Small Talk mit Staatsanwalt und Ex-Anwalt Leif Schubert

"Nie­mand steigt mit 45 wieder auf den Partn­er­track ein"

Interview von Franziska KringLesedauer: 7 Minuten

Im Small Talk fragen wir Juristinnen und Juristen, was sie denn so machen. Heute: Staatsanwalt Leif Schubert über seinen Wechsel in die Justiz – und warum Kanzleien bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch Nachholbedarf haben.

LTO: Herr Schubert, Sie waren fast fünf Jahre Anwalt im Bereich Dispute Resolution in einer Großkanzlei – und sind dann in die Justiz gewechselt. Im Moment sind Sie Staatsanwalt. Wieso haben Sie sich für den Wechsel entschieden?

Leif Schubert: Die Entscheidung ist nach der Geburt unserer Tochter vor einigen Jahren gereift. Ich habe immer gerne und viel gearbeitet und mich auch über meine Arbeit identifiziert. Schon als unser erstes Kind, unsere Tochter, geboren wurde, habe ich gemerkt, dass ich den Alltag mit ihr nicht verpassen will. Deshalb habe ich erstmal meine Arbeitszeit reduziert und bin innerhalb der Kanzlei auf Teilzeit umgestiegen. Ich habe dann drei Tage bis spätabends gearbeitet und war zwei Tage Zuhause allein für alles verantwortlich. Meine Frau hat es genauso gemacht. Einen Tag haben uns die Großeltern abwechselnd geholfen. Das Modell hat mich in der Kanzlei aber nicht zufriedengestellt.

Weshalb?

Für mich war es immer wichtig, eigenverantwortlich zu arbeiten und im "Lead" zu sein, wie man in der Kanzlei sagt. Ich habe dann aber gemerkt, dass das in Teilzeit nicht mehr in dem Maße möglich war, wie ich mir das vorgestellt habe, obwohl die Kanzlei mir sehr entgegengekommen ist. Aber als Anwalt ist man strukturell Dienstleister, deshalb ist es schwierig, ganze Tage nicht erreichbar zu sein. In der Kanzlei bedeuten solche Teilzeitmodelle oft dauerhafte Zuarbeit. Das erfüllt mich nicht. Deshalb habe ich mich für den Wechsel in die Justiz entschieden. Als Staatsanwalt arbeite ich jetzt auch nur an drei vollen Tagen, habe aber trotzdem die volle Verantwortung für meine Verfahren. So war es auch vorher als Richter. Die Justiz ist insgesamt sehr familienfreundlich. Alle Dienstvorgesetzten und Kollegen unterstützen mein Modell und wissen, dass ich mich umgekehrt dafür an meinen ganzen Tagen besonders reinhänge.

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"Der Partnertrack ist auf Vollzeit zugeschnitten"

Was können Kanzleien denn aus Ihrer Sicht bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern?

Erstmal: Viele Wirtschaftskanzleien machen schon viel für Eltern, sei es bezahlte Elternzeit, bezahlter Vaterschaftsurlaub oder eine kostenlose Ganztagesbetreuung der Kinder. Das Vergütungsmodell und der Partnertrack sind auf Vollzeit zugeschnitten. Man steigt in der Regel mit Ende 20 oder Anfang 30 in die Kanzlei ein und braucht dann zwischen sieben und zehn Jahren bis zur Partnerschaft. In der Zeit muss man durchgängig darauf hinarbeiten – oder der Zug ist im Prinzip abgefahren. Die Rush-Hour des Lebens sollte nicht endgültig über Karrieren entscheiden. Genau in der Zeit gründen aber viele eine Familie, bauen Haus oder Wohnung und haben viele andere Verpflichtungen. 

Ich kenne niemanden, der mit 45 wieder auf den Partnertrack eingestiegen ist. Auch beim Recruiting fokussieren sich Kanzleien sehr auf Berufseinsteiger. Und das verstehe ich nicht. Es gibt viele Anwältinnen und Anwälte über 40 mit viel Erfahrung, deren Kinder möglicherweise nicht mehr so viel Betreuung benötigen. Ich habe aber noch nie erlebt, dass eine Kanzlei genau so eine Person sucht und zur Partnerin bzw. zum Partner aufbaut. Bei Ende 20-Jährigen nimmt man sich aber die Zeit.

Leif Schubert ...

… ist Staatsanwalt im Bereich Organisierte Kriminalität und Geldwäsche

… kam aus einer Wirtschaftskanzlei in die Justiz

… arbeitet in Teilzeit, um seine Kinder zu betreuen

… will einmal als Zivilrichter arbeiten

… ist erst kürzlich Fan des Klassikers "Der Pate" geworden

Und das ist beim Staat anders?

Ja, aus meiner Sicht gelingt es beim Staat einfach besser, dass man vorübergehend in Teilzeit arbeitet und währenddessen oder zumindest danach wieder durchstartet. Der Familie in dieser Phase des Lebens mehr Zeit einzuräumen, sollte eine Karriere danach nicht faktisch ausschließen. Das lebt der Staat weit besser vor als viele Kanzleien. Da Fürsorgearbeit auch heute noch vor allem Frauen leisten, lässt sich das leicht vergleichen. Die Bundesgerichte sind immer öfter nahezu paritätisch besetzt. Selbst der Bundesfinanzhof weist immer noch fast ein Drittel Richterinnen auf. Bei so einer Partnerinnenquote würden Kanzleien regelmäßig Diversity-Awards gewinnen. Vielfalt ist natürlich mehr als das Geschlecht, aber ein starker Anhaltspunkt sind solche Zahlen schon.

"Ich fühle mich in der Justiz so lebendig wie noch nie"

Auch ansonsten unterscheidet sich die Arbeit in der Großkanzlei deutlich von der in der Justiz. Welche war die größte Veränderung für Sie?

Ich fühle mich in der Justiz so lebendig wie noch nie. Die Tätigkeit als Wirtschaftsanwalt ist auch sehr spannend, aber man bewegt sich doch häufiger in einem Elfenbeinturm. In der Justiz erlebt man die gesamte Bandbreite der Gesellschaft. Und man legt schnell den Zynismus ab, den man in der Examensvorbereitung antrainiert bekommt. Man schreibt Begriffe wie "undoloses Werkzeug" und die dazugehörigen Klausurprobleme auf seine Karteikarte. Jetzt schaut man aber plötzlich im Gerichtssaal den Menschen ins Gesicht und muss sich überlegen, ob diese Person wirklich von anderen für eine Tat missbraucht wurde oder einfach nur lügt. Es geht in der Justiz immer um echte Menschen, im Studium bleibt das alles dagegen häufig ganz abstrakt. 

Gewerbsmäßiger Bandenbetrug, Geldwäsche und Rauschgifthandel

Derzeit sind Sie Staatsanwalt im Bereich der Organisierten Kriminalität und Geldwäsche. Mit welchen Fällen beschäftigen Sie sich?

Es geht vor allem um drei unterschiedliche Gebiete: Das erste würde ich unter "gewerbsmäßigem Bandenbetrug" zusammenfassen. Da geht es etwa um Fälle mit dem Enkeltrick oder falschen Polizeibeamten. 

Dann gibt es viele Geldwäschefälle. Dabei liegt der Schwerpunkt oft mehr auf Fragen der Vermögensabschöpfung und Einziehung. Oft werden Menschen durch hanebüchene Geschichten dazu veranlasst, den Tätern bei der Sicherung von Vermögenswerten zu helfen. 

Und das dritte Gebiet?

Das ist der großvolumige Rauschgifthandel, oft im dreistelligen Kilobereich, sehr oft mittels Kryptochats (verschlüsselten Chats). Nach Inkrafttreten des neuen Konsumcannabisgesetzes stellt sich die spannende Frage, ob Kryptochats, die andere EU-Mitgliedstaaten unaufgefordert an Deutschland übermittelt haben, bei reinen Cannabisfällen überhaupt verwertbar sind. Das ist zwischen den Gerichten streitig. Das Landgericht (LG) Mannheim hat zum Beispiel einen Mann freigesprochen, der rund 450 Kilogramm Marihuana geschmuggelt haben soll. Das LG nahm ein Beweisverwertungsverbot für verschlüsselte Encrochat-Nachrichten an. Andere Gerichte sehen das aber anders. Ich auch. Der Bundesgerichtshof wird das hoffentlich demnächst entscheiden.

"Gerade im Strafrecht geht es um viel für die Gesellschaft"

Jetzt beschäftigen Sie sich mit der Verwertbarkeit von Encrochat-Nachrichten in Strafverfahren, von Haus aus sind Sie aber eigentlich Zivilrechtler und haben Unternehmen bei Streitigkeiten im Bank- und Finanzbereich begleitet. Wie war die Umstellung für sie?

Tatsächlich habe ich erstmal damit gehadert. In der Justiz wird man ja nicht nach Vorwissen oder nach dem Wohnort eingesetzt, sondern nach dem jeweiligen Personalbedarf. Das ist erstmal gewöhnungsbedürftig und hält tatsächlich einige, die ich kenne, vom Wechsel in die Justiz ab. Mittlerweile muss ich aber sagen, dass mir viele spannende Erfahrungen entgangen wären, wenn ich jetzt in der Justiz genau das gemacht hätte, was ich vorher als Anwalt spannend fand. Die Einblicke, die ich als Richter in der Großen Strafkammer und als Strafvollstreckungsrichter und jetzt als Staatsanwalt bekommen habe, möchte ich nicht mehr missen. Es geht gerade im Strafrecht um viel für die Gesellschaft.

Richter, Staatsanwalt oder doch ein anderer juristischer Beruf – wo sehen Sie sich in fünf Jahren?

Auf jeden Fall sehe ich mich in fünf Jahren noch in der Justiz, weil mich die Arbeit hier einfach erfüllt. Innerhalb der Justiz kann ich mir aber vieles vorstellen, weil die Bandbreite an spannenden Tätigkeiten so groß ist. Ich habe mir selbst aber auch eingestanden, dass mich juristisch offensichtlich so ziemlich alles begeistern kann. Ich wünsche mir dennoch unbedingt, dass ich demnächst einmal Zivilrichter sein darf – denn um das auszuprobieren, dafür bin ich gekommen.

"Jeder sollte unterschiedliche Berufe ausprobieren"

Wenn Sie Ihre Karriere nochmal beginnen könnten, würden Sie dann direkt in der Justiz anfangen?

Nein. Ich würde alles nochmal genauso machen. Ich würde auch jedem empfehlen, unterschiedliche Dinge auszuprobieren. Es muss ja nicht nur die Anwaltschaft sein. Und dann kann man in die Justiz wechseln – denn meiner Erfahrung nach verlässt kaum jemand noch einmal die Justiz. Deswegen sollte sich jeder vorher ausprobieren. Nichts macht doch unglücklicher im Leben, als "Was-wäre-wenn"-Überlegungen nachzuhängen. Ich kenne die Vorzüge und Nachteile der Wirtschaftskanzlei und profitiere jetzt von meinen Erfahrungen. In Kanzleien kann man viel lernen, wofür in der Justiz oft weniger Zeit bleibt. Zum Beispiel ist genug Zeit vorhanden, lange an besonders lesenswerten Texten zu feilen. In der Großkanzlei schreibt man nicht selten wochenlang an einem einzigen Schriftsatz. So entstehen auch sprachlich perfekte Arbeitsprodukte, die viele Juristen wohl sogar gerne in ihrer Freizeit lesen würden.

Zum Schluss fragen wir immer gerne nach Empfehlungen für Bücher, Filme oder Podcasts. Haben Sie eine für uns?

Ich erfülle das Klischee über Juristen, erst dann einen Trend aufzugreifen, wenn er vorbei ist. Ich konnte erst relativ kürzlich zur Fangemeinde von "Der Pate" aufschließen. Ein Meisterwerk, das gerade in der Justiz nachdenklich macht. Der eigentlich rechtstreue Bonasera kommt zu Don Corleone, weil seine Tochter misshandelt und entstellt worden ist, die staatliche Justiz dem aber nicht angemessen begegnet. Umgekehrt zeigt der Film aber auch, dass selbst kluge Köpfe nur in Einsamkeit, Misstrauen und Unglück enden, wenn sie sich der Kriminalität zuwenden. Und ich kann "Behave: The Biology of Humans at our Best and Worst" von Robert M. Sapolsky empfehlen. Das Buch handelt davon, was gut und schlecht ist und warum Menschen gut oder schlecht handeln. Was davon ist soziale Zuschreibung, was ist objektiv? Gerade für Strafrechtler ist das Buch sehr lesenswert. Sie merken, wie stark mich dieses Rechtsgebiet offenbar schon privat beeinflusst.

Vielen Dank für das Gespräch!

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