Abitur mit 17, dann Freischuss und Anwalt mit 24? Nein, danke! Dass man als erfolgreicher Jurist keine stromlinienförmige Vita haben muss, stellen Peer Bießmann und Sebastian Möllmann unter Beweis. Beide waren erst Ende 20 fertig und sie verbindet eine ungewöhnliche Vergangenheit: Sie waren Mitglieder der deutschlandweit erfolgreichen Rapformation "Die Coolen Säue (DCS)".
Wem der Name nichts sagt, der hat die erste Generation von deutschsprachigem Rap eindeutig verschlafen. In den frühen 90er Jahren schwappte der musikalische Boom von Amerika nach Deutschland hinüber; seine medienwirksamsten Vertreter waren damals die Fantastischen Vier, die 1992 mit "Die da?!" der Kunst des Sprechgesangs zu einem ersten Chart Hit verhalfen. In der Popularitätsskala unmittelbar hinter ihnen angesiedelt waren Namen wie Fresh Familee, Advanced Chemistry oder eben: Die Coolen Säue.
Peer Bißmann / © Michael Neuhaus
Peer Bießmann ist heute Anwalt bei Scheuermann Westerhoff Strittmatter und Leiter Legal & Business Affairs bei der BRAINPOOL TV GmbH. Sebastian Möllmann ist als stellvertretender Leiter Legal & Business Affairs sowie Personalleiter, ebenfalls bei BRAINPOOL, tätig. Bießmann erinnert sich an die frühen Tage: "Wir waren damals zunächst Fans der Hip Hop-Kultur und dann einer der ersten deutschsprachigen Rap Acts. Gerade im Hip Hop ist der Übergang vom Konsumenten zum Kunstschaffenden ja etwas fließender als in anderen Kunstformen – wir mussten zum Beispiel nicht erst teure Instrumente kaufen und spielen lernen, uns reichten zunächst Plattenspieler und Mikrofon."
Über die nächsten 10 Jahre folgen drei veröffentlichte Alben, zahlreiche Singles und EPs, eine Namensänderung in das ohnehin gebräuchliche Kürzel "DCS" und musikalische Kollaborationen mit Künstlern wie Gentleman, Curse, Brooke Russell, Pyranja oder Olli Banjo. Bei einer derart leidenschaftlich und ernsthaft betriebenen musikalischen Karriere mussten andere Belange schon einmal zurückstehen: "Als die Band 1991 gegründet wurde, standen wir noch vor dem Abitur. An der Uni kam es dann öfter vor, dass wir in einzelnen Semestern kaum zum Studieren kamen. Aber das schadete nichts; wir haben unseren Elan damals eben mehr in die Musik als in die Bücher gesteckt, und von einer überhasteten Ausbildung halten wir nicht viel: Wer als Anwalt seine Mandanten spezialisiert in einer sehr eigenen Branche seriös beraten will, dem schadet es nicht, wenn er zuvor einen fundierten, praktischen Einblick in diese Branche erlangt hat. Zum Examen hin wurde es dann aber unmöglich, Musik und Studium parallel zu betreiben, so dass wir irgendwann ganz klar unsere Prioritäten verschieben mussten."
Das Leben nicht allzu ernst nehmen
Und so verebbt mit dem auslaufenden Jahr 2002 der Strom an DCS Releases, Baggypants und Backpack werden bald gegen Robe und Aktentasche getauscht, kurz: Der Ernst des Lebens hält seinen späten Einzug ins Dasein der Ex-Rapper. Oder? Allzu ernst nehmen die beiden das Leben auch heute nicht: "Dass wir später als Juristen und nicht als Rapper unser täglich Brot verdienen würden, war uns frühzeitig klar. Nur von der Musik können in Deutschland die allerwenigsten gut und vor allem langfristig leben, und je mehr man sich als Künstler von Verkaufszahlen abhängig macht, desto eher läuft man Gefahr, dem eigenen Stil untreu zu werden und seine Kunst zu kompromittieren."
Ohnehin war der Weg vom Tonstudio in die Kanzleiräume weit weniger steinig, als man zunächst vermuten könnte; im Gegenteil entpuppt sich die untypische Vorgeschichte von Bießmann und Möllmann sogar als wertvolle Zusatzqualifikation. "Wir wussten schon früh, dass wir im Medienrecht arbeiten wollten, und da ist es sehr hilfreich, wenn man die ganzen Abläufe aus der Perspektive des Kreativschaffenden erlebt hat. Insofern haben wir unsere musikalische Karriere immer auch zu einem Teil als 'Praktikum' für unser späteres juristisches Berufsleben verstanden." Auf diese Weise schufen die beiden ein gewisses Netzwerk in der Szene, und die ersten Mandanten waren diejenigen, die die Anwälte früher als Musiker kennengelernt hatten.
Das leuchtet ein, und doch fällt es instinktiv schwer, das Bild des seriösen Juristen mit dem des authentischen Hip Hoppers in Übereinklang zu bringen. "Ja, weil beide Bilder sehr klischeebeladen sind. Aber nur, weil man sich mit der Kultur von Hip Hop identifiziert, ist man ja nicht unfähig, sich ernsthaft zu verhalten und aufzutreten. Und nur, weil man Jurist ist, muss man nicht zum Lachen in den Keller gehen. Wir haben uns natürlich auch eine Branche und Kanzlei bzw. Unternehmen ausgesucht, die zu uns passen: Hier kommt keiner mit Krawatte zur Arbeit, es herrscht ein eher lockerer Umgangston und kreatives Schaffen sowie dessen wirtschaftliche Auswertung stehen im Mittelpunkt."
Das Mittel der Sprache verbindet Rapper und Juristen
Sebastian Möllmann / © Michael Neuhaus
Fragt man Sebastian Möllmann, so gibt es im Gegenteil sogar klare Überschneidungen zwischen beiden Disziplinen: "Letztlich geht es ja im Rap und auch in Jura darum, den eigenen Standpunkt zu vertreten und mit sprachlichen Mitteln durchzusetzen. Natürlich ist das Vokabular ein anderes, aber die rhetorische Auseinandersetzung nach bestimmten Regeln ist doch zentrales Thema beider Bereiche." Das sieht auch Kollege Bießmann ähnlich und ergänzt: "Es kommt nicht von ungefähr, dass die DCS-Leute heute alle in Berufen sitzen, in denen viel mit Sprache gearbeitet wird. Philipp Löffel textet zum Beispiel in einer Werbeagentur in Berlin, und Mike Haagen ist Leiter Sales und Marketing für ein Unternehmen, das DJ Zubehör herstellt."
Obwohl also alle Bandmitglieder in durchaus seriösen Berufen angekommen sind und ein mehr oder weniger bürgerliches Leben führen, ist die Begeisterung für die Musik bis heute nicht gestorben. "Wir hören nach wie vor gerne Rapmusik. Die bislang goldenste Ära des Genres war zwar Mitte der 90er, aber es gibt immer wieder gute Alben, die den Geist dieser Zeit atmen."
Und vielleicht bald eines mehr, denn, man höre und staune, nach einer vollen Dekade ist für 2012 ein DCS-Revival geplant. Ein neues Album ist bereits vollständig aufgenommen und abgemischt; derzeit werden Fragen von Vertrieb und Vermarktung geklärt.
"Wir sind heute alle sehr intensiv berufstätig, haben zum Teil Familie und leben über Deutschland verteilt – natürlich war es da nicht gerade einfach, gemeinsam die Zeit zu finden, um ein Album aufzunehmen. Dass wir es über die letzten Monate dennoch durchgezogen haben, zeigt, dass uns allen das Projekt wirklich wichtig war. Wir hatten anfangs die Sorge, musikalisch möglicherweise eingerostet zu sein, aber nach ein paar Stunden im Studio war die alte Harmonie schnell wieder da, und die Tracks sind kein Stück peinlich, sondern nach unserem heutigen Musikverständnis richtig gut und erwachsen geworden." Frohe Kunde also für eingefleischte Rapfans und alle, die wissen wollen, wie sich vier echte Urgesteine des Genres über die letzten 10 Jahre textlich und klanglich entwickelt haben. Die Veröffentlichung des Albums mit dem Titel "Silber" ist für Anfang 2012 auf allen gängigen Vertriebswegen geplant und soll über das Label BadB Records erfolgen. Bis dahin, peace out.
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