Elektronisches Anwaltspostfach: Die BRAK will Atos das beA abnehmen

von Pia Lorenz

15.11.2018

Einen Prozess gegen Atos, die das beA entwickelt hat und betreibt, scheint die BRAK zu scheuen, aber die Verträge laufen aus. Derweil stimmten die Kölner Anwälte für mehr Transparenz und eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung des Anwaltspostfachs.

"Wir haben viele Herausforderungen, die wir meistern müssen" - der Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), Dr. Ulrich Wessels, meinte damit am Mittwoch bei der Kammerversammlung im Kölner Hilton Hotel eigentlich weniger Fragen der Digitalisierung und Transparenz. Schließlich ist die Kölner Rechtsanwaltskammer (RAK) sogar die erste, die künftig die Wahl zum Kammervorstand  auf elektronischem Wege anbietet und ihre Mitglieder konkret über die Verwendung bestimmter Vermögenspositionen abstimmen lässt.

Aber die Nachfragen der Advokaten vor Ort verrieten schnell, dass es noch immer das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) ist, das die Anwälte am stärksten umtreibt. Wessels Erleichterung darüber, dass das beA im September – und mithin kurz vor Beginn seiner Amtszeit als neuer BRAK-Präsident – immerhin online gegangen ist, teilten die teilweise regelrecht aufgebrachten Anwälte kaum. Eine Anwältin umschrieb ihre erfolglosen Versuche, vom Kundenservice ein Problem beheben zu lassen, mit den Worten: "Das ist kein Support, das ist Arbeitsverweigerung".

Der neue Chef der BRAK räumte ein, dass die Unterstützung durch das französische IT-Unternehmen Atos "nicht so schnell und auch in Teilbereichen nicht so effektiv" sei, wie die BRAK sich das wünsche - auch wenn der Support auch durch viele Anwälte aufgehalten worden sei, die, so Wessels, nicht bereit seien, "die einfachsten Schritte nachzuvollziehen, die im beA-Newsletter, auf den Homepages der BRAK und der regionalen RAK vermittelt" würden.

Wer dennoch massive Probleme habe und vom digitalen Support abgeblockt würde ("Ihr Ticket wird geschlossen"), solle sich an die Zuständigen bei der BRAK wenden, den IT-Referenten Hannes Müller oder die für das beA zuständige stellvertretende Leiterin des Berliner Büros, Julia  von Seltmann, riet Wessels. Dann würde versucht, die Probleme gemeinsam zu lösen.

Transparenzantrag auch in Köln angenommen, die BRAK will aber noch immer nicht

Ungelöst bleibt bis auf Weiteres allerdings die Unmöglichkeit, beA auch mobil zu nutzen. Das stehe zwar im Raum, aber es gebe noch keinen Zeitrahmen, sagte Wessels auf Nachfrage. Man widme sich derzeit in der Fortentwicklung des Systems vorrangig den Terminalservern, die erst einmal beA-fähig werden müssten; das werde, zumal es gerade Großkanzleien vor große Probleme stelle, vorrangig bearbeitet.

Diskutiert werde mit den Kammern außerdem, ob es "sinnvoll, geboten und notwendig" sei, Teile des Systems auf Open Source umzustellen, oder ob das bei diesem begrenzten Anwenderkreis wenig Sinn ergebe, so der BRAK-Präsident. Die Sorge, die auch in Köln ausführlich diskutiert wurde: Wie geht es weiter, wenn im offenen System ein Fehler gefunden wird? Die Verträge mit Atos legt die BRAK nicht offen, niemand weiß, ob sie sich die Bearbeitungsrechte gesichert hat, eventuelle externe Dritte eine solche Lücke also überhaupt schließen dürften. Von der Angst vieler Anwälte, ob das französische Unternehmen solche Lücken denn auch tatsächlich schließen und nicht etwa ausnutzen würde, ganz zu schweigen. 

Trotzdem wurde auch in Köln der sogenannte Transparenzantrag, der zuvor schon in 13 anderen Anwaltskammern, zuletzt Anfang November in Frankfurt am Main angenommen wurde, von den Mitgliedern beschlossen. Die Anwälte entschieden, dass die Kammer sich dafür einsetzen soll, dass die Quelltexte des Systems offengelegt, externe Audits durchgeführt, das System sicher verschlüsselt und mit allen Betriebssystemen kompatibel gemacht und gehalten werden.

Es gebe, so Wessels auf Nachfrage, Überlegungen, das für Angriffe anfällige HSM-Modul anderweitig zu gestalten. Eine echte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, wie sie einige Anwälte mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte vor dem Anwaltsgerichtshof Berlin einklagen wollen, sei aber weiterhin nicht geplant. Dass diese derzeit nicht im originären Sinne vorliege, habe u.a. mit den komplexen Zugriffsberechtigungen und Vertretungsregelungen zu tun, so Wessels, der jedoch mehrfach darauf verwies, selbst kein IT-Experte zu sein.

An dem bislang von der BRAK beinahe mantraartig wiederholten Argument, wegen der komplexen Systemanforderungen sei das HSM-Modul erforderlich gewesen, wollte Wessels so nicht festhalten: Es könnte sein, dass ein anderer Anbieter das anders machen würde, stimmte er einem der Mitinitiatoren des Transparenzantrags in Köln zu. 

Keine Klage gegen, aber auch kein weiterer Vertrag mit Atos?

Einen anderen Anbieter könnte es bald sogar geben. Das Verhältnis zu dem französischen IT-Riesen scheint zerrüttet. Externe Anwälte prüften, ob und was von der BRAK noch an Atos zu zahlen sei, erklärte Wessels. "Wir sind in Verhandlungen, wie die einzelnen Positionen abgerechnet werden, wie weit wir Leistungen endgültig verweigern können und ob und welche Schadensersatzansprüche wir haben, erläuterte Wessels auf Nachfrage von Anwälten nach ihren extra für das Postfach gezahlten Kammerbeiträgen. "Auf dieser Basis werden wir dann entscheiden, wie es weiter geht, ob wir gegebenenfalls auch klagen".

Er persönlich scheint dem eher skeptisch gegenüber zu stehen: Auf die Nachfrage nach einem "Rausschmiss" von Atos antwortete der BRAK-Präsident, er sei kein großer Fan eines "jahrelangen Prozesses, der die Sachverständigen reich macht und mit erheblichen Kosten verbunden ist, am Ende das Ergebnis aber kaum verbessert" und zu dem man parallel noch ein neues System entwickeln lassen müsse. Eine Kündigung könnte laut Wessels ein "wirtschaftliches Desaster" werden, das "auch unter dem Gesichtspunkt anwaltlicher Vorsicht nicht geboten" sei.

Die beiden Verträge mit Atos laufen zum Ende des Jahres 2019 aus. Beschlossen hat die Hauptversammlung der regionalen Kammern das noch nicht, aber Wessels wurde recht deutlich, als er andeutete, dass sie wohl nicht verlängert werden sollen, sondern der Auftrag über den Betrieb des beA neu ausgeschrieben werde. Der BRAK-Präsident, den Kollegen für seinen konsensualen Stil und seinen Optimismus schätzen, sah am Ende auch das beA positiv: "Das ist eine Dauerbaustelle, oder, positiv formuliert, ein Dauerprojekt."

Zitiervorschlag

Elektronisches Anwaltspostfach: . In: Legal Tribune Online, 15.11.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32105 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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