3/3: Das anstehende EuGH-Urteil zum subsidiären Schutz
Aktuell ist das BVerwG mit der Frage befasst, ob seine Lesart der GFK nach Maßgabe der Asyl-Qualifikations-Richtlinie auch für subsidiär Schutzberechtigte gilt. Dieses Mal rief das BVerwG den EuGH an, obgleich Art. 33 der Richtlinie recht eindeutig vorgibt, dass für Konventionsflüchtlinge und subsidiär Geschützte dasselbe Freizügigkeitsregime gelten soll. Anders formuliert: Wenn das BVerwG meint, dass eine Wohnsitzauflage bei Sozialhilfebezug für Flüchtlinge unzulässig ist, besteht kaum ein Zweifel, dass dasselbe für den subsidiären Schutz gelten soll.
Tatsächlich kam Generalanwalt Cruz Villalón in seinen Schlussanträgen vom 6. Oktober 2015 zu diesem Ergebnis und es wäre keine Überraschung, wenn das anstehende EuGH-Urteil im Frühjahr 2016 dasselbe verkündete (EuGH, Alo & Osso, C-443/14 & C-444/14). Es wäre dies jedoch vor allem eine Aussage zur notwendigen Gleichbehandlung von Flüchtlingen im Sinne der GFK sowie von Personen mit subsidiärem Schutz. Ein solches Urteil bedeutete, dass beide Gruppen bei einer künftigen Wohnsitzauflage gleich behandelt werden müssten.
Entscheidend wird sein, ob der EuGH über die Gleichbehandlung hinaus noch weitergehende Hinweise zur möglichen Rechtfertigung für die Einschränkung von GFK-Rechten tätigt. So könnte das Urteil einen Hinweis enthalten, dass die deutsche Lesart der Inländergleichbehandlung bei der öffentlichen Fürsorge falsch ist, weil Wohnsitzauflagen vorrangig an der Freizügigkeitsgarantie zu messen sind. Wohnsitzauflagen wären dann – entgegen der Meinung des BVerwG – prinzipiell auch bei einem Sozialleistungsbezug möglich.
Notwendigkeit einer praxistauglichen Neuregelung
Erfahrungsgemäß haben gesetzliche Neuregelungen nur dann einen greifbaren Einfluss auf die Verwaltungspraxis, wenn sie mit vertretbarem Aufwand umgesetzt und notfalls auch durchgesetzt werden können. Dieses Phänomen konnte man in den letzten Jahren wiederholt beobachten, etwa beim Ausweisungsrecht oder bei der Abschiebung, wo die Vorgaben europäischer Gerichte immer wieder dazu führten, dass der Gesetzesvollzug nachhaltig erschwert wurde.
Vor diesem Hintergrund ist für die Praxistauglichkeit zentral, an welche Kriterien eine Wohnsitzauflage anknüpfen kann. Wenn die Auslegung im BVerwG-Urteil von 2008 fortbesteht, müsste andere Anknüpfungspunkte als der Sozialleistungsbezug gewählt werden, etwa der fehlende Integrationskurserfolg oder ein zu geringes Sprachniveau. So würde Flüchtlingen auch ein Anreiz gegeben, die Integrationsangebote zu nutzen – und die Aufhebung der Wohnsitzauflage im Erfolgsfall könnte ein wichtiger Inhalt einer möglichen Integrationsvereinbarung sein.
Für den Verwaltungsvollzug wird sehr viel davon abhängen, ob der EuGH eine pauschale Rechtfertigung anerkennt oder – dann deutlich strenger – eine Einzelfallprüfung einfordert. Letzteres würde die Praxistauglichkeit deutlich reduzieren, weil dann die Ausländerbehörden in jedem Einzelfall eine ausführliche Begründung schreiben müssten, die vor Gericht mit Blick auf die besonderen Umstände jeder Einzelperson überprüft werden könnte.
Verstöße gegen Residenzpflicht müssten auch geahndet werden
Um vor den Gerichten bestand zu haben, sollte eine Wohnsitzauflage die Freizügigkeit möglichst wenig einschränken. So könnte man nur negativ verbieten, in bestimmten „belasteten“ Orten einen Wohnsitz zu nehmen. Die Freizügigkeit wäre grundsätzlich gewährleistet und nur der Zuzug in bestimmte Städte oder Landkreise untersagt. Gerade eine solche negative Pflicht müsste im Zweifel aber auch vollzogen werden, zumal die Flüchtlingsregistrierung zeigt, dass die Betroffenen den zugewiesenen Aufenthaltsort teils einfach verlassen.
Ganz ähnlich scheiterte bereits in den siebziger Jahren eine von den Bundesländern verhängte Zuzugssperre für „überlastete Siedlungsgebiete“ mit einem Ausländeranteil von mehr als 12 %, etwa Berlin-Kreuzberg, am fehlenden Vollzug in Fällen der Zuwiderhandlung. Hier könnte den Sozialleistungen eine Schlüsselrolle zukommen, weil der Vollzug deutlich erleichtert würde, wenn man diese nur an bestimmten Orten beantragen könnte.
Damit schließt sich der Kreis, weil die Zulässigkeit einer entsprechenden Einschränkung beim Sozialleistungsbezug letztlich davon abhinge, ob die deutsche Lesart der Inländergleichbehandlung bei der öffentlichen Fürsorge nach Art. 23 GFK durch das BVerwG aufgegeben würde. Denkbar ist dies durchaus, weil die Regelungen zur Freizügigkeit in der Genfer Flüchtlingskonvention weitergehende Einschränkungen zulassen.
Prof. Dr. Daniel Thym, LL.M. ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht mit Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz und Kodirektor des dortigen Forschungszentrums Ausländer- und Asylrecht (FZAA).
Daniel Thym, Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge: . In: Legal Tribune Online, 14.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18137 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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