2/2: Missbrauch durch "AGG-Hopper"
LTO: Eine weniger erfreuliche Entwicklung haben Sie bei Einführung des Gesetzes schon vorhergesagt: Das AGG-Hopping, also das gezielte Bewerben auf Stellen mit dem alleinigen Ziel, nach einer Ablehnung wegen Diskriminierung zu klagen. Ihre Kanzlei hatte zum Inkrafttreten des AGG 2006 eine Website gestartet, auf der Unternehmen Personen melden konnte, die AGG-Hopping betreiben. Was ist daraus geworden?
Diller: Wir haben das AGG-Archiv am 16. August 2009, fast auf den Tag genau drei Jahre nach seiner Errichtung, eingestellt. Wir hatten damals erhebliche Diskussionen mit den Datenschutzbehörden über die zulässige Ausgestaltung des Archivs. Das wurde für uns als Kanzlei dann irgendwann zu viel Aufwand.
LTO: Der wohl bekannteste AGG-Hopper, ausgerechnet ein Rechtsanwalt, hat es nun bis vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) geschafft. Osborne Clarke und Flick Gocke Schaumburg haben sich gegen den Münchner Anwalt gewehrt. Wie beurteilen Sie den Fall?
Diller: Gottseidank hat der EuGH die Position des BAG bekräftigt, dass AGG-Hopping missbräuchlich ist und keine Entschädigungsansprüche begründet.
LTO: Hatten Sie bei Gleiss Lutz auch Fälle des AGG-Hoppings?
Diller: Nicht in dem Sinne, dass wir mit Entschädigungsforderungen konfrontiert worden wären. Wir hatten aber einige skurrile Bewerbungen, bei denen der Verdacht aufgekommen ist. Unsere Lösung war genau die, die wir auch den Mandanten in diesen Fällen raten: Wir haben die Bewerber eingeladen – und sie sind bei uns gar nicht erst zum Gespräch erschienen. Nach einem Vorstellungsgespräch kann man eine Absage rechtssicher damit begründen, dass der Bewerber keinen überzeugenden Eindruck gemacht hat.
Skurrile Blüten des Gesetzes
LTO: Auch der erste Diskriminierungsfall, der im Kontext des AGG in der Szene der wirtschaftsberatenden Kanzleien je nach Position der Anwälte für Heiterkeit oder Unmut sorgte, hatte mit Anwälten zu tun. Die Mangold-Entscheidung. Wie sehen Sie solche Fälle?
Diller: Das war ein skurriler Fall und hat tatsächlich für viel Gesprächsstoff unter den Anwälten gesorgt. Ein Münchner Anwalt, der speziell für die Beratung von Arbeitnehmern bekannt ist, hatte einen Gewerkschaftler mit einer Befristung nach § 14 Abs. 3 Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) angestellt. Der Gewerkschaftler hat den Anwalt mit einer befreundeten Kanzlei dann wegen Altersdiskriminierung verklagt, die Sache ging bis vor den EuGH, der die Regelung des TzBfG dann für unwirksam erklärte (Urt. v. 22.11.2005, Az. C-144/04), da sie gegen die EU-Richtlinie verstieß. Das war kurz vor Inkrafttreten des AGG. Beobachter hatten den Anwälten damals unterstellt, das Verfahren sei konstruiert worden, um die Unwirksamkeit der Regelung feststellen zu lassen.
Aber das Gesetz treibt viele Blüten: Nehmen Sie den Fall der nur bei Männern bestehenden Mützenpflicht von Piloten oder der unterschiedlichen Anforderungen an die Körpergröße von Piloten bei Männern und Frauen. Schön ist auch der aktuelle Fall des "Mohrenkopfs" in der Kantine .Was hätte der Gekündigte denn sagen sollen – ich hätte gerne einen Schaumkuss mit Migrationshintergrund? In diesem Fall hat das Gericht die ausgesprochene Kündigung ja immerhin für unwirksam erklärt.
Die Fälle zeigen, dass das AGG viele Überreaktionen erzeugt hat, die von den Gerichten zum Glück in eigen Fällen korrigiert wurden. Man sollte auch beim Diskriminierungsschutz die vielzitierte Kirche im Dorf lassen.
LTO: Herr Diller, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Tanja Podolski.
Dr. Martin Diller ist seit 1996 Partner bei Gleiss Lutz in Stuttgart, von 2000 bis 2007 war er Managing Partner der Sozietät. Martin Diller ist Fachanwalt für Arbeitsrecht.
Tanja Podolski, Zehn Jahre Antidiskriminierungsgesetz: . In: Legal Tribune Online, 18.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20320 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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