BeA-Karte verliehen, elektronischen Fristenkalender nicht ausgedruckt - erste Anwaltsfehler in der digitalisierten Kanzlei werden bekannt. Neben neuer Technik steigert verändertes Kommunikationsverhalten die Fehleranfälligkeit, meint Barbara Helten.
Auch Anwälte machen Fehler, manche sogar grobe – und die sind in der Regel teuer. Die Erkenntnis ist nicht neu, aber aktuelle Zahlen beeindrucken: Durchschnittlich jeder vierte Anwalt ist jährlich mit einem Regressanspruch konfrontiert.
Nach Angaben der internationalen Attorneys' Liability Assurance Society (ALAS) kostet ein Schadenfall, der über dem Selbstbehalt der Kanzlei liegt, im weltweiten Durchschnit 3,71 Millionen US-Dollar. Diese abenteuerlichen Zahlen erklären sich mit Schadenssummen in den USA und sind für deutsche Anwälte wohl kein Maßstab. Auch in Europa nehmen die Haftpflichtfälle jedoch zu.
Gründe sind zum einen ein immer komplexeres Regelungsumfeld, das nicht selten die Kenntnis anderer Rechtsordnungen voraussetzt. So unterscheiden sich die Anforderungen an die Anwälte im internationalen Vergleich fundamental voneinander. Während eine versäumte Frist in Deutschland fatale Folgen haben kann, kann es in den USA genügen, innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten einen Antrag auf Aufhebung des Fristversäumnisses zu stellen und Fehler, Unachtsamkeiten oder andere entschuldbare Versäumnisse darin nachzuweisen. Aber während in den USA schon die Vertretung von Wettbewerbern eine zur Anwaltshaftung führende Interessenkollision begründen kann, wird in Deutschland noch nicht einmal ein widerstreitendes Interesse angenommen, weil die zugrundeliegenden Lebenssachverhalte nichts miteinander zu tun haben.
Der bekannte Medienrechtsanwalt Prof. Dr. Matthias Prinz formulierte schon vor vielen Jahren, deutsche Anwälte müssten, um all ihre Pflichten sowohl zu kennen als auch zu beachten, "juristische Supermänner" sein.
Zum anderen sind die Anforderungen an die anwaltlichen Sorgfaltspflichten mit der Digitalisierung noch einmal gestiegen. Zu den Risiken des elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) kommt ein verändertes Kommunikationsverhalten hinzu, das neue Fehlerquellen birgt. Dabei könnte man diese mit recht einfachen Mitteln verringern.
Elektronische Nachrichten, elektronische Kalender und das gute alte Fax
Wohl aktuellstes Beispiel für neue Fehlerquellen durch den ERV ist die Einreichung von Schriftsätzen über das beA. Das besondere elektronische Anwaltspostfach ist an die Person des einzelnen Anwalts geknüpft. Ein Anwalt hatte seine Urlaubsabwesenheit vorbereitet, indem er seine Kollegin bat, einen von ihm bereits entworfenen Schriftsatz währenddessen bei Gericht einzureichen. Dazu überließ er ihr seine beA-Karte und seine PIN. Nach Auffassung des Arbeitsgerichts Lübeck ein schwerer Fehler - der dazu führte, dass der Schriftsatz nicht wirksam zugestellt wurde, denn Unterzeichnerin und Postfachinhaber waren nicht identisch (ArbG Lübeck, Verfügung v. 10.10.2018, Az. 6 Ca 2050/18).
Ein weiteres Beispiel aus der digitalen Welt ist die Nutzung eines EDV-gestützten Fristenkalenders. Führt eine Kanzlei einen solchen elektronischen Fristenkalender, muss sie regelmäßig Ausdrucke machen, um diesen auf Eingabefehler oder Datenverluste zu kontrollieren und ein Organisationsverschulden auszuschließen. So hat es der Bundesgerichtshof entschieden (Beschl. v. 28.02.2018, Az. III ZB 96/18).
Die Klassiker unter den Fehlern, die zu Haftungsfällen werden, gibt es unterdessen weiterhin. Die für Umsetzung und Betrieb des beA verantwortliche Bundesrechtsanwaltskammer empfahl zuletzt im Februar allen Anwälten, "bei eiligen Schriftstücken auf andere Versandmöglichkeiten [Anm. d. Red.: als das elektronische Anwaltspostfach] zurückzugreifen". Bei der Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax genügt der Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, "wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden ist" (zuletzt BGH, Beschl. v. 15.01.2019, Az. XIZB 20/18). So weit, so gut. Der Anwalt muss jedoch dann noch die auf dem Sendebericht aufgedruckte Faxnummer mit einer zuverlässigen Quelle, zum Beispiel der Website des Gerichts, abgleichen.
Anwälte müssen schlauer sein als das Gericht
Neben diesen nachvollziehbaren Sorgfaltspflichten ist es geradezu verblüffend, dass Anwälte auch haften sollen, wenn das Gericht sich geirrt hat. Die BGH-Rechtsprechung geht teilweise so weit, dass sie den Anwalt wissen lässt, dass er Fehler des Gerichts verhindern muss. „Mit Rücksicht auf das auch bei Richtern nur unvollkommene rechtliche Erkenntnisvermögen und die niemals auszuschließende Möglichkeit des Irrtums ist es die Pflicht des Rechtsanwalts, nach Kräften dem Aufkommen von Irrtümern und Versehen des Gerichts zu begegnen“ (BGH, Beschl. v. 20.04.2017, Az. IV ZR 214/15).
Wie das in der Praxis aussehen soll, ist nicht ganz klar.
Klar ist aber, dass ein Rechtsanwalt die Gesetze kennen muss, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen. In ständiger Rechtsprechung verlangt der BGH, dass Anwälte sich anhand einschlägiger Literatur über den aktuellen Stand der Rechtsprechung informieren. Der BGH betonte schon vor neun Jahren, dass dazu umso mehr Veranlassung bestehe, wenn es sich um eine vor kurzem geänderte Gesetzeslage handelt, die ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit verlangt (BGH, Beschl. vom 03. 11. 2010, Az. XII ZB 197/10 NJW 2011, 386). Es ist wohl angeraten, diese angemahnte Sorgfalt ganz besonders im Hinblick auf die Nutzung des beA und auf den elektronischen Rechtsverkehr anzuwenden.
Neue Fehler durch digitale Kommunikation
Anwaltliche Fehler werden aber immer häufiger auch wegen fehlender persönlicher Interaktion gemacht, so ein Vertreter der Attorneys' Liability Assurance Society. Bei der Aufarbeitung dieser Fehler stellen die Anwälte fest, dass sie in ihren Teams nicht genug miteinander reden, sondern fast ausschließlich per E-Mail kommunizieren.
Schriftsätze oder andere Dokumente tauschen sie nur noch im Änderungsmodus aus. Dabei fallen wesentliche Dinge nicht auf, die in einem persönlichen Gespräch schnell geklärt oder hervorgehoben worden wären. Ein Beispiel dafür sind in Vertragsentwürfen fehlerhaft geänderte Zahlen, die zu enormen Schadensfällen führen könnten: Schriftlich geänderte Ziffern sind überaus fehleranfällig. Man sollte sich immer mündlich darüber austauschen, damit die Änderungen richtig umgesetzt werden. Ein einfaches Mittel ist es außerdem, relevante Zahlen in Dokumenten als Worte auszuschreiben. Unstimmigkeiten fallen dann sofort auf.
Auch Laptops, Tablets und Smartphones machen den Anwälten gelegentlich Probleme. Schulungen für den Umgang mit neuen Geräten sind eher selten, werden für unnötig gehalten oder nicht wahrgenommen. Aber weiß beispielsweise jeder Anwalt, dass ein iPad oder iPhone Änderungen nicht anzeigt, die im Word-Änderungsmodus verschickt wurden? Damit die Änderungen sichtbar werden, braucht der Nutzer erst einmal eine Word App auf seinem Gerät. Sonst denkt er womöglich "prima, nichts geändert worden" - und der Grundstein für einen möglicherweise massiven Haftungsfall ist gelegt.
Mitverantwortlich für die Zunahme an Fehlern ist sicherlich auch das veränderte Kommunikationsverhalten. Ist der Anwalt durchgängig per E-Mail, SMS oder WhatsApp erreichbar und muss er viel schneller reagieren, als das in Zeiten bloß postalischer Erreichbarkeit erwartet wurde, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er irgendwann einen Fehler macht. Permanente Verfügbarkeit hat nicht nur Vorteile.
Checkliste, um Fehler zu vermeiden
Um künftig weniger Fehler zu machen, sei jedem Anwalt empfohlen, seine persönliche Arbeitsweise zu überdenken, sei sie auch noch so modern und schnell. Folgende Hinweise zur Vermeidung von Fehlern wirken teils banal. Genau diese dieser Banalitäten werden allerdings oft missachtet:
- Reden Sie persönlich mit Ihren Kollegen.
- Fragen Sie um Rat.
- Lesen Sie inhaltlich Korrektur - nicht nur auf Rechtschreibfehler.
- Arbeiten Sie mit Checklisten.
- Verwenden Sie Vorlagen und Muster nur sehr vorsichtig.
- Stellen Sie sicher, dass Sie neue Technologien beherrschen, bevor Sie sie anwenden.
- Dokumentieren Sie Ihre Beratung, indem Sie eine E-Mail senden, um Ihre Gespräche zu belegen oder fertigen Sie Aktennotizen nach einem Telefonat an.
- Reichen Sie Dokumente nicht in letzter Minute ein.
- Planen Sie genug Zeit für Korrekturen ein.
Die Autorin Barbara Helten ist Associate Director Communications und Rechtsanwältin bei K&L Gates. Seit 2017 ist sie zudem Vorstandsmitglied der Rechtsanwaltskammer Berlin.
Immer mehr Anwälte haften: . In: Legal Tribune Online, 24.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37787 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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