"Wenn es etwas menschelt, verlieren wir nicht an Würde"
LTO: Frau Flade, tagsüber am Amtsgericht, abends auf Instagram – wie läuft ein typischer Tag bei Ihnen ab?
Martina Flade: Tatsächlich betreibe ich Instagram gar nicht täglich. Mein Amt als Straf- und Jugendrichterin am Amtsgericht Chemnitz hat natürlich Vorrang. Ich habe zwei Verhandlungstage, an denen ich jeweils ungefähr fünf Strafsachen verhandele. An einigen Tagen in der Woche bereite ich Social-Media-Beiträge vor. Das mache ich oft, damit ich nicht jeden Tag mit Instagram beschäftigt bin.
Verhandlungsfreie Tage sind reine Bürotage, an denen ich Verhandlungen vorbereite, Strafbefehlsanträge prüfe und Akten bearbeite. Außerdem bin ich noch Dozentin für die E-Verfahrensakte, die in Sachsen nach und nach eingeführt wird. Das macht ungefähr 20 Prozent meines Arbeitsalltags aus.
Die Arbeit als Richterin und die als Influencerin können auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein. Wie empfinden Sie das?
Natürlich gibt es Unterschiede, aber durchaus auch Gemeinsamkeiten. Ich bin keine Influencerin, die Produkte bewirbt, wie man es von Instagram kennt. Mein "Influencen" bezieht sich auf Wissensvermittlung. Ursprünglich ist der Kanal so entstanden, dass ich Rechtswissen verständlich für Nicht-Juristen erklären wollte. Und auch im Rahmen des Strafverfahrens versuche ich, den Menschen, die in den meisten Fällen keinen juristischen Hintergrund haben, mein Urteil oder meine Entscheidungen näherzubringen. Und das mache ich dann auch auf Instagram. Beide Tätigkeiten sind mitunter darauf ausgerichtet, das Recht zu vermitteln.
Werden Sie im Gerichtssaal von den Verteidigern oder Angeklagten erkannt?
Also sofern ich mal von einem Angeklagten erkannt worden bin, hat man mir das gegenüber nicht kommuniziert. Seitens der juristischen Verfahrensbeteiligten oder auch der Jugendgerichtshilfe bin ich aber schon angesprochen worden. Insbesondere von den Verteidigern kam dann immer positiver Zuspruch.
"Menschen mit meinen Inhalten erreichen und meine Werte vermitteln"
Ihr Account wird immer größer, aktuell haben sie ca. 36.500 Follower auf Instagram. Verfolgen Sie ein bestimmtes Ziel?
Dass er immer größer wird, ergibt sich aus sich heraus. Ich habe nicht angefangen, um eine bestimmte Follower-Anzahl zu erreichen. Natürlich ist es schön, wenn ein Thema, welches mir am Herzen liegt, Anklang findet und ich damit viele Menschen erreichen kann. Mein Ziel ist es, Menschen mit meinen Inhalten zu erreichen und meine Werte zu vermitteln.
Welche sind denn Ihre Werte?
Ich bin Idealistin, die in der Juristerei eine sinnstiftende Tätigkeit gefunden hat und in jedem Verfahren versucht, etwas Positives zu bewirken.
Beim Instagram-Account ist es nicht geblieben. Sie haben auch den Podcast "Mrs. Right" mit "DieScheidungsanwältin", der jeden Sonntag erscheint. Wie bringen Sie alles unter einen Hut?
Letztendlich durch eine gute Tagesstruktur. Ich plane meine Tage vor, überlege mir vorher, was ich in meinem Tag unterbringen kann, gehe beim Podcast arbeitsteilig vor. Die Podcast-Folge dauert ungefähr eine halbe Stunde. In der Regel sprechen wir ohnehin über Neuigkeiten aus der juristischen Welt, die uns in der Woche beschäftigen, oder allgemein über unsere Erfahrungen als Mütter und Juristinnen. Die Arbeit im Vorfeld ist nicht viel und Dinge wie die Produktion des Podcasts haben wir ausgelagert.
"Ich würde auf meinem Profil keine Werbung schalten"
Viele Influencer nutzen Instagram ja auch als Einnahmequelle. Generieren Sie eigentlich Einnahmen über Instagram und den Podcast?
Nein. Ich würde auf meinem Profil auch wahrscheinlich keine Werbung schalten. Das müsste mit dem Mäßigungsgebot vereinbar sein, das für Richter gilt. Richter dürfen nicht nur im Amt, sondern auch außerhalb dessen das Vertrauen in ihre Unabhängigkeit nicht gefährden. Im Podcast könnte ich mir Werbung schon eher vorstellen, derzeit machen wir das aber nicht.
Können Sie uns noch etwas mehr über die Webinare erzählen?
Ja. Die Webinare richten sich an Nicht-Juristen, aber auch an Juristinnen, die gerade in den Beruf starten. Ich mache das gemeinsam mit Rechtsanwältin Saskia Schlemmer. Wir wollen den Teilnehmern die Gelegenheit geben, uns Fragen zu stellen. Und wir möchten sie mit unserer Erfahrung unterstützen.
"Meine Themen regen zur Diskussion an"
Sie erhalten viel Unterstützung, sowohl privat als auch durch Kollegen. Auch Ihre Community scheint durchwegs positiv zu sein. Bekommen Sie auch Hass-/Drohmails?
Meine Beiträge erreichen inzwischen sehr viele Menschen, einige Videos wurden millionenhaft geklickt. Da gibt es schon manchmal Kommentare, die nicht ganz so besonnen sind. Die stammen aber oftmals von nicht-öffentlichen oder Fake Accounts. Ich messe diesen Kommentaren nicht so viel Bedeutung zu. Für mich macht es einen großen Unterschied, ob jemand seine Meinung anonym im Internet postet oder mir ins Gesicht sagt. Meine Themen regen generell zur Diskussion an, weil ich über Aktuelles spreche. Von der Cannabislegalisierung, über Bewährungsanforderungen oder die Folgen, wenn man betrunken E-Scooter fährt, ist alles dabei. Da kann man natürlich auch anderer Meinung sein. Gerade dieser Austausch ist ja auch gewollt.
Sehen Sie auch Gefahren darin, auf Social Media über komplexe juristische Themen zu sprechen?
Nein. Ich sehe eher die Chance, aus Sicht einer Richterin heraus die Rechtslage und die verschiedenen Verfahren zu vermitteln. Denn das Recht ist sehr komplex und selbst für uns Juristen ist die Rechtslage nicht immer eindeutig. Und deshalb ist das für mich eine Herausforderung, die ich damit angenommen habe.
Viele Follower fordern auf Social Media immer mehr Inhalte ein. Machen Sie sich selbst Druck, wenn es um Content geht?
Ich habe im Laufe meiner Social-Media-Tätigkeit gelernt, auf mich selbst zu hören. Wenn man sich in den sozialen Medien äußert, dann prasseln immer viele Meinungen auf einen ein. Dass mehr Content gefordert wird, kenne ich auch. Allerdings lasse ich mich davon nicht beeinflussen. An Tagen, an denen ich in meinem Hauptjob als Richterin ausgelastet bin, mache ich keinen Content. Da sind mir auch die Algorithmen egal.
"Meine Bildschirmzeiten sind recht gering"
Verfolgen Sie selbst eigentlich auch andere Kollegen auf Social Media?
Ja. Ich habe dadurch auch viele Kollegen aus anderen Bundesländern kennengelernt, sei es aus der Justiz oder der Rechtsanwaltschaft. Es ist bisher eine überschaubare Anzahl an Accounts. Als Nutzerin verwende ich Instagram nicht so oft. Meine Bildschirmzeiten sind recht gering. Ich produziere meinen Content und schaue mir das an, aber scrolle nicht oft durch den Feed.
In der Tat scheint es noch nicht so viele Richter und Anwälte zu geben, die auf Instagram aktiv sind. Möchten Sie Ihre Kollegen dazu ermutigen?
Ja. Meiner Meinung nach ist es eine Gelegenheit, dass wir Juristen uns etwas mehr für die Nicht-Juristen öffnen. Das bringt mitunter den Vorteil, dass unsere Entscheidungen besser aufgenommen werden, weil sie verständlicher werden. So sieht man besser, dass wir auch "nur Menschen" sind, mit beiden Beinen im Leben stehen, nicht bieder sind und die Probleme verstehen, die in unseren Verfahren auftauchen.
Wir sind aber natürlich trotzdem in einem Balanceakt. Gerade, wenn wir ein Amt vertreten, können wir nicht den gleichen Social-Media-Content machen wie Personen aus anderen Branchen. Aber ich denke, wenn es etwas menschelt, verlieren wir nicht an Würde.
Würden Sie ihre Richterstelle für Instagram aufgeben?
Nein, aufgeben auf keinen Fall. Mein Richterberuf ist sehr sinnstiftend und macht mir viel Spaß. Die Tätigkeit auf Instagram übe ich zusätzlich aus. Ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht, wie lange ich das noch machen werde. Bekanntermaßen sind alle Social-Media- Plattformen vergänglich. Und wenn ich irgendwann feststellen sollte, dass ich keine Freude mehr an Instagram habe, werde ich damit aufhören.
Vielen Dank für das Gespräch!
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2024 M03 16
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