Richterin wird Teilzeit-Professorin und Mentorin

"Remo­te­ar­beit oder ein Sab­batical buche ich per App"

Interview von Franziska KringLesedauer: 7 Minuten

Krystyna Okoye-Montis war lange Richterin und ist jetzt Professorin in Teilzeit. Derzeit arbeitet sie von Sardinien aus. Im Interview erzählt sie, wieso sie keine freien Tage mehr braucht und was die Justiz anders machen sollte.

LTO: Frau Professorin Okoye-Montis, wie kann man sich das Leben einer Teilzeit-Professorin auf Sardinien vorstellen?

Prof. Dr. Krystyna Okoye-Montis: Sehr schön. Ich bin noch bis Ende August auf Sardinien, danach geht es zurück nach Berlin, weil die Kinder dann wieder in die Schule müssen. Ich stehe immer sehr früh auf – wie die Sarden auch, bevor die Hitze einsetzt – und gehe trainieren oder jogge Richtung Berge und grüße die Schafe. An ein paar Tagen in der Woche halte ich dann zwischen einer und drei Online-Vorlesungen. Danach geht es mit der Familie an den Strand oder wir machen einen Ausflug in die Berge mit Freunden. Wir essen dann gemeinsam und es wird gemessen an deutschen Verhältnissen sehr spät. An den Tagen, an denen ich keine Vorlesungen halte, arbeite ich an weiteren Projekten, aber die Morgen- und Abendroutinen sind die gleichen. 

Vorher waren Sie insgesamt acht Jahre in der Justiz tätig, als Richterin auf Lebenszeit ernannt. Vor vier Monaten haben Sie Ihren Richterjob aufgegeben. Wieso?

Es war Zeit für etwas Neues. Ich konnte mich in der Justiz nicht mehr in die Richtung entwickeln, in die ich mich entwickeln wollte. Ich bin Richterin geworden, weil ich gerne etwas bewegen, unabhängig sein und viel Verantwortung haben wollte. Zunächst konnte ich mich sowohl fachlich als auch persönlich und im Umgang mit Menschen weiterentwickeln. Aber nach einigen Jahren als Richterin am Arbeitsgericht und Tausenden diktierten Vergleichen und Aufhebungsvereinbarungen ist die Lernkurve sehr abgeflacht. Gleichzeitig wurde es für mich immer wichtiger, selbst wählen zu können, mit welchen Themen ich mich befasse und unter welchen Rahmenbedingungen. Das hat einfach nicht mehr gepasst.

Die Entscheidung, einen guten Job auf Lebenszeit aufzugeben, ist sicher keine leichte.

Nein, und ich habe mir auch einige Zeit damit gelassen. Das war ein längerer, quälender Prozess, weil es natürlich eine krasse Entscheidung ist, einen sicheren Job aufzugeben, der auch einen gewissen Status in der Gesellschaft bedeutet. Ich habe mich dann aber für mich selbst, meine eigene Zufriedenheit und mein Wohlbefinden entschieden. Und ich bereue es nicht.

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"Große Unterschiede bei Eigenverantwortung und Digitalisierung"

Seit vier Monaten sind Sie jetzt Professorin an der IU Internationale Hochschule und halten Vorlesungen im Arbeits- und Sozialrecht. Wieso sind Sie Professorin geworden?

Ich finde den Mix aus Wissensvermittlung und inhaltlicher und didaktischer Gestaltung sehr spannend. Auch finde ich es wichtig, die Funktionen des Rechts zu verstehen, und das möchte ich den Studierenden vermitteln. Jetzt arbeite ich in einem modernen und kreativen Umfeld. 

Studierende sind eine tolle Zielgruppe, sie sind aufgeschlossen und stellen wichtige Fragen.

Wie unterscheidet sich das Arbeitsumfeld in der Justiz von dem an der Hochschule?

Sehr deutlich, vor allem was die Eigenverantwortung, Fehlerkultur, Innovationsfreude und den Stand der Digitalisierung angeht. Aber ich spreche jetzt für private Hochschulen, an staatlichen Hochschulen dürfte das anders aussehen. 

Das Justizsystem ist nicht auf Eigenverantwortung ausgelegt, sondern traditionell darauf, Macht zu demonstrieren und Verantwortung von den Menschen auf die Gerichte zu verlagern. Das könnte man im Jahr 2024 zumindest im Bereich des Zivilrechts mal hinterfragen. Dass hier mehr Selbstbestimmung gewünscht ist, zeigt sich ja schon an den rückläufigen Klagezahlen an den Zivilgerichten und an der Beliebtheit alternativer Streitbeilegungsmöglichkeiten. 

Bei dem Thema Digitalisierung wäre es aus meiner Sicht als ehemalige Güterichterin und Mediatorin wichtig, die KI zum Anlass zu nehmen uns damit zu beschäftigen, welche Mittel wir zur Gestaltung unserer Beziehungen außer Recht und Logik noch so zu bieten haben. Hier halte ich das Erlernen von Kommunikationsskills für ein wichtiges Thema, dem auch von staatlicher Seite durchweg in allen Bereichen (vom Bildungssektor bis zur Justiz) zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dabei resultieren nach meiner Erfahrung ein Großteil der Fälle, die vor Gericht landen aus einer nicht vorhandenen oder schlechten Kommunikation.

An der Hochschule findet sehr Vieles online statt. Das ist in der Justiz anders. Es gibt zwar auch in Deutschland Bemühungen, Verfahren digital durchzuführen. Aber ich glaube nicht, dass wir jemals so weit sein werden, dass alle Beteiligten frei in der Wahl ihres Ortes sind. In anderen Ländern geht das. Neulich hat mir jemand von einem brasilianischen Richter erzählt, der durch die Welt reist und parallel arbeitet, das kann ich mir für die deutsche Justiz absolut nicht vorstellen.

"Teilzeit, Sabbaticals oder Arbeit aus dem Ausland ist kein Problem"

Wie funktioniert das, als Professorin in Teilzeit zu arbeiten? Ist es selbstverständlich, dass die Hochschule das mitmacht?

Ja, es ist kein Problem, in Teilzeit zu arbeiten, ein Sabbatical zu nehmen oder aus dem Ausland zu arbeiten. Das bucht man einfach per App. Es kann so einfach sein. Ich würde mir wünschen, dass auch andere Arbeitgeber – vor allem der Staat – für mehr Flexibilität sorgen würden.

Kann man vom Teilzeit-Gehalt leben?

Auf jeden Fall. Aber natürlich ist es eine ganz persönliche Frage, wie man sein Leben führen möchte und welche Rolle die Finanzen dabei spielen. Ich setze aber nicht mehr alles auf eine Karte und bin "nur" Professorin. Ich mache verschiedene Sachen, die mir Freude machen und die verschiedenen Facetten meiner Persönlichkeit abbilden. Ich halte Vorträge zur Arbeitswelt, aber auch zur beruflichen Veränderung. Und ich habe eine Ausbildung zum ganzheitlichen Coach gemacht und begleite Menschen, die ihr Arbeitsleben transformieren und Arbeit machen wollen, die sich nicht wie Arbeit anfühlt. Zu Themen wie dem Ausstieg aus dem Öffentlichen Dienst bzw. aus der Privatwirtschaft möchte ich bald auch als Rechtsanwältin beraten. Ich finde es sinnvoll, die anwaltliche Beratung und die individuelle Unterstützung als Mentorin miteinander zu verknüpfen. Aus meiner Sicht ist eine rein arbeitsrechtliche Beratung nicht immer zielführend, weil die anderen Lebensbereiche bei der Entscheidung ja auch eine große Rolle spielen können.

"Als Schwarze Person in der Justiz war es nicht immer leicht"

Wieso haben Sie sich dazu entschieden, zusätzlich Mentorin und Anwältin zu werden? 

Ich war nicht immer so mutig und selbstbewusst, sondern es gab auch eine Zeit, in der ich mich allein gefühlt und an mir selbst gezweifelt habe. Gerade auch als Schwarze Person in der homogenen Justiz war es nicht immer leicht. Und ich hatte ja vermeintlich alles erreicht, war aber doch nicht erfüllt. Es gab eine Zeit, in der sich alles nur noch energieraubend angefühlt hat. Da hätte ich mir eine außenstehende Person gewünscht, mit der ich mich vertrauensvoll austauschen kann und die mich auf dem Weg begleitet hätte. 

Schon während Sie noch Richterin waren, haben Sie Ihren Podcast ins Leben gerufen. Um welche Themen geht es da und wer sind Ihre Gäste?

Den Podcast habe ich 2020 gestartet und am Anfang hieß er "Sui generis Podcast". Das hat natürlich niemand außerhalb der Jura-Bubble verstanden, aber es sollte bedeuten, dass jeder seine eigene Persönlichkeit hat, eben "seiner eigenen Art" ist. Ich habe den Podcast dann in "Spirit & Attitude" umbenannt. Im Podcast geht es um Mut, Kreativität und Transformation. Ich habe mich bewusst gegen einen Jura-Podcast entschieden, ich hatte schon genug Jura in meinem Leben. Ich habe mit Menschen gesprochen, die inspirierend und besonders waren und die Dinge anders gemacht haben. Ich habe mal einen Richter interviewt, der auch Schauspieler ist, ansonsten aber nur Nicht-Jurist:innen – Gerald Asamoah, aber auch Moderator:innen, Sänger:innen und einen Bestatter.

"Ich habe keine freien Tage und will auch keine mehr"

Wie sieht denn eigentlich ein freier Tag bei Ihnen aus?

Ich habe gar keine freien Tage im klassischen Sinne und will das auch gar nicht mehr. Ich bin mittlerweile selbstbestimmt und mache das, was ich machen will. Aus meiner Sicht brauchen wir freie Tage nur, wenn wir ansonsten nicht frei sind. 

Ihre Zeit in Sardinien geht bald zu Ende. Können Sie sich vorstellen, noch einmal eine Zeit aus dem Ausland heraus zu arbeiten?

Auf jeden Fall. Ich liebe große Städte wie Berlin und New York, aber ich lebe gerne an verschiedenen Orten. Ich spreche auch bewusst von "leben" und nicht von "Urlaub machen" oder "reisen", denn ich lerne einfach gerne andere Orte, Menschen und Kulturen kennen. Sardinien ist meine zweite Heimat, weil mein Schwiegervater Sarde ist. Ich könnte mir zeitweise aber auch weiter entfernte Ziele vorstellen wie Sri Lanka, Südostasien, einige afrikanische Länder, die Ost- und Westküste der USA – die Liste ist lang.

Welche Tipps haben Sie für Jurist:innen, die auch mit dem Gedanken spielen, sich beruflich zu verändern?

Sie sollten schauen, welche Interessen sie neben Jura haben. Ich stelle häufig fest, dass Jurist:innen, aber auch andere Menschen, die beruflich sehr eingespannt sind, gar nicht mehr wissen, wofür sie sich noch interessieren. Viele beziehen ihr Selbstvertrauen nur aus dem Job. Wenn der Beruf wegfällt, stehen sie vor einem Loch und wissen gar nicht, was sie noch können und wollen. Man sollte sich, schon während man noch im Job ist, Gedanken machen, wofür man sich begeistern kann, sei es Malen, Fotografieren oder Theaterspielen. Wir Jurist:innen wollen ja immer eine klare Struktur haben und genau wissen, was das Ziel ist. Aber so ist das Leben nicht. Vieles ergibt sich erst Schritt für Schritt, wenn man es zulässt und darauf vertraut. Und: Es ist Raum für Vieles, man muss nicht nur einen Job machen. Das ist nicht der konventionelle Weg, aber es kann ja einer werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Prof. Dr. Krystyna Okoye-Montis war insgesamt knapp acht Jahre als Richterin am Arbeits- und Sozialgericht tätig. Zuletzt war sie an die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz in Berlin abgeordnet und hat das Referat "Justiz in der vielfältigen Gesellschaft" geleitet. Seit Mai 2024 ist sie Professorin an der IU Internationale Hochschule. Daneben hat sie den Podcast "Spirit & Attitude", begleitet als Mentorin Menschen, die ihr Arbeitsleben transformieren wollen und ist Mediatorin.

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