Nach dem Videobeweis-Fehler: Welche Chancen hätte Kölns Pro­test?

von Dr. Christian Deckenbrock

18.09.2017

2/3: Entscheidungen des Video-Assistenten nicht per se unangreifbar

Zum Teil wird, weil die Entscheidung auf Tor auf dem Einschreiten des Video-Assistenten Brych beruhte, auch auf das für den Einsatz des Video-Assistenten von dem International Football Association Board (IFAB) verabschiedete Protokoll verwiesen. Dort heißt es unter anderem, dass ein Spiel „nicht ungültig aufgrund falscher Entscheidungen“ ist, die den Video-Assistenten betreffen. Mit dieser Formulierung soll zum Ausdruck gebracht werden, dass dieser nicht den Status eines Oberschiedsrichters hat, sondern die letztendliche Entscheidung stets dem Feld-Schiedsrichter obliegt. Grundsätzlich fallen daher auch Entscheidungen des Unparteiischen, die unter Zuhilfenahme des Video-Assistenten getroffen worden sind, unter den Schutz der unanfechtbaren Tatsachenentscheidung.

Meiner Ansicht nach kann man aber diesem Passus nicht entnehmen, dass solche Entscheidungen von vornherein nicht angreifbar sein sollen. Letztlich kann es keinen Unterschied machen, ob der Schiedsrichter zu der Torentscheidung nach Rücksprache mit dem Videoassistenten oder einem der Schiedsrichterassistenten an der Linie gekommen ist. Entscheidend muss allein sein, ob dem Unparteiischen bewusst war, dass der Pfiff erfolgt ist, bevor der Ball die Torlinie überschritten hat. Denn Gegenstand des sportgerichtlichen Verfahrens wäre nicht ein Regelverstoß des Video-Assistenten, sondern des Feld-Schiedsrichters.

Der Unmut der Kölner beruht auch darauf, dass der Video-Assistent sich eigentlich nur bei klaren Fehlentscheidungen auf dem Platz einschalten soll. In der fraglichen Szene erschien die ursprüngliche Entscheidung von Schiedsrichter Ittrich zumindest vertretbar. Dieses Argument verspricht allerdings von vornherein keine Aussicht auf Erfolg. Denn die „klare Fehlentscheidung“ ist als unbestimmter Rechtsbegriff einer eindeutigen Abgrenzung nicht zugänglich. Was eine klare Fehlentscheidung ist und was nicht, kann in einem sportgerichtlichen Verfahren richtigerweise nicht überprüft werden.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit die Spielwertung beeinflusst?

Selbst wenn dem 1. FC Köln es gelingt, das Vorliegen eines Regelverstoßes nachzuweisen, sind weitere Klippen zu überwinden. Damit ein Regelverstoß eine Neuansetzung rechtfertigt, muss er die Spielwertung als verloren oder unentschieden mit hoher Wahrscheinlichkeit beeinflusst haben.
„Hohe Wahrscheinlichkeit“ ist mehr als die „bloße Möglichkeit“ einer Spielbeeinflussung. Auch genügt es nicht, dass das Ergebnis ohne den Regelverstoß ein anderes gewesen wäre (4:0 statt 5:0?), sondern der betroffenen Mannschaft muss mit hoher Wahrscheinlichkeit die Chance genommen worden sein, das Spiel zumindest mit einem Unentschieden zu beenden. Daran darf man angesichts des desaströsen Auftritts der Kölner und des doch sehr deutlichen Endergebnisses nachvollziehbar zweifeln.

Andererseits muss die Kausalität des Regelverstoßes für das Spielergebnis stets zum Zeitpunkt des Vorfalls beurteilt werden. Immerhin wären die Kölner ohne die Anerkennung des zweiten Tores Köln mit einem sicher aufholbaren Rückstand von 0:1 in die Halbzeit gegangen. Letztlich lässt sich nur spekulieren, wie das Spiel ohne die regelwidrige Anerkennung des Tores verlaufen wäre.

Erfolgreicher Einspruch: Neues Spiel, neues Glück – grundsätzlich

Bei einem erfolgreichen Einspruch ist nach § 17 Nr. 6 RuVO DFB (= § 13 Nr. 6 SO DFL) das betreffende Meisterschaftsspiel in aller Regel neu auszutragen. Nicht vorgesehen ist dagegen die Wiederholung nur der Spielzeit nach dem Regelverstoß. Diese Rechtsfolge ist grundsätzlich nachvollziehbar, liegt doch zwischen dem mit Rechtsmitteln angegriffenen Spiel und der Neuansetzung ein längerer Zeitraum, in dem sich Spieler verletzt haben oder gesperrt worden sein können. Es ist daher schon praktisch in aller Regel unmöglich, die Situation so nachzustellen, wie sie sich zum Zeitpunkt des Regelverstoßes dargestellt hat.

Hinweise darauf, dass andere Sportverbände – insbesondere bei Wettbewerben in Turnierform – das anders handhaben oder dass die UEFA im Jahr 2015 die letzten Minuten eines EM-Qualifikationsspiel der U-19-Frauen zwischen England und Norwegen als Folge eines Regelverstoßes wiederholen ließ, führen angesichts dieser eindeutigen Regelung in der RuVO DFB nicht weiter. Aber selbst dann, wenn das Sportgericht einen Regelverstoß bejahen sollte, der das Spielergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit beeinflusst hat, bedeutet dies noch nicht, dass es zwingend zur Neuansetzung kommt. Denn es gibt einen 20 Jahre alten Präzedenzfall.

Zitiervorschlag

Christian Deckenbrock, Nach dem Videobeweis-Fehler: . In: Legal Tribune Online, 18.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24575 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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