Schöne Bescherung: Gut 2.000 Gefangene dürfen sich in Deutschland über ein Weihnachtsfest in Freiheit freuen. Doch was großzügig klingt, ist manchmal auch nur ein Strafrabatt von wenigen Tagen, überdies geknüpft an strenge Voraussetzungen.
Weihnachtsamnestie, Gnadenerlass oder einfach nur vorzeitige Haftentlassung: Bis zu 2.000 Gefangene werden auch in diesem Jahr die anstehenden Feiertage mit der Familie oder Freunden verbringen dürfen, obwohl ihr ursprüngliches Haftende eigentlich erst später käme. Grund dafür sind Regelungen in den Bundesländern, von denen Gefangene profitieren, deren Haftende zumeist zwischen November und Januar fällt. Eine vorzeitige Entlassung ist in der Regel nur bei guter Führung möglich und variiert auch ansonsten von Bundesland zu Bundesland.
Die meisten Gefangene werden in Nordrhein-Westfalen (NRW) von einer vorzeitigen Haftentlassung profitieren. Nach vorläufigem Stand sind bisher 522 Gefangene aus Anlass des Weihnachtsfestes 2019 früher entlassen worden und es könnten noch weitere hinzukommen. Die Vollstreckungsbehörden des Landes sind angewiesen, bis Mitte Februar 2020 die Zahl der vorzeitig Entlassenen abschließend mitzuteilen.
Grundlage für die Entlassungen ist eine sogenannte Rundverfügung des NRW-Justizministeriums vom Juli. Danach konnten bereits am 13. November Gefangene entlassen werden, deren Haftende eigentlich erst in der Zeit vom 14. November 2019 bis zum 6. Januar 2020 ansteht. Allerdings gilt das nicht für alle: Nicht in den Genuss vorzeitiger Entlassung kommen Strafgefangene, die eine Freiheitsstrafe oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren wegen vorsätzlicher Straftaten oder eine Freiheitsstrafe oder Jugendstrafe wegen Sexualstraftaten zu verbüßen hatten.
Tradition in Niedersachsen und Baden-Württemberg
Ähnliches gilt auch in Hessen: Dort wurden bislang 46 Gnadenerweise aus Anlass des Weihnachtsfestes gewährt. Nach Angaben des hessischen Justizministeriums entspricht dies 979 im Gnadenwege erlassenen Tagen, d.h. durchschnittlich 21 Tage Haftrabatt pro freigelassenem Gefangenen. Auch in Hessen sind insbesondere Sexual- und Gewalttäter sowie Personen, die längere Haftstrafen verbüßen oder während deren Haft es zu Vorkommnissen kam, von der Weihnachtsamnestie ausgenommen.
Apropos "Amnestie": In den meisten Justizministerien der Länder mag man diesen Begriff so gar nicht und verweist darauf, dass er zwar umgangssprachlich gerne benutzt werde, juristisch aber nicht so ganz richtig sei. "Es handelt sich nicht um eine Amnestie im rechtlichen Sinne. Vielmehr ist jeder in Betracht kommende Fall gnadenrechtlich einer Einzelfallprüfung durch die jeweils zuständige Staatsanwaltschaft zu unterziehen", erläutert ein Sprecher des rheinland-pfälzischen Justizministeriums. In Rheinland-Pfalz sind aus Anlass des Weihnachtsfestes 2019 bislang 123 Gefangene entlassen worden.
Zwar keine exakte Anzahl der genehmigten Amnestien, aber doch eine ungefähre Größenordnung weiß das Justizministerium in Baden-Württemberg mitzuteilen. "Es ist von mehreren hundert Personen auszugehen", so der stellvertretende Ministeriumssprecher Steffen Tanneberger gegenüber LTO. Tanneberger verweist auf eine langjährige Tradition der Weihnachtsamnestie in Baden-Württemberg, es gibt sie dort seit 1963. Anfang November konnten in dem Bundesland Strafgefangene vorzeitig entlassen werden, die von einem baden-württembergischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden und deren Strafende in die Zeit vom 7. November 2019 bis einschließlich 6. Januar 2020 fällt.
Von einer "langjährigen Tradition" der Weihnachtsamnestie spricht man auch in Niedersachsen. Dort konnten Gefangene bereits am 2. Dezember 2019 entlassen werden, wenn sie eine von einem niedersächsischen Gericht verhängte zeitige Freiheitsstrafe (nicht: Ersatzfreiheitsstrafe), Jugendstrafe oder einen Strafarrest nach § 9 Wehrstrafgesetzbuch verbüßen, sich mindestens seit dem 1. August 2019 ununterbrochen in Haft befinden und ihre Entlassung in der Zeit bis zum 2. Januar 2020 ansteht. Die Staatsanwaltschaften prüfen dabei, ob anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles eine vorzeitige Entlassung im Gnadenwege veranlasst sein könnte. In diesem Jahr profitierten davon 59 Personen, wie das Ministerium mitteilte.
"Behördengänge noch vor Weihnachten"
Von mehreren Hundert gewährter "Amnestien" wie in NRW oder Baden-Württemberg sind kleinere Bundesländer mit wesentlich weniger Gefangenen naturgemäß weit entfernt: Das Ministerium in Schleswig-Holstein teilte mit, dass dort bislang 14 Gefangene aus den Vollzugsanstalten auf Grundlage von Gnadenerweisen vorzeitig entlassen wurden, die Zahl könnte sich aber auch dort noch erhöhen.
In Brandenburg sind nach vorläufigen Zahlen der Staatsanwaltschaften und Gerichte bislang 43 Gefangene aus Anlass des Weihnachtsfestes 2019 entlassen worden, in Mecklenburg-Vorpommern sind es 14, Sachsen-Anhalt verzeichnet bisher 22 freigelassene Gefangene und in Thüringen dürfen sich wie im Saarland neun Gefangene auf ein Weihnachtsfest in Freiheit freuen.
Im kleinen Hanse-Stadtstaat Bremen sind aufgrund eines entsprechenden Gnadenerlasses immerhin zwölf Gefangene vorzeitig entlassen worden. Eine andere Dimension vermeldet dagegen die Hauptstadt: In Berlin durften sich bereits Ende Oktober 142 Gefangene über einen "Sammelgnadenerweis zum Jahresende" und damit eine vorzeitige Entlassung freuen.
Im Vordergrund der Gnadenregelungen in den einzelnen Bundesländern steht im Wesentlichen das Ziel einer gelungenen Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Mecklenburg-Vorpommerns Justizministerin Katy Hoffmeister (CDU) verweist gegenüber LTO auf die positiven Effekte einer Haftentlassung vor den Festtagen für die erfolgreiche Resozialisierung: "Die Weihnachtsbegnadigung soll auch dazu dienen, vor Weihnachten Behördengänge für einen möglichst reibungslosen Übergang zurück in den Alltag zu erledigen“, sagte sie. Dann bestehe die Chance, "mit der Familie den neuen Lebensabschnitt, hoffentlich ohne Straftaten, zu beginnen."
In Hamburg dürfte indes die Zeit für solche Behördengänge zumindest für einige der Gefangenen knapp geworden sein: Aufgrund von speziellen Entlassungsregelungen, die im Hamburger Strafvollzugsgesetz niedergelegt sind und die sich inhaltlich an einer früher noch praktizierten "Weihnachtsamnestie" orientieren, kamen in diesem Jahr in der Hansestadt etwa 35 Gefangene vorzeitig in Freiheit, 21 von ihnen wohl allerdings erst am 20. Dezember.
Keine Gnade in Sachsen und Bayern
Während man in den meisten Bundesländern vorweihnachtlicher Gnadenerlasse traditionell zugewandt gegenübersteht und auch den umgangssprachlichen Begriff "Weihnachtsamnestie" - wenn auch manchmal zähneknirschend - akzeptiert, kennt Sachsen vor Weihnachten keine Gnade: "Für die sächsischen Straf- und Jugendstrafgefangenen gibt es keine sogenannte Weihnachtsamnestie", heißt es auf LTO-Nachfrage aus dem Justizministerium in Dresden. Justizpressesprecher Jörg Herold verweist stattdessen auf Regelungen im sächsischen Strafvollzugs- und Jugendstrafvollzugsgesetz, wonach Gefangene, deren Strafende in die Zeit vom 22. Dezember bis 2. Januar fällt, "an dem diesem Zeitraum vorhergehenden Werktag entlassen werden, wenn dies, gemessen an der Dauer der Strafzeit, vertretbar ist und fürsorgerische Gründe nicht entgegenstehen." Auf Grundlage dieser Bestimmungen würden in diesem Jahr voraussichtlich 46 Gefangene noch vor Weihnachten entlassen, teilte Herold mit.
Gnadenerlasse anlässlich von Christi Geburt lehnt auch die bayerische Staatsregierung jedenfalls im Grundsatz ab: "Für Strafgefangene in Bayern wird es im Jahr 2019, wie auch in den Vorjahren, keine 'Weihnachtsamnestie' geben", erläutert ein Sprecher des bayerischen Justizministeriums. Die Dauer einer rechtskräftigen Strafe im Gnadenwege dürfe nicht von "Zufälligkeiten des Kalenders" beeinflusst werden, zudem bestünden verfassungsrechtliche Bedenken: "Eine 'Weihnachtsamnestie' würde einen nicht sachlich gerechtfertigten Vorteil gegenüber anderen Gefangenen gewähren, deren Haftzeit – zufällig – zu anderen Zeiten endet, etwa an Ostern oder Pfingsten."
Doch immerhin: Ein bisschen Rücksicht auf die anstehenden Festtage nimmt man auch im Freistaat. So kann Gefangenen zu Weihnachten oder über Neujahr Ausgang oder Urlaub gewährt werden, sofern nicht die Gefahr der Flucht oder des Missbrauchs derartiger Vollzugslockerungen besteht. Ähnlich wie in Sachsen können nach dem Strafvollzugsgesetz des Landes Gefangene unter bestimmten Voraussetzungen am vorhergehenden Werktag entlassen werden, wenn das Strafende in die Zeit vom 22. Dezember bis zum 6. Januar fällt.
Wie das Ministerium weiter mitteilt, machten von diesen Möglichkeiten die bayerischen Justizvollzuganstalten "in geeigneten Fällen auch großzügig Gebrauch": So seien zum Jahreswechsel 2018/2019 insgesamt 368 Gefangenen über Weihnachten oder Neujahr Ausgang bzw. Urlaub gewährt und 262 Gefangene vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Vorläufige Zahlen zum Jahreswechsel 2019/2020 lagen dem Ministerium zum Zeitpunkt der LTO-Anfrage noch nicht vor.
Weihnachtsamnestie 2019: . In: Legal Tribune Online, 21.12.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39363 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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