Die Nibelungen schmettern, Rigoletto intrigiert und Tosca feilt am hohen C: Nach Monaten des musikalischen Leerlaufs hat die Opernsaison wieder begonnen. Leider endet mancher Musikgenuss disharmonisch. Richter entscheiden dann über den guten Ton im Musentempel.
Im Stadttheater von Aachen wurde Nabucco gegeben. Um Punkt 20.00 Uhr erhob der Kapellmeister den Taktstock. Verdi erklang, die Ouvertüre nahm ihren Lauf.
Wenige Minuten nach Beginn der Vorstellung hasteten ein Rheinländer und seine Gattin ins Vestibül. Mit Schweißperlen auf der Stirn verlangten die zu spät Gekommenen Einlass in den Zuschauerraum. Die Saalordner lehnten höflich, aber bestimmt ab. Laut Anordnung der Geschäftsleitung dürfe Nachzügler im Parkett und im ersten Rang erst in der Pause eingelassen werden.
Die Verdi-Fans zeigten wenig Verständnis. Nach einem, wie es später in den Gerichtsakten hieß, "Austausch von Unfreundlichkeiten" machten die Abgewiesenen auf dem Absatz kehrt und rauschten – Diven hätten es nicht besser machen können - von dannen.
Kein La-Ola-Effekt bei Verdi, Wagner & Co
Der Streit ums Vorspiel hatte ein Nachspiel. Die Abgewiesenen zogen vor den Kadi. Ihr Begehr: Erstattung des Eintrittsgeldes nebst Fahrtkosten.
Der offenkundig Opernkundige Richter wies die Klage ab. Nach "jahrhundertealter und internationaler Gepflogenheit" gelte in allen Opernhäusern der Welt der Grundsatz: "Vorhang auf, Tür zu. Im Gegensatz zu Kinoaufführungen sei es Opernbesuchern nicht zuzumuten, dass Nachzügler "geräuschvoll hinter dem Lichtkegel der Taschenlampe eines Platzanweisers hinterher stolperten" und so den aus Fußballstadien bekannten "La-Ola-Effekt" auslösen würden.
Die Kläger konterten, die störende Wirkung von zu spät Gekommenen sei unmittelbar nach Erklingen der Ouvertüre gering. Dem konnte sich der Richter nicht anschließen. Eine Differenzierung nach "dramaturgisch günstigen Momenten“, in denen Nachzügler "schubweise" eingelassen werden könnten, lehnte der Jurist ab. Den Ordnungskräften sei nicht zuzumuten, nachrückwürdige "tumultartige Szenen" bei Wagner-Opern von "andachtsvollen Darbietungen" etwa bei Bach-Oratorien zu unterscheiden (Amtsgericht Aachen, Aktenzeichen 10 C 529/96).
Streit um den Kunstgenuss gibt es nicht nur bei Zu-spät-Kommern. Auch wenn vorher angekündigte Gesangsstars kurzfristig ausgetauscht werden, kann das juristische Scharmützel auslösen.
Statt A-Klasse nur B-Promis
Tatort: Die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf. Mit einem reich mit Portraitaufnahmen der Sänger bebilderten Prospekt warb die Deutsche Oper im Sommer 1989 für ein "Sonderabonnement" für die Spielzeit 89/90.
Zwei befreundete Ehepaare kauften daraufhin für 350 Euro pro Nase Dauerkarten für jeweils sieben Aufführungen. Groß war wenig später die Enttäuschung, als sich herausstellte, dass viele der angekündigten Stars kurzfristig vor der Aufführung durch deutlich weniger bekannte Namen ausgetauscht wurden. Als am Ende des Abos in sechs der sieben Vorstellungen jeweils einer der Hauptdarsteller weggebelieben war, verlangten die vier Kunden insgesamt 304,20 Euro des gezahlten Abonnement-Preises von 1400 Euro zurück.
Vor Gericht hatten die Kunstliebhaber Erfolg. Da die Oper in ihren Werbematerialien ausdrücklich mit Bild- und Textbeiträgen mit den bekannten Stars für das Sonderabo geworben habe, sei deren tatsächlicher Auftritt für die Kunden ein wesentlicher Faktor für ihre Kaufentscheidung gewesen. Wenn anschließend Ersatzkünstler aufträten, die "überwiegend" nicht gleichwertig seien, sei eine Preisminderung von knapp einem Viertel gerechtfertigt (Amtsgericht Düsseldorf, Aktenzeichen 43 C 2563/90).
Drei Freundinnen in der Arena von Verona
Drei Freundinnen aus der Gegend von Frankfurt am Main wollten sich einen Traum erfüllen: Einmal in der Arena von Verona eine Aufführung von Nabucco live miterleben. Die Damen wollten es sich einfach machen: Statt mühselig selbst die Karten zu bestellen, übergaben sie alles einem Reisebüro. Dieses versprach, den Opernbesuch "rundherum" zu organisieren.
Leider hielt die Agentur nicht, was sie versprach: Anstatt wie vereinbart die Tickets im Hotel vorzufinden, mussten die drei Hessinnen kurz vor der Aufführung an die Abendkasse hetzen. Die drei Plätze lagen zudem nicht neben einander.
Dem Amtsgericht Bad Homburg waren diese Patzer des Reisebüros eine Preisminderung um ein Viertel wert. Dass gemeinsam buchende Freunde auch zusammen sitzen wollen, so der Richter, sei selbstverständlich. Wer über ein Reisebüro mit speziellen Opern-Service buche, müsse sich zudem nicht mit stundenlangem Anstellen kurz vor der Aufführung abspeisen lassen (Amtsgericht Bad Homburg, Aktenzeichen 2 C 33/02-15).
Der Verfasser Dr. Uwe Wolf ist Jurist und freier Autor in Düsseldorf.
Uwe Wolf, Zoff bei Nabucco: . In: Legal Tribune Online, 04.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1624 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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