Jüngst berichtete ZDF und Spiegel darüber, dass Russland mittelbar den Anwalt des „Tiergarten-Mörders“ Robert Unger bezahlt haben soll. Vergütung: 6.000 Euro am Tag. Ein Skandal? Wir sprechen mit dem Berufsrechtler Volker Römermann.
LTO: Herr Professor Dr. Römermann. Zunächst mal allgemein: Ist es berufsrechtlich problematisch, wenn sich ein Anwalt von einem Dritten bezahlen lässt, statt vom Mandanten selbst?
Prof. Dr. Volker Römermann: Im Allgemeinen ist es berufsrechtlich nicht problematisch, wenn die Vergütung des Anwalts nicht von dessen Mandanten, sondern von einem Dritten getragen wird. Das Mandatsverhältnis besteht weiterhin zum Mandanten. Die Übernahme der Kosten begründet eine gesonderte Leistungsbeziehung, nämlich einen Vertrag zwischen Anwalt und Kostenträger zugunsten Dritter, also zugunsten des Mandanten. Mitunter wird der Zugang zum Recht erst dadurch eröffnet, dass ein Dritter die Finanzierung anwaltlichen Beistands gewährleistet.
Und ist es auch kein Problem, wenn das Geld von einem ausländischen Staat kommt?
Auch Staaten können Kostenträger sein und dabei macht es grundsätzlich keinen Unterschied, ob es um das In- oder Ausland geht. Letztlich ist immer entscheidend, ob die anwaltliche Tätigkeit als solches rechtmäßig ist und ob das Geld, das als Honorar gezahlt wird, aus legalen Quellen stammt, es sich also insbesondere nicht um Geldwäsche handelt.
Der in den Medien erhobene Vorwurf geht ja auch dahin, dass sensible Informationen aus dem Verfahren mittelbar an den russischen Geldgeber weitergegeben wurden, etwa Zusammenfassungen samt Namen und Zeugenaussagen. Herr Unger nimmt dazu keine Stellung und verweist gegenüber Medien auf seine Schweigepflicht. Mal angenommen, das stimmte: Ist eine solche Datenweitergabe berufsrechtlich zulässig?
Wenn der Mandant seinen Rechtsanwalt von der Schweigepflicht befreit, kann der Anwalt in berufsrechtlicher Hinsicht grundsätzlich Informationen weitergeben. Wenn der Mandant den Auftrag dazu erteilt, muss der Anwalt dies im Regelfall sogar.
Und strafrechtlich: Was sagt die Strafprozessordnung dazu? Welche Verbote gibt es da, was die Weitergabe von Akteninhalten angeht? Hier geht es ja auch um gefährdete Personen.
Nach § 32f Abs. 5 StPO dürfen Personen, denen Akteneinsicht gewährt wird, die Akten weder ganz noch teilweise öffentlich verbreiten oder sie Dritten zu verfahrensfremden Zwecken übermitteln oder zugänglich machen. Der Mandant ist kein Dritter im Sinne dieser Vorschrift, darf also – abgesehen von hier nicht einschlägigen Spezialkonstellationen – immer vollumfänglich über den Akteninhalt unterrichtet werden. Die Weitergabe von Informationen an den Finanzier, der nicht Mandant ist, gehört aber nicht dazu.
Doch Anhaltspunkte dafür, dass Unger solche Aktenbestandteile an Dritte übermittelt haben könnte, gibt es in der Berichterstattung nicht. Die Vorwürfe beziehen sich nach meiner Kenntnis nicht auf Informationen aus den Akten, sondern auf den Inhalt der mündlichen Verhandlung.
In der hier thematisierten Sonderkonstellation könnten theoretisch auch Spezialvorschriften - so z.B. die §§ 93 ff. StGB (Landesverrat, Gefährdung der äußeren Sicherheit etc.) einschlägig sein, wenn etwa die Arbeitsweise des deutschen Verfassungsschutzes aus der Akte erkennbar würde. Allerdings können Informationen aus einer öffentlichen Gerichtsverhandlung nach meinem Dafürhalten praktisch nie unter solche Vorschriften fallen.
Naja - Zeitungen dürfen ja auch nicht über alles berichten, was im Saal gesagt wird. Die Saalöffentlichkeit ist ja nicht die allgemeine Öffentlichkeit. Die Datenweitergabe sensibler Informationen an Dritte - mit eigener, hier für Zeugen gefährlicher Agenda - könnte doch das Persönlichkeitsrecht von Zeugen verletzen?
Meines Erachtens dürfte das Persönlichkeitsrecht von Zeugen zwar für die mediale Berichterstattung über Strafverfahren von vorrangiger Bedeutung sein, in einer nicht-medialen Konstellation kommt es hingegen eher auf die Vorgaben des bereits erwähnten § 32f Abs. 5 StPO an.
Der Tiergartenmordprozess war ja noch vor dem Ukraine-Krieg, was auch Herr Unger in einer Stellungnahme betonte. Wie ist die aktuelle Rechtslage? Ist es problematisch, bestimmte russische Mandanten (z.B. den russischen Staat oder Unternehmen, die ihm zugeordnet sind) anzunehmen?
Es gibt seit dem 8. Sanktionspaket der EU Restriktionen, wonach Rechtsanwälte für bestimmte russische Mandanten nicht tätig werden dürfen. Verboten sind direkte und mittelbare Rechtsdienstleistungen in nicht-streitigen Angelegenheiten für die Regierung Russlands, in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen und Einrichtungen. Zwar gilt dieses Verbot u.a. nicht für die Erbringung von Dienstleistungen, die für die Wahrnehmung des Rechts auf Verteidigung in Gerichtsverfahren unbedingt erforderlich sind – wie auch immer diese Erforderlichkeit dann im konkreten Fall auszulegen sein könnte, das ist natürlich ein enormes latentes Risiko, insbesondere für die beteiligte Anwaltskanzlei.
Derartige Sanktionen stellen aus meiner Sicht immer einen Verstoß gegen das in der Verfassung verankerte Rechtsstaatsprinzip dar. Jedermann muss - ungeachtet seiner Person oder Nationalität – in jeder Situation Zugang zu anwaltlichem Beistand und damit zum Recht haben, alles andere wäre kein Rechtsstaat mehr. Vor diesem Hintergrund klagen die Anwaltskammern Paris und Brüssel beim EuGH gegen das 8. Sanktionspaket. Das Verfahren läuft noch.
Herr Prof. Römermann, wir danken Ihnen für das Interview.
Prof. Dr. Volker Römermann ist Vorstand der Römermann Rechtsanwälte AG und berät seit mehr als 25 Jahren im anwaltlichen Berufsrecht und Rechtsdienstleistungsrecht. Er ist daneben u.a. Direktor des Humboldt Center for the Legal Profession an der Humboldt-Universität zu Berlin.
6.000 Euro am Tag für den Anwalt des Tiergartenmörders?: . In: Legal Tribune Online, 28.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54866 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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