Ausschreibungsfrist, die wirksamen Wettbewerb zu behindern droht"

Wie sieht es mit der Ausschreibungsfrist aus, ist diese bis zum 2. Mai nicht sehr kurz? Fragen können interessierte Unternehmen bis zum 25. April stellen. Wie ist die Rechtslage - und ist es aus Ihrer Sicht für ein Unternehmen überhaupt möglich, sich binnen so kurzer Zeit seriös auf ein derart großes Projekt zu bewerben, wie das beA es ist?

Der Auftraggeber legt gem. § 13 Abs. 1 S. 1 UVgO angemessene Fristen für den Eingang der Teilnahmeanträge, für die Abgabe der Angebote sowie für die Dauer von deren Geltung fest. Bei der Festlegung der Fristen sind insbesondere die Komplexität der Leistung, die beizubringenden Erklärungen und Nachweise (Unterlagen), die Zeit für die Ausarbeitung der Teilnahmeanträge und Angebote, die Zeit für die Auswertung der Teilnahmeanträge und Angebote, die gewählten Kommunikationsmittel und die zuvor auf Beschafferprofilen veröffentlichten Informationen angemessen zu berücksichtigen.

Ob die Fristen im konkreten Fall ausreichen, müssen die betroffenen Firmen beantworten. Nach meiner Erfahrung ist das für die Komplexität des Projektes eine sehr kurze Frist, die einen wirksamen Wettbewerb zu behindern droht.

Nehmen wir an, es käme binnen dieser kurzen Frist, aber dieses Mal immerhin in einer Verhandlungsvergabe mit öffentlichem Teilnahmewettbewerb, nicht zur Vergabe an ein anderes Unternehmen. Hätte eine denkbare erneute Vergabe an Atos, wenn vielleicht auch nicht rechtlich, so doch zumindest in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit eine rückwirkende Legitimationswirkung für das erste freihändige Vergabeverfahren im Jahr 2014? Nach dem Motto: "Auch wenn es eine Ausschreibung gibt, bekommt Atos den Zuschlag"?

Es ist Spekulation, ob Atos gewinnt. Atos hat sicherlich als Bestandsleistungserbringer den Vorteil, das System sehr gut zu kennen. Je intransparenter ein Verfahren ist, desto größer können die Vorteile für den Bestandsleistungserbringer sein.

Es ist schon merkwürdig, dass nach einem selbstgestrickten ersten Verfahren jetzt wieder ein Verfahren kommt, das nicht den gebotenen Transparenzanforderungen entspricht. Unabhängig von der zweiten Vergabe bleibt aber die erste Vergabe nach meiner Meinung rechtswidrig, weil die Verfahren getrennt zu betrachten sind. Eine Heilung kann unter keinen Umständen eintreten. Atos würde dann meines Erachtens die Frucht eines verbotenen Baumes ernten.

"Zu große Wertungsspielräume für die BRAK"

Wie bewerten Sie als Vergaberechtler im Rahmen einer ersten Einschätzung die Ausschreibung im Übrigen?
 
Meines Erachtens gibt es noch weitere Mängel. So werden die Grundsätze der Kommunikation nicht beachtet, die § 7 UVgO verlangt. Die einschlägigen Vorschriften der Vergabeverordnung gelten gem. § 7 Abs. 4 UVgO auch für Verfahren nach der UVgO, wie die BRAK jetzt eines durchführt.

Demnach muss der Ausschreibende für das Senden, Empfangen, Weiterleiten und Speichern von Daten in einem Vergabeverfahren ausschließlich solche elektronischen Mittel verwenden, die die Unversehrtheit, die Vertraulichkeit und die Echtheit der Daten gewährleisten. Die Einhaltung dieser Vorgaben ist bei einer schlichten E-Mail zur Angebotsabgabe an vergabe-bea@brak.de, wie die BRAK sie von den Bietern verlangt, nicht gewährleistet. Über die gesicherte Plattform www.bund.de ist zwar die Bekanntmachung erfolgt, aber z.B. das Portal https://www.evergabe-online.de/ wird nicht genutzt. Warum die BRAK diesen Weg nicht geht, ist mir ein Rätsel. Insgesamt wird das Verfahren dadurch sehr angreifbar.

Schließlich ist die Bewertungsmatrix völlig intransparent. Die BRAK muss zwar nicht die überholte Schulnotenrechtsprechung anwenden, aber sie muss doch näher konkretisieren, wann für eine bestimmte geforderte Leistung die maximale Punktzahl erreicht wird und wann nicht. Durch die fehlende Konkretisierung der Wertungsspielräume erhält die BRAK m.E. zu große, wenn nicht rechtswidrige Spielräume. Da stellt sich doch die Frage: cui bono?

Herr Dr. Braun, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Dr. Christian Braun ist Fachanwalt für Vergabe- sowie für Verwaltungsrecht, Lehrbeauftragter an der FU Berlin und der Universität Leipzig sowie Namenspartner der Kanzlei Braun & Zwetkow in Leipzig.

Anm. d. Red.: Klarstellung am 25.04.2019, 12:05 Uhr: Es handelt sich nicht um eine Klage gegen die BRAK "wegen des Vergabeverfahrens", sondern um ein Verfahren nach dem Informationsfreiheitsgesetz, mit dem Christian Braun Einsicht in die Vergabeunterlagen begehrt.

Zitiervorschlag

Vergaberechtler zur Neuvergabe des beA: . In: Legal Tribune Online, 04.04.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34749 (abgerufen am: 19.11.2024 )

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