Drohendes EU-Vertragsverletzungsverfahren: FDP und Grüne streiten weiter über neue Ver­bands­klage

von Hasso Suliak

17.02.2023

Bis zum 25. Dezember hätte Deutschland die EU-Verbandsklagerichtlinie umsetzen müssen. Die Frist wurde gerissen, weil BMJ und BMUV sich uneins sind. Immerhin: Der Gesetzentwurf wurde jetzt an die Verbände geschickt.

Manchmal ist allein der Versand eines seit Monaten in der Schublade befindlichen Gesetzentwurfs – der eigentlich auch längst in der Öffentlichkeit die Runde gemacht hatte – Grund genug für zuständige Fachpolitiker, um sich zu freuen. Der seit September 2022 vorliegende Referentenentwurf aus dem Haus von Marco Buschmann (FDP) zur sog. Abhilfeklage, mit dem die Europäische Verbandsklagerichtlinie (2020/1828) umgesetzt werden soll, ging am Donnerstag an die Länder und Verbände, die nun dazu Stellung nehmen können. Das bejubelte am Freitag die rechtspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Katrin Helling-Plahr in einem Pressestatement: "Mit dem Instrument der Verbandsklage stärken wir Verbraucherrechte und entlasten die Justiz. Während Verbraucher nach gesammelter Feststellung ihres Anspruchs derzeit erneut einzeln das Gericht aufsuchen müssen, um zu ihrem Recht zu kommen, soll künftig ein Verband ihre gesammelten Rechte nicht nur feststellen lassen, sondern auch geltend machen dürfen."

Mit seinen Plänen, auf dem bewährten Modell der Musterfeststellungsklage aufzubauen, bleibe Bundesjustizminister Buschmann den Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag treu und setze auf eine faire und ausgewogene Balance, so Helling-Plahr.

Umweltministerin Lemke "erlaubt" Veröffentlichung des Gesetzentwurfs

Was die FDP-Politikerin indes bei der Lobpreisung ihres Bundesjustizministers verschweigt: Von einer Einigung innerhalb der Koalition kann überhaupt keine Rede sein. Das FDP-geführte BMJ und das "grüne" BMUV streiten weiter über wichtige Details des vorgelegten Entwurfs. Auch wenn einige Presseberichte zuletzt suggerierten, Umweltministerin Steffi Lemke und Marco Buschmann seien sich schon so gut wie einig.

Richtig ist vielmehr: Nur ein drohendes EU-Vertragsverletzungsverfahren hat das BMJ jetzt dazu veranlasst, den in der Ampel umstrittenen Uralt-Entwurf für die sog. "Verbändeanhörung" zu versenden*. Hierzu gab Buschmanns Kabinettskollegin, Verbraucherministerin Lemke letztlich ihr "OK", nachdem sie zuvor über Monate einer Versendung widersprochen hatte. Der Hintergrund: Die Koalition steht bei dem Vorhaben unter enormen Zeitdruck: Eigentlich hätte Deutschland bis zum 25. Dezember 2022 die EU-Verbandsklagerichtlinie umsetzen sollen, jedenfalls aber müssen die entsprechenden Vorschriften spätestens am 25. Juni 2023 in Kraft treten.

Dass nur das drohende Vertragsverletzungsverfahren, aber keine inhaltlichen Zugeständnisse die grüne Ministerin dazu bewogen hat, Buschmann den Versand des umstrittenen Entwurfs zu erlauben, bestätigt der in der grünen Bundestagsfraktion für das Thema zuständige ehemalige Hamburger Justizsenator und Bundestagsabgeordnete Till Steffen: "Da in der Ressortabstimmung keine Einigung erzielt wurde, hat man sich nunmehr in Anbetracht des Zeitdrucks, dazu entschieden, den Entwurf zu versenden und die wichtigsten Punkte explizit streitig zu stellen." Aus dem BMUV heißt es ebenfalls: "In der Sache haben wir noch erheblichen Dissens."

BMJ-Entwurf zu unternehmerfreundlich?

Verwunderlich ist, dass es offenbar bis heute noch zu keinem finalen Klärungsgespräch zwischen Buschmann und Lemke gekommen ist. Offenbar wird weiter nur auf der Fachebene diskutiert. Im Grundsatz geht es um die Frage: Wie verbraucherfreundlich soll das künftige "Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG)" sein? Die Grünen werfen Buschmanns Haus vor, einen zu unternehmensfreundlichen Entwurf vorgelegt zu haben, der einem umfassenden Verbraucherschutz nicht gerecht werde. Für das BMUV, so ein Sprecher des Ministeriums gegenüber LTO am Freitag, sei entscheidend, dass die EU-Vorgaben auch wirklich verbraucherfreundlich umgesetzt würden. Buschmanns Entwurf berücksichtige die Interessen der Verbraucher:innen noch nicht ausreichend.

Dass Buschmann in seinem Entwurf jedenfalls in gehörigem Maße auch die Interessen der Unternehmen im Blick hatte, bestätigt FDP-Politikerin Helling-Plahr in ihrer Bewertung indirekt: "Ebenfalls nicht vergessen dürfen wir die Rechte der Unternehmer, die sich auf Beklagtenseite keiner Vielzahl willkürlich eingereichter Sammelklageandrohungen gegenübersehen dürfen. Zu jeder Klage gehören immer mehrere Seiten - das sollten wir bei der weiteren Debatte nicht aus dem Blick verlieren."

Von Deutschland gefordert wird von der EU u.a. die Einführung einer neuen Abhilfeklage, die – anders als die bisherige Musterfeststellungsklage – nicht auf bloße Feststellung, sondern auf Leistung gerichtet ist. Qualifizierte Verbände und Verbraucherzentralen sollen mit dieser Klagemöglichkeit die Ansprüche von Verbraucher:innen und kleinen Unternehmen bündeln, um dann von den verklagten Unternehmen Schadensersatz oder sonstige Abhilfe zu fordern.

Diverse offene Streitpunkte, etwa beim Opt-In-System

Gestritten wird nunmehr über die konkrete Ausgestaltung des neuen Instruments: Zum Beispiel geht es um die klagebefugten Verbände. Hier kritisiert der Grüne MdB Steffen den BMJ-Entwurf als "zu eng": "Hinsichtlich der klagebefugten Verbände müssen wir sicherstellen, dass die Voraussetzungen für inländische Verbände nicht schärfer sind als für ausländische. Denn für grenzüberschreitende Klagen sind die Vorgaben für das Klageregister vollharmonisiert. Eine Inländerdiskriminierung der deutschen klagebefugten Verbände würde den Justizstandort Deutschland schwächen. Es kann außerdem auch nicht im Interesse der deutschen Unternehmen sein, eher aus dem Ausland verklagt zu werden als von inländischen Verbänden."

Ein weiterer Knackpunkt ist die Frage, zu welchem Zeitpunkt sich Verbraucher:innen für die neue Verbandsklage anmelden müssen. Der Entwurf sieht wie bei der Musterfeststellungsklage ein Opt-In System vor. Danach müssen Verbraucher:innen ihre Ansprüche spätestens am Tag vor der ersten mündlichen Verhandlung zum Verbandsklageregister anmelden. Damit berücksichtigt Buschmanns Entwurf das Bedürfnis potenziell beklagter Unternehmen nach frühzeitiger Rechtssicherheit.

Den Grünen geht das gegen den Strich: "Wir plädieren für einen späteren Zeitpunkt als im Entwurf vorgesehen. Eine frühe verbindliche Anmeldung für ein Verfahren mit ungewissen Ausgang wird die Zahl der Individualklagen in die Höhe treiben", befürchtet Steffen. Seine Sorge: Nur rechtsschutzversicherte Verbraucher:innen würden sich bei einem frühen Opt-In für eine Einzelklage entscheiden. Dann aber verfehle die Verbandsklage ihren Zweck, so Steffen. Die Forderung der Grünen: "Wir wollen es ermöglichen, bestehende Ansprüche auch noch während des Verfahrens oder sogar noch nach einem Urteil anzumelden."

Unterschiedliche Vorstellungen beim Quorum und der Verjährung

Weitere Streitpunkte zwischen FDP und Grünen betreffen die Frage des benötigten Verbraucherquorums sowie die der Verjährung.

Steffen erläutert: "Im Entwurf ist ein Quorum von 50 Betroffenen vorgesehen. Dies halten wir für zu hoch." Schließlich sei es in der Praxis manchmal schwierig, 50 Verbraucher:innen zu finden, die von exakt demselben Sachverhalt betroffen seien. Ein Problem stelle sich z.B. dort, wo ein Unternehmen rechtswidrige AGB in unterschiedlichen Ausführungen verwende. Verwende das Unternehmen z.B. fünf rechtswidrige AGB müssten nach dem BMJ-Entwurf für jede dieser fünf AGB mindestens 50 betroffene Verbraucher:innen gefunden werden. "Hier bedarf es entweder einer Senkung des Quorums oder aber einer Klarstellung im Gesetz, dass Untergruppen zusammengezählt werden", fordert Steffen.

Auch bei der Frage der Verjährung gehen die Meinungen von Gelb und Grün auseinander. Der Entwurf sieht vor, dass eine hemmende Verjährungswirkung nur für diejenigen eintritt, die sich frühzeitig für eine Klage entschieden haben. Angelehnt ist dieser Ansatz an die Rechtslage bei der Musterfeststellungsklage. Dagegen wollen die Grünen, dass die Verjährungshemmung für alle Betroffenen ab Klageerhebung gilt. Denn: Als "betroffen" im Sinne der EU-Richtlinie seien alle diejenigen anzusehen, die z.B ein fehlerhaftes Produkt gekauft oder rechtswidrige AGB unterschrieben hätten. Auf die Anmeldung zur Klage soll es nach Ansicht der Grünen nicht ankommen.

Wenn es nicht voran geht, drohen Sanktionen

Justizminister Buschmann ist von dieser Interpretation indes nicht überzeugt – wohl auch mit Blick auf die Interessen der Unternehmen: "Es muss zeitliche Grenzen geben, in denen man seine Ansprüche geltend machen muss. Das gebietet das Prinzip der Gerechtigkeit. Die im Entwurf vorgesehene Verjährungsregelung ist deshalb wichtig", sagte er am Donnerstag.

Wie es nun in dem Konflikt zwischen BMUV und BMJ weitergeht? Im Zuge der anstehenden Befassung der Ressorts und Öffentlichkeit würden die strittigen Punkte nun diskutiert, heißt es aus dem BMUV. Von Seiten der FDP heißt es: "Die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag sind eindeutig. Bei nochmaliger Lektüre müsste auch die Umweltministerin zu diesem Schluss gelangen", so Rechtspolitikerin Helling-Plahr gegenüber LTO.

Wie auch immer: Zunächst ist jetzt externer Sachverstand gefragt, um den Streit innerhalb der Ampel zu schlichten - und um Deutschland eine Verurteilung wegen Verletzung europäischen Rechts zu ersparen. Die Zeit drängt: Setzt ein EU-Staat nach Auffassung der Kommission EU-Recht nicht fristgerecht in nationales Recht um, kann die Kommission den Europäischen Gerichtshof anrufen, damit dieser Sanktionen gegen den betreffenden EU-Staat verhängt.

*Anm.der Redaktion: Präzisiert am Tag des Erscheinens um 17.27 Uhr

Zitiervorschlag

Drohendes EU-Vertragsverletzungsverfahren: . In: Legal Tribune Online, 17.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51098 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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