Fremdbesitzverbot bei Anwaltskanzleien: Busch­mann ris­kiert Kon­f­likt mit BRAK und DAV

Mehr Wettbewerb mit Legal-Techs: Marco Buschmann plant offenbar, das Verbot von Kapitalbeteiligungen von Investoren an Anwaltskanzleien aufzuweichen. Eine mutige, aber längst überfällige Entscheidung, findet Volker Römermann.

Seit der Berufsrechtsreform, der sog. großen Reform der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) zum 1. August 2022, dürfen sich Rechtsanwälte mit Angehörigen anderer freier Berufe zusammenschließen. Das galt bis dahin lediglich für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Patentanwälte. Die Erweiterung verschafft gestalterischen Spielraum. Kapitaleigner mit rein finanziellen Interessen, ohne eigene aktive Mitarbeit also, und solche, die schlicht Unternehmer sind, ohne einem freien Beruf anzugehören, sind nach dem Wortlaut des Gesetzes weiterhin ausgeschlossen. 

Dieses sogenannte Fremdbesitzverbot ist in den letzten Wochen und Monaten auf den Prüfstand gestellt worden. Hintergrund ist auch eine "spektakuläre Vorlage" des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs (AGH) von April an den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Vor wenigen Tagen bestätigte nunmehr der Bundesminister der Justiz Dr. Marco Buschmann (FDP) auf dem Deutschen Anwaltstag (DAT) in Wiesbaden, dass es in seinem Hause Überlegungen zu einer Neuregelung gibt. Vor allem die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), die seit Jahren auf dem Verbot besteht, aber auch die Spitze des Deutschen Anwaltvereins (DAV) dürfte diese Äußerungen in Alarmbereitschaft versetzt haben. 

Zwei Sätze zum Fremdbesitz ließ Buschmann auf dem DAT in seine Rede einfließen: Er erinnerte zunächst an die erwähnte Entscheidung des AGH. Diese gebe "Anlass", sich mit Fragen der Finanzierung von Anwaltskanzleien näher zu beschäftigen. Auf Nachfrage von LTO, was er darunter konkret verstehe, antwortete ein BMJ-Sprecher am Donnerstag eher schmallippig: "Das BMJ prüft das Thema in enger Abstimmung mit der Anwaltsseite sowie weiteren betroffenen Stakeholdern."

Am Samstag in Köln legte Buschmann nunmehr nach: Die feierliche Übergabe einer Festschrift zum 70. Geburtstag an den verdienten Berufsrechtler Prof. Dr. Martin Henssler nutzte der Bundesjustizminister, um bei dem Thema etwas konkreter zu werden: Die Überprüfung des Fremdbesitzverbotes für Rechtsanwaltskanzleien befinde sich auf der To-do-Liste seines Hauses. In Richtung des Jubilars Henssler bemerkte Buschmann sodann, dass dieser die Große BRAO-Reform seinerzeit maßgeblich beeinflusst habe. Eine seiner Ideen sei jedoch noch nicht umgesetzt worden. Aber das, so der Minister, könne noch kommen. Eine offensichtliche Anspielung Buschmanns auf eine zu erwartende Liberalisierung des Fremdbesitzverbotes.

Jahrzehntelanger Streit über Öffnung

Rückblende. Die Diskussion über eine Öffnung weiterer Gesellschaftsformen über die Gesellschaft bürgerlichen Rechts hinaus nahm Fahrt auf, nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) im Jahre 1989 entschieden hatte, dass sich Anwälte auch überörtlich zu Sozietäten würden zusammenschließen können (Beschl. v. 18.9.1989, Az. AnwZ (B) 30/89). Parallel zu der vehement ausgetragenen Debatte über Rechtsformen wurde ein weiterer, damit in gewisser Weise verzahnter Streit ausgetragen: Mit wem sich Rechtsanwälte verbinden dürften: Nur mit anderen Rechtsanwälten, mit "artverwandten" Berufen wie Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern, Patentanwälten, oder darüber hinaus auch mit Investoren? 
Zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus 2014 (BVerfG, Beschl. v. 14.1.2014, Az. 1 BvR 2998/11) und 2016 ( Beschl. v. 12.1.2016, Az. 1 BvL 6/13) befeuerten den Meinungsstreit. Teile waren freigegeben worden, andere nicht, das hinterließ einen rechtlichen Torso. Der Gesetzgeber war gefragt, für eine kohärente Lösung zu sorgen.

Da sah nun der Deutsche Anwaltverein (DAV) seine Stunde gekommen. Er beauftragte Henssler, einen Gesetzgebungsvorschlag zu erarbeiten, den der DAV unter eigener Flagge einbringen könnte. Henssler hatte als junger Professor für Anwaltsrecht bereits an der BRAO-Reform von 1994 mitgearbeitet und verfügte über jahrzehntelange Erfahrung in Berufsrecht und Umgang mit Gesetzgebungsorganen. Henssler kam der Aufgabe nach, sein Entwurf von 2018 wurde im August 2022 zu wesentlichen Teilen Gesetz. Bis eben auf einen Teil.

Reform bisher von BRAK und DAV blockiert

In einem neuen § 59b Absatz 2 BRAO sollte nach Hensslers Vorschlag in puncto Fremdbesitz Folgendes geregelt werden: "Gesellschaftern gemäß Abs. 1, die nicht in der Berufsausübungsgesellschaft tätig sind, darf insgesamt nur weniger als ein Viertel der Stimmrechte und des Gesellschaftskapitals zustehen. Die nicht in der Gesellschaft tätigen Gesellschafter haben bei Beschlüssen über die Annahme oder Ablehnung von Rechtsdienstleistungsmandaten kein Stimmrecht." Eine eigentlich verhältnismäßig harmlose Aufweichung, der Autor dieses Beitrages hatte vor langer Zeit eine wesentlich spürbarere Öffnung gefordert. Und doch: Sogar die behutsame Freiheit der Aufnahme von Kapitalgebern wollte Hensslers Auftraggeber, der DAV, nicht mitgehen. Die Passage wurde vollständig aus dem Gesetzesvorschlag gestrichen. 

In einem Eckpunktepapier vom 27. August 2019 unternahm das BMJ dennoch einen Versuch, offen über eine Fremdbeteiligung an Kanzleien zu diskutieren. "Es wird auch geprüft, ob reine Kapitalbeteiligungen mit dem Ziel erlaubt werden können, alternative Finanzierungswege durch Wagniskapital für solche Rechtsanwältinnen und -anwälte zu eröffnen, die z. B. im Bereich von legal tech hohe Anfangsinvestitionen erbringen müssen, um neue Rechtsdienstleistungsangebote erbringen zu können." Aber auch diese Initiative wurde von BRAK und DAV blockiert und fand schließlich im Gesetzgebungsverfahren zur Großen BRAO-Reform 2021 keine Gnade.

Mit der erwähnten Vorlage des AGH vom 20. April 2023 muss der EuGH nunmehr die Frage entscheiden, ob das rigide Fremdbesitzverbot in Deutschland gegen die europäische Kapitalverkehrs- und die Dienstleistungsfreiheiten verstößt. Allerdings: Eine Antwort des EuGH ist frühestens 2024 zu erwarten. Ob Buschmann seine Lösung bereits früher präsentiert, bleibt abzuwarten.

Mutiges Vorgehen im Sinne der Anwaltschaft

Klar ist jedenfalls: Die Debatte über das Fremdbesitzverbot ist in Bewegung geraten und eine Neuregelung überfällig. Das sieht auch Buschmann offenbar so. Zum einen bestehe bei den Kanzleien der Finanzierungsbedarf, da Rechtsanwälte im Wettbewerb auf dem Rechtsdienstleistungssektor stärker investieren müssten, wollten sie beim Thema LegalTech mithalten. Über verschiedene Finanzierungsstrukturen - vom Darlehen über hybride Strukturen bis hin zum Eigenkapital – müsse nachgedacht werden. Dabei müsse das Mandanteninteresse dem Kapitalinteresse "natürlich" vorgehen, fügte der Minister noch hinzu.

Zum anderen stelle sich angesichts der Entscheidung des AGH unmittelbar die Frage, ob das geltende Recht europarechtskonform sei.
Dr. Marco Buschmann scheint entschlossen, selbst Hand anzulegen bei der Gestaltung der Beteiligungsmöglichkeiten an Anwaltssozietäten. Er will sich davon offenbar weder von den beiden großen Anwaltsorganisationen abhalten lassen noch überlässt er das Feld allein der Rechtsprechung. 
Das ist mutig, galt es doch vor der BRAO-Reform geradezu als unmöglich, gegen den Widerstand von BRAK und DAV Neuerungen politisch durchzusetzen. Diesen Mut braucht die Anwaltschaft aber, wenn sie nicht im Wettbewerb insbesondere mit kapitalstarken Inkassounternehmen ins Hintertreffen geraten will. 

Rechtsanwalt Prof. Dr. Volker Römermann ist Vorstand der Römermann Rechtsanwälte AG und Direktor des Forschungsinstituts für Anwaltsrecht der Humboldt-Universität zu Berlin. Bereits in seiner Dissertation von 1994 über Entwicklungen und Tendenzen bei Anwaltsgesellschaften plädierte Römermann für eine Öffnung der Beteiligungsmöglichkeiten. 

Zitiervorschlag

Fremdbesitzverbot bei Anwaltskanzleien: . In: Legal Tribune Online, 26.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52083 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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