Was kann man gegen den ReFa-Mangel machen?
Noch weniger junge Menschen als im Vorjahr entschieden sich 2021 dafür, die Ausbildung zum oder zur Rechtsanwaltsfachgestellten (kurz: ReFa) anzutreten – und das bei seit zwei Jahrzehnten stetig und schnell sinkenden Ausbildungszahlen. So entschieden sich nach den Angaben der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und der aktuellen Ausbildungsstatistik des Bundesinstituts für Berufsbildung (BiBB) im Jahr 2001 noch knapp 6.000 Menschen für die Ausbildung – im Jahr 2021 sind nur noch 2.570 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen worden, also sogar weniger als die Hälfte.
Wie kommt das? Dass Bürotätigkeiten nicht für jeden etwas sind, erklärt sich von selbst. Auch der Fachkräftemangel schlägt überall in Deutschland ein, nicht nur bei diesem Ausbildungsberuf, und der demografische Wandel ebenfalls. Es gibt einfach weniger junge Menschen, die überhaupt irgendeine Ausbildung aufnehmen könnten – und wollen. Dennoch: Während in anderen Betrieben und Bereichen nach dem coronabedingten "Loch" in 2020 wieder vermehrt ausgebildet wird und sich der Ausbildungsmarkt leicht entspannt hat, sinken die Ausbildungszahlen der ReFas unbeeindruckt weiter.
Scheitert es am Geld?
Aus irgendeinem Grund scheint also konkret die Arbeit in einer Kanzlei unattraktiv zu sein – und der erste Gedanke dabei: Was könnte naheliegender sein, als dass das Gehalt nicht stimmt? Das wäre eigentlich gut, denn dann wüsste man wenigstens, was zu tun ist. "Gehalt ist immer mal wieder ein Thema", weiß Ronja Tietje, Vorstandsmitglied bei der Vereinigung der Rechtsanwalts- und Notariatsangestellten e.V., dem Reno Bundesverband. Der derzeitige Arbeitnehmermarkt regele aber schon einiges. Auch der für ReFas zuständige Ausschuss beim Deutschen Anwaltverein (DAV) meint, dass die Vergütung inzwischen eher eine untergeordnete Rolle bei der Problematik spiele. Dr. Christoph Möllers, Vorsitzender des Ausschusses Berufsbildung bei der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), sieht das genauso: "Früher waren viele Rechtsanwälte sehr sparsam bei der Vergütung, das hat sich geändert". Die hohen Ausbildungsgehälter vom öffentlichen Dienst könne man aber auch nicht erwarten.
Letztendlich stößt man bei dem Problem zunächst auf eine ziemlich ernüchternde Erkenntnis: Kanzleien scheinen wirklich nicht die erste Wahl des Arbeitsortes junger Menschen zu sein. "Wir müssen damit leben, dass die jungen Menschen heutzutage anders sind als früher", so Tietje. Vielen Kanzleien falle es schwer, sie mitzunehmen und zu motivieren. Sie seien digitalaffin und legten mehr Wert auf eine Work-Life-Balance, als alle Generationen davor – zugleich seien sie aber "kritikunempfänglicher geworden und haben weniger Durchhaltevermögen", so Tietje. Darauf müsse man sich in jedem Unternehmen einstellen. Gerade konservativ geprägte Kanzleien hätten diesen Wandel nicht umgesetzt und scheiterten dann an ihren Mitarbeiterkompetenzen – das zeigte auch die Mail einer ReFa an die LTO-Redaktion, nach der Anwält:innen allgemein unter den ReFas als "schlechte Chefs" gelten.
Doch Tietje, die auch Kanzleicoach ist, verteidigt die Anwaltschaft ausdrücklich: "Am Ende des Tages erlernen Rechtsanwälte in ihrer Ausbildung das Recht – und nicht Unternehmensführung oder Personalmanagement. Woher sollen sie es also auch können?" Auch Anwälte bekämen von ihren Mitarbeitenden häufig keine Wertschätzung – "wie sollen sie die dann also selbst vermitteln können?", fragt sich Tietje. Schließlich hätten sie auch schlicht und einfach keine Zeit zur Unternehmensführung. "Sie müssen sich dabei also helfen lassen – ab zehn Berufsträgern in einer Kanzlei empfehle ich daher eine kaufmännische Leitung".
Das Problem des "Sich-so-wenig-wie-möglich-Festlegens"
Auch dem DAV zufolge hätten viele Anwält:innen inzwischen verstanden, dass ebenso Leistungen neben der eigentlichen Vergütung (Jobticket, Übernahme der Kosten für einen Platz in der Kindertageseinrichtung) die Attraktivität als Arbeitgeber erhöhen und Wertschätzung ausdrücken. Dass Anwält:innen "bessere Arbeitgeber" werden müssen, war bereits Thema bei einem DAV-Expertenforum 2019. Dennoch: "Wir haben es bisher noch nicht geschafft, das eisgraue und staubige Image von Kanzleien loszuwerden – dabei sind wir auch digitale Legal Tech-Unternehmen. Das müssen wir jedoch auch kommunizieren", so Tietje.
Ein weiterer Punkt, der für die jungen Menschen gegen den Beruf spricht: Sie wollen eine Perspektive haben, sich weiterentwickeln und beruflich aufsteigen können – sich so wenig wie möglich festlegen. So werde Tietje heutzutage auf Messen andauernd nach den Weiterbildungsmöglichkeiten gefragt. Für ReFas gibt es aber noch nicht so viele Möglichkeiten, wie in anderen Ausbildungsberufen.
Dabei ist im Jahr 2020 das neue Berufsbildungsgesetz in Kraft getreten, das auch neue Fortbildungsbezeichnungen eingeführt hat: Den geprüften Berufsspezialisten, den Bachelor Professional und den Master Professional. Dabei handelt es sich um keine Universitäts- und Hochschulabschlüsse, sondern um verschiedene Stufen der abgeschlossenen Fortbildung nach dem Abschluss eines Ausbildungsberufes. Sie sollen einerseits die Gleichwertigkeit mit akademischen Graden, andererseits aber auch die Praxisnähe eines Berufsabschlusses zum Ausdruck bringen. Viele andere Berufe mit Fachkräftemangel haben das schon umgesetzt. Beispielsweise kann ein Geprüfter Bankfachwirt nun den Titel Bachelor Professional of Banking (CCI) führen. Im Bereich der ReFas gibt es das noch nicht. Sie können zwar eine Weiterbildung zum Geprüften Rechtsfachwirt machen, der der Stellung eines Meisters und damit theoretisch der Fortbildungsstufe des Bachelor Professionals entspricht - aber den Titel Bachelor Professional können sie mangels entsprechender Prüfungsordnung nicht tragen.
Weiterbildungsreform in der "Pipeline"
Das soll sich nun ändern. Auch die BRAK und der DAV haben erkannt, dass die Weiterbildung der springende Punkt ist, um angehenden ReFas mehr bieten zu können. "Wir sind dabei, die Rechtsfachwirtverordnung zu renovieren und daraus eine Prüfungsordnung für einen Bachelor Professional zu machen", erzählt Möllers von der BRAK der LTO. Sie sei in der "Pipeline" und das Verfahren könne in sechs bis zwölf Monaten abgeschlossen sein. Auch in Bezug auf die unterste Fortbildungsstufe, den Berufsspezialisten, gebe es Überlegungen. So werde gerade diskutiert, eine Berufsspezialistenverordnung zu erarbeiten, die sich nach den Rechtsgebieten richtet, in denen die ReFas arbeiten. So könnte zum Beispiel eine ReFa, die im Insolvenzrecht arbeitet, einen Titel als Berufsspezialistin für Insolvenzrecht verliehen bekommen, erklärt Möllers.
Neben der Einführung von Weiterbildungsmöglichkeiten nach dem Berufsbildungsgesetz gibt es inzwischen in vielen Berufen, die früher als "klassische Ausbildungsberufe" zählten, duale Studiengänge. Im Gesundheitsbereich zum Beispiel hat man die Möglichkeit, den Beruf Physiotherapeut:in oder Pflegekraft dual zu erlernen– und so erscheint er auch für angehende Akademiker:innen attraktiver. In Baden-Württemberg ist bereits die Ausbildung zum oder zur Gerichtsvollzieher:in akademisiert worden – in Anbetracht des dortigen Nachwuchsmangels gibt es Forderungen, das auszuweiten. Im Bereich der ReFas gibt es noch kein duales Studium.
"Nicht nur reden – sondern umsetzen"
"Wir müssen uns an dieser Stelle fragen: Was soll das Ziel eines dualen Studiums in diesem Bereich sein? Anwalt oder Richter kann man damit nicht werden – es wäre also zunächst ein Konsens darüber zu finden, welche Positionen und Aufgaben die Absolventen eines dualen Studiums in der Welt der Kanzleien besetzen könnten.", so Möllers. Auch hier werde noch diskutiert, was auch der DAV bestätigt und unterstützt. Der Bundesverband der Wirtschaftskanzleien in Deutschland (BWD) überlege ebenfalls, die Gründung eines dualen Studiengangs anzustoßen, "in dem neben dem Stoff der Ausbildungen zur Rechtsanwaltsfachangestellten und zum Fremdsprachenkorrespondenten auch die für eine moderne Wirtschaftskanzlei notwendigen IT-Kenntnisse und Projektmanagementtools vermittelt werden", so Vorstandssprecher Stefan Rizor zur LTO.
Der Demografische- und der Generationenwandel, fehlende Weiterbildungsmöglichkeiten sowie ein Arbeitsumfeld mit unattraktivem Image – es wird schwer, den so wichtigen Beruf der ReFa vor dem Aussterben zu bewahren. Tietje als Interessenvertreterin der ReFas weiß das, ist aber trotzdem optimistisch: "Wir müssen das endlich gemeinsam angehen – und zwar nicht nur reden, sondern auch Entscheidungen treffen und umsetzen".
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2022 M06 30
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