Sinnvolles, Skurriles und Ärgerliches hat das AGG hervorgebracht. Am 18. August wird es zehn Jahre alt. Gleiss Lutz-Partner Martin Diller fand beim Inkrafttreten klare Worte: "Unser Land hätte das Gesetz nicht gebraucht."
LTO: Herr Diller, vor zehn Jahren haben Sie mir zum Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) gesagt: "In einem Land, in dem der Bundeskanzler eine Frau ist, ein Minister im Rollstuhl sitzt und sich die Bürgermeister von Hamburg und Berlin als schwul outen, ist das AGG so ungefähr das letzte, was unser Land braucht." Wie sehen Sie das Gesetz heute?
Dr. Martin Diller: Ähnlich. Schon vor der Verabschiedung des AGG war klar, dass man – egal ob in der Arbeitswelt oder sonst wo – keinen Menschen wegen seiner sexuellen Orientierung, seiner Rasse oder seiner Religion benachteiligen darf. Vielleicht bringt das Gesetz diesen Gruppen noch mal Unterstützung, das klarzustellen. Gebraucht haben sie das AGG dafür aber nicht. Das Gesetz hat also vor allem Aufwand, Belastung und Unruhe gebracht.
LTO: Wo liegt Ihre konkrete Kritik?
Diller: Das zentrale Problem ist die Altersdiskriminierung; das Gesetz hat die Welt insofern auf neue Füße gestellt. Vor dem Inkrafttreten war es allgemeine Überzeugung, dass Arbeitgeber älteren Mitarbeitern Vorteile zukommen lassen können, z.B. zusätzliche Urlaubstage. Gab es in einem Betrieb grundsätzlich 30 Tage Urlaub, so war es problemlos möglich, dass Mitarbeiter ab 45 Jahren dann 32 Tage, ab 55 Jahren sogar 34 Urlaubstage bekamen. Ich schätze, dass 90 Prozent der Bevölkerung dazu einfach nur sagen würden, das sei nett. Heute muss man sich für diese Ungleichbehandlung der jungen Arbeitnehmer aber rechtfertigen und einen sachlichen Grund darlegen. Die Idee der Arbeitgeber war vor der Einführung des AGG, mit solchen Sonderrechten die Älteren zu schützen. Heute muss der Arbeitgeber aufpassen, die Jüngeren nicht zu benachteiligen. Das ist in den USA übrigens anders, dort geht es nur um den Schutz der Alten. Bei der Altersregelung hat der Gesetzgeber immerhin einen Weichspüler eingefügt: Dort reichen "objektive und angemessene Gründe" zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung; das ist im Vergleich zu den anderen Diskriminierungstatbeständen eine gewisse Relativierung.
"Verbandsklagerecht wäre Beschäftigungsprogramm für Anwälte"
LTO: Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat unlängst einen Evaluationsbericht vorgestellt. Demzufolge hat in den vergangenen zwei Jahren fast jede / jeder Dritte Fälle von Diskriminierung erlebt – trotz des AGG…
Diller: Bei solchen Aussagen muss man immer erst einmal prüfen, was die verwendeten Begriffe bedeuten. Wenn als "Diskriminierung" schon gewertet wurde, dass eine blonde Frau am Arbeitsplatz einen Blondinenwitz gehört hat, stimmen die Zahlen sicher. Aber deswegen muss man nicht gleich Gesetze ändern. Es überrascht mich nicht, dass die Antidiskriminierungsstelle des Bundes meint, man müsse mehr gegen Diskriminierung tun. Wahrscheinlich hat es noch nie eine Behörde gegeben, die gesagt hat, ihre Arbeit sei überflüssig.
LTO: Zu den zentralen Forderungen des Berichts zählt eine Verlängerung der Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen nach dem AGG von zwei auf sechs Monate sowie ein Verbandsklagerecht für die Antidiskriminierungsverbände, damit diese Prozesse anstelle der Betroffenen führen können. Wie beurteilen Sie diese Vorschläge?
Diller: Mit der Verlängerung der Frist hätte ich überhaupt kein Problem. Sie spielt in der Praxis keine Rolle. Ansprüche werden entweder sofort geltend gemacht oder gar nicht. Vor einem Verbandsklagerecht für Antidiskriminierungsverbände kann man allerdings nur dringend warnen. Das wäre ein Beschäftigungsprogramm für Anwälte, die sofort selbst solche Verbände gründen und dann jeden Arbeitgeber wegen allem verklagen würden. Das ist völlig risikolos möglich, weil es vor dem Arbeitsgericht keine Kostenerstattung gibt.
Kulturwandel in den Kanzleien: AGG als Ursache oder als Folge?
LTO: Der Bericht schlägt außerdem vor, den Schutz vor sexueller Belästigung, den das AGG derzeit nur im Kontext von Arbeitsverhältnissen gewährt, auch auf andere Lebensbereiche – beispielsweise das Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter – auszudehnen. Besteht dafür angesichts der jüngsten Ausweitung des Sexualstrafrechts, die auch Fälle minderer Intensität erfasst, überhaupt noch eine Notwendigkeit?
Diller: Wir leben in Deutschland in dem Wahn, dass man jedes Problem dadurch lösen kann, dass man irgendetwas verbietet oder unter Strafe stellt. "Gesetz erlassen – Problem gelöst!", so denken leider die meisten Politiker. Das AGG immer weiter auszudehnen und vor allem die Sanktionen auszubauen, wird die Probleme nicht lösen. Wollen wir wirklich eine Gesellschaft, in der Männer aus Angst vor einer Klage nicht mehr allein zu einer Frau in den Aufzug steigen?
LTO: Vor zehn Jahren war es in Kanzleien noch üblich, dass Teilzeitmöglichkeiten auf weibliche Mitarbeiter beschränkt waren, Sabbaticals gab es nur für Partner ab einem bestimmten Alter. Heute gibt es in einigen Kanzleien Gruppen, in denen sich etwa Menschen mit besonderer sexueller Orientierung zusammenfinden, es gibt spezielle Veranstaltungen und Coachings für weibliche Anwälte, Teilzeit ist für alle möglich – all das unterstützt von den Managements der Kanzleien. Hat das AGG da nicht auch Gutes gebracht?
Diller: Nun, zunächst einmal ist ja die Frage, ob das AGG in einer Kanzlei im Verhältnis der Partner untereinander überhaupt gilt. Ich weiß natürlich, dass Kollegen das anders sehen, aber meiner Ansicht nach gilt es ganz sicher nicht. Zwar ist noch der Zugang zu selbstständiger Arbeit von dem Gesetz erfasst, der Umgang von gleichberechtigten Partnern miteinander aber nicht. Das ist meiner Ansicht nach folgerichtig, weil wir Partner nicht in einem Über-/Unterordnungsverhältnis stehen, wie es im Arbeitsverhältnis der Fall ist. Das Schutzbedürfnis ist insofern ein ganz anderes. In Bezug auf die Associates ist das natürlich anders, die stehen ja in einem normalen Arbeitsverhältnis. Tatsächlich hat sich dort vieles verändert. Ich glaube aber nicht, dass das AGG der Grund oder auch nur der Impuls für diese Entwicklung war. Associates haben heute andere Prioritäten und dieses Gesetz ist wohl kaum der Ursprung für ihre veränderten Werte. Eine Teilzeit-Regelung nur für weibliche Partner, wie sie viele Kanzleien früher noch hatten, wäre inzwischen schlichtweg nicht mehr zeitgemäß. Ob die Männer von diesem Recht jedoch auch Gebrauch machen, ist dann wieder eine andere Frage. Wobei das gar nicht schlecht wäre: Viele Unternehmen haben mittlerweile erkannt, dass die Teilzeitmitarbeiter nicht mit der Kaffeetasse durchs Haus laufen, sondern konzentrierter und effizienter arbeiten.
Tanja Podolski, Zehn Jahre Antidiskriminierungsgesetz: . In: Legal Tribune Online, 18.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20320 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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