Initiative zum Berufsrecht: So wollen die Grünen die Anwälte wett­be­werbs­fähig halten

von Pia Lorenz

28.01.2020

Immer höhere Kosten, aber keine Gebührenerhöhung. Und mit dem Zugang zum Recht werben jetzt statt kleiner Kanzleien vor allem Legal-Tech-Unternehmen. Wie die Grünen das ändern wollen, zeigt ein am Dienstag verabschiedeter Antrag.

Erfolgshonorare bei niedrigen Streitwerten zulassen, prüfen, ob Anwälte ausnahmsweise die Gerichtskosten für ihre Mandanten übernehmen dürfen, mehr Gesellschaftsformen und mehr sozietätsfähige Berufe, das wollen die Grünen für die Anwaltschaft. Und sie wollen eine regelmäßige Erhöhung der Anwaltsgebühren gesetzlich festschreiben lassen. Das geht aus einem Antrag hervor, der am Dienstag von der Bundestagsfraktion beschlossen wurde und LTO vorliegt.

Mit diesen Ideen wollen die Grünen das anwaltliche Berufsrecht zukunftssicher machen, heißt es dort. Unter der Federführung ihrer rechtspolitischen Sprecherin Katja Keul, selbst Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht in Marklohe, sollen die Anwälte so in die Lage versetzt werden, mit den Legal-Tech-Dienstleistern mitzuhalten, aber auch den Zugang zum Recht zu gewährleisten.

Der Entwurf fokussiert sich auf das Berufsrecht der Anwälte. In manchen Punkten bleibt er zurückhaltender als ein FDP-Entwurf aus April 2019 und das Eckpunktepaper aus dem Bundesjustizministerium (BMJV) vom August 2019. Weder wollen die Grünen die Legal-Tech-Plattformen ausdrücklich zulassen noch das Kapitalbeteiligungsverbot für Anwaltskanzleien lockern. Jede Liberalisierung des Anwaltsrechts dürfe nur im Einklang mit den anwaltlichen Grundprinzipien geschehen.

Erfolgshonorare und ein bisschen weniger Verbot der Prozesskostenfinanzierung

Bei niedrigen Streitwerten auch den Anwälten Erfolgshonorare zu erlauben, das soll vor allem die Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich mit den Legal-Tech-Plattformen erhalten. Die Plattformen, über die Verbraucher Fluggastentschädigungen geltend machen oder Hartz- IV-Bescheide oder Mieterhöhungen überprüft lassen können, arbeiten mit Erfolgsprovisionen. Der Kunde zahlt nur im Erfolgsfall, also wenn er zum Beispiel eine Fluggastentschädigung auch erhält, einen prozentual recht hohen Betrag an die Legal-Tech-Plattform.

Die hat damit erhebliche Vorteile gegenüber den Anwälten, deren berufsrechtliche Beschränkungen es ihnen verbieten, auf der Basis von Erfolgshonoraren zu arbeiten oder Gerichtskosten und - im Falle des Unterliegens im Prozess - die Kosten der Gegenseite zu übernehmen.

Der Antrag der Grünen legt keinen bestimmten Streitwert fest, sondern verweist auf entsprechende Ideen aus der Anwaltschaft. Dort gibt es Vorschläge, bei Streitwerten von 2.000 bis 5.000 Euro (letzteres begründet mit dem ab diesem Betrag herrschenden Anwaltszwang vor Gericht) die Vereinbarung eines Erfolgshonorars zuzulassen.

Die Chancengleichheit zwischen anwaltlichen und nichtanwaltlichen Dienstleistern vor allem in diesen Verbraucherkonstellationen, aber auch in Masseverfahren, könnte laut den Grünen auch durch eine Lockerung des Verbots der Prozesskostenfinanzierung gefördert werden. Die Grünen bleiben aber zurückhaltend, zurückhaltender auch als die FPD, welche im April vergangenen Jahres vorschlug, auch das Verbot in § 49b Abs. 2 Bunderechtsanwaltsordnung komplett aufzuheben.

Laut den Grünen soll die Bundesregierung dagegen nur "prüfen, inwiefern in Einzelfällen eine Lockerung des Verbots der Prozessfinanzierung (Übernahme der Gerichtskosten) sinnvoll und angemessen sein kann". Im Übrigen dürften "die Ansprüche auf Prozesskosten- und Beratungshilfe nicht zur Disposition gestellt werden und müssen von den Möglichkeiten einer Prozessfinanzierung bzw. eines Erfolgshonorars unberührt bleiben" heißt es in dem Antrag. 

Mehr interprofessionelle Zusammenarbeit, mehr Rechtsformen für Kanzleien

Die Aufforderung an die Bundesregierung, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der mehr interprofessionelle Zusammenarbeit schafft und die erlaubten Rechtsformen für Kanzleien  – nicht weiter spezifiziert – erweitert, enthält wenig Neues gegenüber bereits bekannten Überlegungen.

Das Bundesverfassungsgericht hat 2016 das Sozietätsverbot mit Ärzten und Apothekern gekippt, das Bundesjustizministerium im vergangenen Sommer in seinen Eckpunkten gar angedacht, Anwälten Sozietäten mit Angehörigen aller Berufe zu ermöglichen, die auch die Anwälte selbst ausüben dürfen. Das würde praktisch nur Makler von Dienstleistungen ausschließen.

In eine ähnliche Richtung geht offenbar der Antrag der Grünen, die mit Blick auf das Berufsgeheimnis und die anwaltliche Unabhängigkeit Akquiseberufe auf Provisionsbasis von einer interprofessionellen Zusammenarbeit mit Anwälten ausschließen wollen.

An das sog. Fremdbesitzverbot, also das Verbot, dass sich externe Kapitalgeber an Anwaltskanzleien wie an anderen Unternehmen beteiligen können, wollen die Grünen dagegen offenbar eher nicht heran. Eine vom BMJV in seinen Eckpunkten vorgeschlagene Ausnahme für Anwaltskanzleien, die selbst Legal Tech einsetzen wollen, lehnen die Grünen ab, weil sie andernfalls mit erheblichen Verschiebungen zulasten der freiberuflichen […] Rechtsanwälte rechnen. Die Grünen sind damit in diesem Punkt ganz auf der Linie der Anwaltsverbände, die sich auch nach dem Vorschlag aus dem BMJV klar gegen die Öffnung für Fremdkapital positioniert haben.

Mehr Geld für Anwälte, vor allem in kleinen Kanzleien

Auch mit der Forderung nach einem Gesetzentwurf, der die gesetzlichen Voraussetzungen für eine angemessene Erhöhung der Rechtsanwaltsgebühren schafft, liegen die Grünen auf der Linie der Anwaltsverbände.

Geschehen soll das vorzugsweise durch die Festschreibung einer linearen Anpassung, hilfsweise durch die verbindliche Regelung einer regelmäßigen Anpassung der Rechtsanwaltsvergütung in Anlehnung an die Tariflohnentwicklung in Anpassungsintervallen von maximal vier Jahren. Mit automatischen Anpassungen in bestimmten Zeitabständen wollen die Grünen die leidigen Diskussionen um jede Erhöhung der im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) vorgesehenen Gebühren umgehen, die dazu führten, dass die letzte Erhöhung fast sieben Jahre her ist und zuletzt 2019 trotz grundsätzlicher Einigkeit gar keine Erhöhung beschlossen wurde.

Im größeren Kontext wollen sie zudem aber nach eigenen Angaben auch dafür sorgen, dass das System Anwaltschaft so erhalten bleibt, dass der Zugang zum Recht für jedermann gewahrt ist. Gerade die kleinen Kanzleien in der Fläche, die „Hausärzte des Rechtsstaats“ würden dadurch gestärkt, heißt es in dem Antrag der Grünen.

Keul sagte gegenüber LTO, die Anwälte bräuchten ein zeitgemäßes anwaltliches Berufsrecht und nicht zuletzt auch eine angemessene Vergütung ihrer Tätigkeit. "Andernfalls werden vor allem immer mehr kleine und mittlere Kanzleien künftig zu kämpfen haben, dabei sind das meist genau die Kanzleien, die verbrauchernah und erschwinglich auch in der Fläche den Zugang zum Recht gewährleisten."

Sie sind es auch, die vor allem nach dem RVG abrechnen. Sie erbrächten, so der Antrag, Sonderopfer, indem sie auf Basis von Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe Mandate bearbeiten. Und ihre Mischkalkulation, die auch dem System des RVG zugrunde liegt, ginge sonst nicht länger auf. 

Und die anderen Ideen?

Eine Reform des anwaltlichen Berufsrechts fordern die Anwaltsverbände schon länger. Erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit erhält diese Forderung, seit Legal-Tech-Unternehmen in den Markt eingezogen sind, die Verbraucherrechte ohne Kostenrisiko durchsetzen. Dass das nicht grundsätzlich mit den berufsrechtlichen Schranken des Anwaltsrechts unvereinbar ist, hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung zum Legal-Tech-Portal wenigermiete.de Ende November 2019 festgestellt.

Ein Gesetzentwurf für Rechtsdienstleistungen der FDP-Fraktion aus dem vergangenen April 2019 datiert von vor dieser Entscheidung des BGH. Die Liberalen sprachen sich damals neben mehr Rechten für die Anwaltschaft, die über die Forderungen der Grünen noch hinausgingen, auch dafür aus, gesetzlich zu regeln, dass die Tätigkeit der Legal-Tech-Anbieter ihrerseits erlaubt wird. Der Entwurf wurde an den federführenden Rechtsausschuss überwiesen.

Das BMJV hat sich in seinen Eckpunkten für eine Reform im Anwaltsrecht aus August 2019 auf die anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften konzentriert, die digitale Konkurrenz kam dort nur am Rande vor. Die Tech-Unternehme sahen allerdings in einem Referentenentwurf "zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht" einen Angriff auf ihr Geschäftsmodell. Weil viele Legal-Tech-Unternehmen auf der Grundlage einer Inkassolizenz agieren, sahen sie sich durch einige geplante Regelungen zur Zulassung und Registrierung diskreditiert. Das BMJV weist die Kritik zurück. Zu beiden Vorhaben gibt es noch nichts Neues.

Zitiervorschlag

Initiative zum Berufsrecht: . In: Legal Tribune Online, 28.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39961 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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