Diese Entscheidung strahlt über Baden-Württemberg hinaus. Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim hat die Verordnung des Landes zu Beherbergungsverboten als unverhältnismäßig außer Kraft gesetzt. Christian Rath analysiert.
In diesem Verfahren ging es nicht um Besonderheiten des Einzelfalls und auch nicht um Besonderheiten von Baden-Württemberg. Der VGH Mannheim hat die Verhältnismäßigkeit von Beherbergungsverboten beim derzeitigen Stand der Pandemie generell beurteilt und verneint (Beschluss vom 15. Okt 2020, Az. 1 S 3156/20 - der Beschluss liegt noch nicht im Wortlaut vor).
Die Corona-Verordnung Beherbergungsverbot des Landes Baden-Württemberg bestand schon seit Mitte Juli 2020. Sie verbot die Beherbergung von Gästen aus Städten oder Landkreisen, deren 7-Tages-Inzidenz (Zahl der binnen sieben Tagen Neu-Infizierten pro 100.000 Einwohner) nach Zählung des Robert-Koch-Instituts über dem Schwellenwert von 50 liegt. Das Verbot bezog sich auf alle entgeltlichen Übernachtungsmöglichkeiten von Hotels, über Gasthöfe, Pensionen und Ferienwohnungen bis hin zu Campingplätzen und Wohnmobilstellplätzen. Es wurde nicht nach dem Zweck der Reise - beruflich oder touristisch - unterschieden. Ausgenommen waren aber Gäste, die ein aktuelles negatives Covid-19-Testergebnis vorlegen konnten.
Unverhältnismäßiger Eingriff in Art. 11 Grundgesetz
Geklagt hatte eine Familie mit drei Kindern aus dem Kreis Recklinghausen (NRW). Sie erhob beim VGH Mannheim einen Normenkontrollantrag gegen die Verordnung, weil sie für die Zeit vom 16. bis 23. Oktober einen Urlaub in einer Unterkunft im Landkreis Ravensburg gebucht hatte. Dann aber wurde der Kreis Recklinghausen am 10. Oktober zum Corona-Risiko-Gebiet und die Familie hatte Sorge, ob sie die aufgewendeten 2.000 Euro für die Unterkunft zurückbekommen würde. Jedenfalls war ihr Urlaubsvergnügen in Baden-Württemberg in Gefahr. Die Möglichkeit, sich testen zu lassen, diskriminiere Familien und Reisende aus Regionen mit begrenzten Testkapazitäten, so die Kläger. Für eine fünfköpfige Familie hätten die Testkosten 774 Euro betragen, die sie hätten privat bezahlen müssen. Außerdem sei es ihnen bei früheren Versuchen nie gelungen, das Testergebnis binnen 72 Stunden zu erhalten.
Der VGH setzte an diesem Donnerstag nun in einer Eilentscheidung die zentralen Bestimmungen dieser Verordnung außer Kraft, da ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht der Familie auf Freizügigkeit gemäß Artikel 11 Grundgesetz vorliege. Die Verordnung sei voraussichtlich verfassungswidrig. Das Land verfolge zwar den Schutz hochrangiger Rechtsgüter, insbesondere den Schutz von Leben, Gesundheit und Gesundheitssystem. Allerdings stünden Eingriffszweck und Eingriffsintensität in keinem angemessenen Verhältnis.
Zentrales Argument des VGH war, dass in Beherbergungsbetrieben kein so hohes Infektionsrisiko bestehe, das diesem mit so drastischen Maßnahmen begegnet werden müsste. Im Gegenteil seien trotz steigender Fallzahlen in Deutschland keine Hotspots in Beherbergungsbetrieben bekannt. Dies sei auch naheliegend, weil Gäste dort in abgeschlossenen Räumlichkeiten mit einer in der Regel sehr begrenzten Zahl an Mitreisenden übernachten. Außerdem seien die Kontaktdaten der Reisenden bekannt.
Ein Verbot das nicht auf Übernachtungen, sondern auf Reisen zielt?
Das Land Baden-Württemberg hatte dagegen auf die guten Erfahrungen verwiesen, die andere Länder wie Mecklenburg-Vorpommern mit Beherbergungsverboten gemacht hatten. Dahinter verbirgt sich wohl das Argument, dass das eigentliche Ziel der Verbote nicht die Hotel-Übernachtungen an sich sind, sondern die Reisen. Personen aus Risikogebieten sollen davon abgehalten werden, zu zahlreich in das jeweilige Bundesland zu kommen.
Der VGH hat diese Argumentation mit der mittelbaren Geeignetheit (in seiner Pressemitteilung) nicht grundsätzlich abgelehnt. Für seine Abwägung gaben aber zwei andere Argumente wohl den Ausschlag. Zum einen gibt es zur Zeit klar identifizierbare "Treiber" der Pandemie, nämlich das Feiern in größeren Gruppen und der Aufenthalt in Bereichen, wo die Abstands- und Hygieneregeln aufgrund räumlicher Enge nicht eingehalten werden können (gemeint sind Schulen, Pflegeheime oder Flüchtlingsunterkünfte). Es ist wohl eine Art "Erforderlichkeits"-Argument, dass die Landesregierung sich mit ihren Maßnahmen zunächst auf die Orte konzentrieren sollte, an denen aktuell die meisten Neuinfektionen stattfinden.
Zudem erschließt es sich für den VGH nicht, warum (bis auf Clubs und Discotheken) derzeit alle Geschäfte, Freizeit- und Sporteinrichtungen, Gaststätten, Bars und Vergnügungsstätten wieder geöffnet sind (wenn auch mit Schutzkonzepten) und gleichzeitig Beherbergungsbetriebe so stark eingeschränkt werden sollen. Der VGH fragt hier, ob das "Gesamtkonzept von Beschränkungen und Lockerungen" noch in sich stimmig sei. Man könnte auch sagen, die Richter wollen ein unzumutbares Sonderopfer der Beherbergungsbetriebe vermeiden. Überhaupt lesen sich die Ausführungen des VGH überwiegend so, als hätte ein Hotelbetreiber aus Baden-Württemberg die Normenkontrolle beantragt und nicht eine Familie aus NRW.
Auch in Niedersachsen setzt das OVG die Beherbergungsverbote außer Kraft
Auf die Interessen der Familie wurde dann aber bei der Frage der Tests abgestellt. Es sei ihr "nicht zumutbar", zu versuchen, negative Corona-Tests vorzulegen. Denn derzeit sei es nicht ausreichend sicher gewährleistet, dass ein solcher Test von Reisenden so kurzfristig erlangt werden kann.
Am Tag zuvor hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten über eine Verschärfung von Corona-Maßnahmen beraten, sich aber nicht über Beherbergungsverbote einigen können. Die Frage wurde bis zum 8. November vertagt. Zum Zeitpunkt der VGH-Entscheidung gab es noch Beherbergungsverbote in Bayern, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein.
Noch am Donnerstag setzte allerdings das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in einem weiteren Normenkontrollverfahren die niedersächsische Verordnung über Beherbergungsverbote außer Vollzug (Beschluss vom 15. Oktober 2020, Az.: 13 MN 371/20). Hier hatte der Betreiber eines Ferienparks geklagt, der auch Ferienhäuser vermietet. Das Beherbergungsverbot (das in Niedersachsen nur für touristische Übernachtungen galt) greife unangemessen in die Berufsausübungsfreiheit der Betreiber von Beherbergungsbetrieben ein, so das OVG.
Weitere Obergerichte werden voraussichtlich folgen - wenn die Landesregierungen nicht von sich aus reagieren.
VGH Baden-Württemberg: . In: Legal Tribune Online, 15.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43122 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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