Vom stärksten Juristen der Welt zum Bodybuilder

"Ich brauche immer eine neue Her­aus­for­de­rung"

Interview von Franziska KringLesedauer: 7 Minuten

Raffael Gordzielik war Anwalt und hat dreimal die deutschen Strongman-Meisterschaften gewonnen. Jetzt steht er als Bodybuilder auf der Bühne und ist Jurist in einer JVA. Ein Gespräch über den Mut zu Veränderungen.

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LTO: Herr Gordzielik, Sie waren viele Jahre als Anwalt tätig. Mittlerweile arbeiten Sie als Vollzugsjurist in einer Justizvollzugsanstalt (JVA). Wieso haben Sie sich für den Jobwechsel entschieden? 

Raffael Gordzielik: Der Job als Rechtsanwalt im Strafrecht und Arzthaftungsrecht hat mir immer viel Spaß gemacht. Ich habe aber eine Familie mit mittlerweile fünf Kindern – und vor etwas mehr als zwei Jahren gemerkt, dass ich mir eine bessere Work-Life-Balance und auch einen sicheren Arbeitgeber wünsche. Auf die Idee, in den Staatsdienst zu wechseln, kam ich tatsächlich im Fitnessstudio, als ich auf dem Crosstrainer war. Ich habe einen Podcast mit der Leiterin der JVA Euskirchen gehört, genauer eine Folge von "Irgendwas mit Recht". Da ich auch immer eine Affinität fürs Strafrecht hatte, habe ich mich im Vollzug beworben und konnte dann auch schnell als sogenannter Rechtsassessor in der JVA Gießen starten. 

Wie ging es dann für Sie weiter? 

Rechtsassessoren werden schnell an die Abteilungsleitung herangeführt. Nach vier oder fünf Monaten war ich Abteilungsleiter in der JVA Gießen, wo vor allem Untersuchungshäftlinge untergebracht sind.  

Mittlerweile arbeite ich in einer JVA der Sicherheitsstufe 1 für langstrafige Gefangene, in der also die Schwerstkriminellen untergebracht sind. Dort leite ich die Sicherheitsstation, d.h. für die Gefangenen dort gelten nochmal besondere Sicherungsmaßnahmen, weil sie beispielsweise psychische Auffälligkeiten haben. 

"Mein Charakter eckt in einer behördlichen Struktur an" 

Welche Aufgaben haben Sie dort? 

Meine Aufgaben sind sehr vielfältig. Als Abteilungsleiter bin ich Dienstvorgesetzter meiner Mitarbeiter. Ich arbeite in einem Team mit Psychologen, Ärzten, dem Sozialdienst und Pädagogen und wir sind zuständig für die Behandlung und Betreuung der Insassen. Für jeden Gefangenen wird ein Vollzugsplan erstellt, in dem festgehalten wird, welche Behandlungsmaßnahmen für ihn angedacht sind und wo wir ihn in einigen Jahren sehen. Als Abteilungsleiter kontrolliere und genehmige ich die Vollzugspläne und bin auch eingebunden, wenn die Gefangenen gegen die Vollzugspläne vorgehen. Sind sie mit einem Plan nicht einverstanden, können sie Anträge auf gerichtliche Entscheidung stellen. Wenn der Gefangene Recht bekommt, werden wir beispielsweise verpflichtet, eine vollzugsöffnende Maßnahme durchzusetzen oder ihm ein Radio auszuhändigen. 

Daneben habe ich verschiedene Berichtspflichten gegenüber dem Justizministerium, etwa bei einem Ausbruch oder bei Strafgefangenen, die zur organisierten Kriminalität gehören. Informationen über Straftaten im Strafvollzug leite ich an die Staatsanwaltschaft weiter. 

Außerdem bin ich für Disziplinarmaßnahmen gegen die Gefangenen zuständig, wenn sie beispielsweise unerlaubt ein Handy besitzen. Wenn bei einem Gefangenen Drogen gefunden werden, müssen wir besondere Sicherungsmaßnahmen wie Einzelhaft verhängen.  

Mit Ihrem Erscheinungsbild fallen Sie auf. Als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft im Referendariat hat die Richterin Sie einmal für den Angeklagten gehalten. Haben Sie auch in Ihrem jetzigen Job Erfahrungen mit solchen Vorurteilen gemacht?  

Absolut. Es gibt 17 Anstalten in Hessen und jede ist anders. Ich habe sowohl positive als auch negative Erfahrungen gemacht. Ich habe einen sehr speziellen Charakter, ich bin jemand, der sich präsentiert und der seinen Sport nach außen hin verkörpert. Das eckt in einer behördlichen Struktur natürlich an. Die Behörden sind weitgehend noch sehr antiquiert, beispielsweise müssen Tattoos abgeklebt oder mit Stulpen verdeckt werden. Das ist bei der Polizei mittlerweile anders. Ich kann aber auch nur für den Vollzug sprechen, ich weiß nicht, wie das in anderen Behörden ist. 

"Ich schätze viel mehr im Leben" 

In den Jahren 2017 bis 2019 haben Sie dreimal die deutsche Strongman-Meisterschaft gewonnen.  Neben dem Job haben Sie aber auch die Sportart gewechselt: Jetzt sind Sie Bodybuilder und stehen auf der Bühne. Wieso haben Sie auch sportlich nochmal einen anderen Weg eingeschlagen? 

Wegen einer Rückenverletzung kann ich nicht mehr so extreme Gewichte heben, früher habe ich zum Beispiel LKW gezogen. Weil ich noch lange mit meinen Kindern herumtoben möchte, habe ich mich dazu entschieden, keine Strongman-Wettkämpfe mehr zu machen und mein Körpergewicht zu reduzieren. Ich bin ein Mensch, der immer ein konkretes Ziel braucht, eine neue Herausforderung. Einfach so abnehmen, um gesünder zu leben, funktioniert bei mir nur bis zu einem gewissen Grad. Deshalb habe ich mir einen Bodybuilding-Wettkampf herausgesucht und mich ein Jahr lang darauf vorbereitet. Ich finde es faszinierend, wie man durch Ernährung und Training seinen Körper verändern kann.  

Sie haben Ihr Gewicht von über 170 Kilogramm auf 130 Kilogramm reduziert, also sehr stark abgenommen und sich optisch verändert. Passiert dabei eigentlich auch etwas im Kopf? 

Wenn man so einen Weg einmal gegangen ist, schätzt man viel mehr im Leben. Man reflektiert sich selbst mehr, lernt sich besser kennen und wächst daran. Ich habe auch ein ganz anderes Verhältnis zu Lebensmitteln entwickelt. Früher habe ich mir im Eiscafé zehn Kugeln Eis bestellt oder im Restaurant drei Burger und das Essen gar nicht mehr genossen. Nach der Diät esse ich viel bewusster. Jetzt hole ich mir nur noch eine Kugel Eis, aber genieße das. Insgesamt geht es mir besser, nicht nur körperlich, sondern auch mental. Ich habe unheimlich viel zu mentaler Gesundheit und Leistungsfähigkeit gelernt. 

"Vorbereitung auf Bodybuilding-Wettkampf ist ein 24-Stunden-Job" 

Was nehmen Sie aus diesem Prozess für Ihren beruflichen Alltag mit? 

Auf meinem Weg habe ich vieles gelernt, was mir auch im Beruf hilft. Ich bin viel strukturierter geworden. Die Vorbereitung auf einen Bodybuilding-Wettkampf ist nicht einfach dreimal die Woche trainieren, sondern ein 24-Stunden-Job, sieben Tage die Woche. Ich erstelle mir Essenspläne, die ich immer wieder anpasse. Abends bereite ich meine Mahlzeiten für den nächsten Tag vor. Morgens stehe ich früh auf und mache einen schnellen Spaziergang. Das bringt mir unheimlich viel im beruflichen Alltag. Ich bin fokussierter geworden und nutze die Spaziergänge als kreativen Prozess, um meinen Gedanken Raum zu lassen. 

Mit so einer Struktur hat man viel mehr Zeit für alles. Jeder Tag hat 24 Stunden. Viele sagen, dass sie es nicht schaffen, zum Sport zu gehen, aber aus meiner Sicht kann man das mit Disziplin schon hinkriegen. Sechs Stunden schlafen, zehn Stunden Arbeit mit Anfahrt und Pause, und danach hat man immer noch acht Stunden. Diese kann ich für Sport, Zeit mit der Familie und Essensplanung verwenden. Und eine Stunde am Tag investiere ich gerne für etwas Neues wie eine neue Sprache oder ein Buch in einer neuen Fachrichtung. Ich habe mir jetzt einen Kurs in Mathe gebucht, weil ich Lust habe, meine Kenntnisse wieder auf Hochschulniveau zu bringen.  

Haben Sie schon einmal etwas nicht geschafft oder schon einmal Angst gehabt, etwas nicht zu schaffen? 

Nein, denn dafür müsste ich Scheitern ja als etwas Negatives auslegen. Ich bin ein äußerst positiver Mensch und verstehe Scheitern deswegen anders. In jedem Training scheitere ich, weil ich bis zum Muskelversagen trainiere. Aber so wachse ich und werde besser. Und das ist im Leben ja auch so. Wie oft muss ein Kind hinfallen, bevor es richtig laufen lernt? Nur wenn ich Fehler mache, kann ich daraus lernen. Wenn ich einen Beruf aufgebe, bin ich auch "gescheitert", aber ziehe daraus die Erkenntnis, dass das nicht der richtige Job für mich war. 

"RTL hat angerufen, weil sie mich bei YouTube gesehen haben" 

Sie sind nicht nur Jurist in der JVA und Bodybuilder, sondern auch als Strafverteidiger im "Strafgericht" mit Ulrich Wetzel bei RTL zu sehen. Wie kam es dazu? 

Das war tatsächlich Zufall. Der Schauspieler Hafþór Júlíus Björnsson, der bei "Game of Thrones" Gregor Clegane (genannt "Der Berg") spielt, hat mit mir Wettkämpfe gemacht und ist auch einmal stärkster Mann der Welt geworden. Er wohnt in Island und ist auf der Straße angesprochen worden, ob er nicht mal zum Filmset kommen will. Ähnlich war es bei mir auch: Ich habe einen Anruf bekommen, weil man mich bei YouTube gesehen hat und ich ja doch ein außergewöhnlicher Rechtsanwalt war. Die Schauspielerei macht mir viel Spaß. Die Arbeitsatmosphäre ist angenehm und es ist eine gute Abwechslung zum Alltag.  

Werden Sie auf der Straße oft erkannt? 

Ja, tatsächlich schon, gerade bei mir in der Gegend. Ich realisiere das oft gar nicht, meistens merken dann meine Frau, meine Kinder oder Freunde, dass andere Leute über mich reden. Auch Insassen haben mich erkannt und als "Herr Anwalt" angesprochen, aber sehr positiv. Jetzt ist mein Bart ab, den ich viele Jahre hatte, deshalb erkennen mich weniger Leute, aber daran werden sie sich gewöhnen müssen. 

Bei Ihnen hat sich allein in den letzten zwei Jahren viel verändert. Viele Menschen scheuen aber Veränderungen und haben Angst davor. Was können Sie diesen Menschen mit auf den Weg geben? 

Mein Motto ist "just do it". Wir denken viel zu viel über alles nach, lesen Bücher darüber, wie man glücklich wird. Ich finde es aber wichtig, einfach mal anzufangen. Viel zu viele Menschen gehen ihrem Beruf nach, aber leben eigentlich jeden Tag nur für den Feierabend, jede Woche für das Wochenende und arbeiten jahrelang für die Rente. Gerade für Juristen gibt es so viele Möglichkeiten. Wir sollten einen Job finden, der uns erfüllt und uns Spaß macht – und ansonsten etwas ändern.  

Vielen Dank für das Gespräch! 

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