Ein Rechtsanwalt auf Weltreise

"Bis zur Rente warten wäre keine Option gewesen"

Interview von Dr. Franziska KringLesedauer: 8 Minuten

Großkanzlei-Anwalt Nico Kuhlmann reist derzeit um die Welt – mit dem Fahrrad. Im Interview erzählt er, wie es war, seine Hamburger Wohnung gegen Fahrrad und Zelt einzutauschen und schwärmt von der Gastfreundschaft der Menschen im Balkan.

LTO: Herr Kuhlmann, Sie radeln jetzt seit ungefähr drei Monaten um die Welt. Wo sind Sie mittlerweile gelandet?

Nico Kuhlmann: Ich bin in Griechenland zwischen Thessaloniki und Athen. Ich fahre gerade die Ägäisküste runter. Gestern habe ich in dem kleinen Ort Larisa übernachtet, das soll der heißeste Ort Griechenlands sein. Es war auch tatsächlich sehr heiß, für Ende der Woche sind um die 40 Grad vorhergesagt.

Wie sah Ihre bisherige Route aus?

Gestartet bin ich in Hamburg, wo ich lebe und arbeite. Dann bin ich im Zickzack durch Deutschland gereist und habe Freunde und Familie besucht, unter anderem bin ich den Weserradweg gefahren, war in Sachsen und bin über das Erzgebirge nach Tschechien gelangt. Dann ging es zurück nach Bayern und über den Donauradweg nach Wien, Bratislava und Budapest. Danach bin ich quer durch Ungarn gefahren bis Kroatien und Serbien.  

Von dort aus ging es durch den Kosovo nach Nordmazedonien. Anschließend war ich in Albanien und schließlich in Griechenland. Ich hoffe, dass ich in zwei Tagen in Athen ankomme. Heute ist Tag 91 der Reise und bislang habe ich rund 4.100 Kilometer und über 30.000 Höhenmeter zurückgelegt. Vor allem in Nordmazedonien und Griechenland waren einige Berge, der höchste Bergpass hatte um die 1.550 Höhenmeter. Dort in Florina ist ein Bärenreservat mit der größten Bärendichte Europas. Allein auf dem Fahrrad war das schon ein bisschen beängstigend – und bei den Pausen habe ich besser drauf verzichtet, die Bifi auszupacken.  

Sind Sie jeden Tag auf dem Fahrrad?

Foto: Nico Kuhlmann

Eigentlich ist jeder Tag für mich ein Reisetag – außer, wenn ich mir Städte wie Wien oder Budapest länger anschauen möchte, mein Körper eine Pause braucht oder mein Fahrrad repariert werden muss. Ich fahre pro Tag meist zwischen 70 und 80 Kilometern. Das kommt immer auf meine Tagesform, die Temperatur und die Strecke an. Die längste Distanz an einem Tag waren 120 Kilometer in Österreich an der Donau, flache Strecke und ein asphaltierter Radweg.

Der Balkan und Griechenland haben aber keine richtigen Radwege. Es gibt vor allem keine Fernradwege, wie man sie beispielsweise aus Deutschland oder Österreich kennt. Entweder geht es über die Hauptstraße oder über Feldwege, die allerdings gerne im Nirgendwo enden.

Die kürzeste Etappe war in Nordmazedonien. Ich bin morgens in der Hauptstadt Skopje gestartet und wollte bei der Matka-Schlucht nach ungefähr 20 Kilometern einen Stopp einlegen. Eigentlich wollte ich nur einen Kaffee trinken. Dann hat es mir da aber so gut gefallen, dass ich dort über Nacht geblieben bin. Das ist das Schöne an einer solchen Reise: Man kann einfach machen, was man will.

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"Ich wollte nicht viel CO² produzieren und unabhängig sein"

Ein Sabbatical ist bei Großkanzlei-Anwältinnen und Anwälten wohl eher weniger verbreitet. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Ich hatte immer im Kopf, dass ich gerne nochmal reisen würde. Wir hatten jetzt zwei Jahre Pandemie und ich war überwiegend im Homeoffice. Ich habe zwar eine schöne, aber bescheidene Zweizimmerwohnung in Hamburg und ich musste einfach mal wieder an die frische Luft.  

Aufgrund der Klimakrise wollte ich nicht viel CO² produzieren und trotzdem unabhängig sein. Deshalb war schnell klar, dass ich mit dem Fahrrad reise. Ich bin begeisterter Fahrradfahrer und habe kein Auto in Hamburg. Urlaub mit dem Fahrrad habe ich allerdings noch nie gemacht und mich dann ein Jahr lang vorbereitet: das Fahrrad plus Ausrüstung gekauft und getestet, mich informiert, mit anderen Menschen gesprochen und mir alles zusammengesucht, was ich für das Jahr brauche.

Was brauchen Sie denn für das Jahr, also was haben Sie auf Ihrer Reise dabei?

Mein Fahrrad ist ein Gravel Bike, also eine Mischung aus Rennrad und Crossrad mit großen 29-Zoll-Reifen. Vorne und hinten am Fahrrad habe ich Taschen. Vorne ist sozusagen meine Küche: mein Gaskocher, Pasta, ein bisschen Olivenöl. In der anderen Seitentasche ist mein Badezimmer, aber auch Elektroartikel wie eine Powerbank. Außerdem habe ich eine Solarzelle dabei, um die Elektrogeräte aufzuladen.  

Wenn ich nicht zwischendurch im Hotel übernachte, dusche Ich mit einer Pocket Shower, also einem schwarzen Wasserbeutel, den man an einen Baum hängen kann und der sich dann durch die Sonne etwas erwärmt.

Außerdem habe ich noch zwei Outfits mit mehreren Schichten eingepackt – eines für das Fahrradfahren und eines für meine sonstigen Aktivitäten. Ansonsten habe ich unter anderem noch Wasser, einen Schlafsack, Zelt, Isomatte, ein Erste-Hilfe-Set, ein Ersatzhandy und diverse Utensilien dabei, um mein Fahrrad reparieren zu können.    

Wie war das für Sie, Ihre Wohnung mit Küche und Bett gegen Fahrrad, Zelt und Gaskocher einzutauschen?

Um ehrlich zu sein: sehr schön! Natürlich sind Nächte im Zelt nicht so erholsam wie in den eigenen vier Wänden, aber ich genieße die Einfachheit und das Überschaubare sehr.

Es ist allerdings anstrengend, jeden Morgen mein komplettes Gepäck wieder zusammenzupacken. Deshalb schätze ich die Tage sehr, an denen ich weiß, dass ich einen Tag länger bleibe, in Ruhe in den Tag starten kann und nicht direkt weiterziehen muss. Der größte Luxus, den ich vermisse, ist es, in der eigenen Wohnung aufzuwachen und zu wissen, dass ich nichts machen muss. Sobald ich aber auf dem Fahrrad sitze, ist das vergessen und ich freue mich auf den neuen Tag.

"Nach zwei Tagen war mein Kopf abgestellt"

Wie hat die Kanzlei reagiert, als Sie von Ihren Plänen erzählt haben?

Sehr positiv. Ich habe die Entscheidung Ende 2020 getroffen und am ersten Arbeitstag 2021 eine Mail an meinen Chef geschrieben, dass ich im folgenden Jahr um die Zeit ein Sabbatical machen möchte und grob meine Pläne skizziert. Auch für die Personalplanung sollte mein Chef ein Jahr früher Bescheid wissen. So hatten wir genug Zeit, über die Details zu sprechen und alles zu organisieren.  

Es hat keine 30 Minuten gedauert, bis ich eine positive Rückmeldung hatte. Und genau so war die Stimmung auch über das ganze Jahr. Ich bin außerdem im Januar 2022 zum Senior Associate befördert worden, das zeigt nochmal die Wertschätzung.

Denken Sie bei Ihrer "Weltberadelung" noch viel an Jura?

Foto: Nico Kuhlmann

Tatsächlich ist die Arbeit komplett weg. Wir haben alle lange studiert und ich habe die letzten 15 Jahre sehr viel Zeit am Schreibtisch mit Jura verbracht. Der Übergang ist mir aber gut geglückt, nach zwei Tagen war mein Kopf abgestellt.

Natürlich vermisse ich meine Kolleginnen und Kollegen und den Büroalltag, also auch mal zwischendurch einen Kaffee trinken oder gemeinsame Mittagspausen und den Austausch.

Allerdings liege ich auch nicht den ganzen Tag am Strand, sondern bin unterwegs, muss meine Reise organisieren, mein Zelt auf- und abbauen sowie meine Ausrüstung kontrollieren und reinigen. Ich bin also dem ganzen Tag gut beschäftigt. Und: Erfolgserlebnisse, die ich vorher im Beruflichen hatte, etwa, wenn ich einen Fall gewonnen habe, habe ich jetzt bei meiner Reise, wenn ich einen Gipfel oder das nächste Land erreicht habe.  

"Es ist nicht jeden Tag nur alles schön"

Was waren bis jetzt Ihre Highlights der Reise?

Einmal bin ich bei einem Schneesturm einen Berg im Erzgebirge hochgefahren und hatte alles an, was ich habe – und es wurde immer steiler und der Schnee immer dichter. Selbst Schieben ging irgendwann kaum noch. Natürlich habe ich mich gequält, aber es war auch schön.  

Ansonsten habe ich viele tolle Orte gesehen, hatte großartige Blicke auf das Meer und habe die Schönheit der Natur erlebt. Meine größte Überraschung war Nordmazedonien, ein sehr grünes Land mit vielen Bergen.

Und ich habe die Gastfreundschaft gerade in der Balkanregion zu schätzen gelernt. In kleineren Orten habe ich immer angehalten und Kaffee getrunken – meistens dauerte es keine 30 Sekunden, bis die Menschen um mich herumstanden und mir Geschichten erzählten und ihre Hilfe anboten. Jeder Nordmazedonier, mit dem ich mehr als drei Sätze gewechselt habe, hat mir seine Handynummer gegeben, falls ich einmal Unterstützung brauche.   

Haben Sie auch schlechte Erfahrungen gemacht?

Natürlich ist nicht jeden Tag nur alles schön – es ist gelegentlich kalt oder nass, aber auch mal brennend heiß. Es ist eben kein All-Inclusive-Urlaub am Pool, sondern körperlich harte Arbeit. Die Nächte im Zelt sind zudem nicht immer maximal erholsam. Aber wenn ich es bequem und wohltemperiert hätte haben wollen, dann wäre ich im Büro geblieben.

Bei über 35 Grad ist es zudem hart, mit dem Fahrrad die Berge zu erklimmen. Aber ich mache das ganze Abenteuer ja auch, um herauszukommen, den Körper herauszufordern, mich kennenzulernen und meinen Horizont zu erweitern.  

"Wer ein Sabbatical machen will, sollte sich trauen, den Chef zu fragen"

Welche Orte stehen als nächstes auf Ihrem Reiseplan?

Ich werde jetzt nach Athen fahren und dann noch Kreta und Rhodos erkunden. Dann möchte ich weiter in die Türkei und über Izmir nach Istanbul. In Istanbul werde ich eine Woche bleiben, in mich gehen und überlegen, wie das Jahr weitergehen kann.  

Wie geht es für Sie nach der Reise weiter?

Am 2. Januar 2023 habe ich meinen nächsten Arbeitstag bei Hogan Lovells, bis dahin ist mein Vertrag stillgelegt. Ich bin weiterhin Angestellter dort, also musste mich nicht arbeitslos melden oder meine Zulassung zurückgeben, aber die vertraglichen Primärpflichten sind derzeit ausgesetzt.

Ich mag meinen Job und freue mich auch schon wieder auf die Arbeit – für mich wäre es aber keine Option gewesen, mit meiner Reise bis zur Rente zu warten. Wer weiß, in welchem Zustand sich die Welt dann befindet.

Welche Tipps würden Sie Anwältinnen und Anwälten geben, die auch ein Sabbatical planen?

Sich trauen – ich habe immer das Gefühl, dass viele einen ähnlichen Traum haben, aber es aus Angst vor Ablehnung gar nicht erst probieren. Ich glaube, viele sprechen über solche Themen nur sonntags mit Freunden beim Aperol Spritz, aber treten nicht an ihre Chefs heran. Man sollte natürlich etwas Vorlaufzeit einplanen, aber vieles lässt sich regeln. Man muss auch kein ganzes Jahr für ein Sabbatical einplanen, sondern kann auch nur zwei oder drei Monate nehmen.  

Vielen Dank für das Gespräch!

Nico Kuhlmann ist Senior Associate bei Hogan Lovells in Hamburg, derzeit aber auf Weltreise mit dem Fahrrad. Eindrücke von der Reise teilt er unter anderem auf Instagram (@NicoKuhlmann). Das Interview wurde am 20. Juni 2022 geführt.

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